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Einst Trainer, dann Trainierter. Oliver Breite (links) ist in „Am Horizont“ am Hans Otto Theater der demente Großvater des Jungen Janek.

© Thomas M. Jauk

„Am Horizont“ in der Reithalle: Alzheimer, das fiese Biest – Kindertheater am HOT in Potsdam

Wie erzählt man Kindern vom bitteren Weg zum Ende? Das Hans Otto Theater versucht es mit einem Stück für Kinder ab neun. Berührend, aber auch ganz schön erdrückt von der eigenen Last.

Mit Kindern über letzte Dinge zu reden, ist eine heikle Sache. Sollen die, die noch am Anfang stehen, erfahren, wie es mal zu Ende gehen wird? Und wie? Ab wann müssen sie wissen, dass dazugehören könnte, am Ende vor dem eigenen Spiegelbild zu erschrecken, in die Hose zu machen oder den Enkel nicht mehr wiederzuerkennen?

Das Hans Otto Theater hat in der vergangenen Spielzeit keine Scheu vor schweren Themen gehabt, hat für Kinder von Armut und Wut erzählt, in „Nur ein Tag“ sogar vom Tod. Damals ging es um die Endlichkeit im Allgemeinen, parabelhaft verpackt in die Vita einer Eintagsfliege. In „Am Horizont“ greift das Theater das Thema nun ohne weichzeichnende Metaphorik auf, und mit erschwerten Bedingungen. Das Stück von Petra Wüllenweber erzählt von einem Jungen im Hier und Heute, der seinem Opa beim Verschwinden zusehen muss. Er verliert ihn an ein hinterhältiges Biest namens Alzheimer.

Dabei ist dieser Opa zu Anfang der beste, stärkste, kundigste Großvater der Welt. Oliver Breite spielt ihn zunächst als zugewandten, humorvollen, trillerpfeifenbehängten Fels in der Brandung. Für Enkel Janek (Jakob Schmidt) ist er nicht nur Ersatzvater, sondern auch Trainer – und Idol: Selbst anno 1976 bei den Olympischen Spielen als Schwimmer mit dabei, unterrichtet er jetzt den Enkel im Delfinschwimmen. Und gibt am Beckenrand auch die eine oder andere Lebensweisheit dazu: „Angst gehört immer dazu“.

„ich bin nicht verrückt!“

Bald schleichen sich beim Opa Zerstreutheiten ein. Die angefangenen Joghurtbecher übersieht Janek noch, darüber, dass Opa die gleiche Tageszeitung zweimal liest, wundert er sich. Als er dann im Bademantel ins Kino gehen will, wird Janek doch stutzig. Hier passiert es auch das erste Mal, dass dieser geduldige, freundliche Fels sichtbar bröckelt. Sein gebrülltes „Ich bin nicht verrückt!“ sorgt für erschrockene Stille in den Stuhlreihen.

Der Schock, in einem vertrauten Menschen plötzlich einen anderen sehen zu müssen, fährt dem Publikum allen Alters gleichermaßen in die Knochen. Auch Oliver Breites Opa selbst. Eben noch jähzornig, zuckt er im nächsten Moment zurück, wie erschrocken vor dem Schreck des Enkels. Jakob Schmidt spielt diesen Enkelsohn als berührend jungenhaftes, zwischen Schalk und Schmusebedürfnis angesiedeltes Nicht-mehr-ganz-Kind. In der Umarmung seines Opas verschwindet er fast, aber am Ende wächst er, natürlich, über sich hinaus. Weil er keine Wahl hat, wenn er leben will. Weil das Leben so spielt.

All das ist schweres Gepäck, und „Am Horizont“ tut in der Regie von Michael Böhnisch nicht so, als wäre irgendetwas leicht daran. Die Einsamkeit des Jungen Janek, wenn er nicht mehr weiter weiß, schnürt einem die Kehle zu. Aber: Einige Sätze wirken, als hätten sie sich aus einem anderen Stück in diesen Text für Menschen ab neun verirrt (Opa: „Eines Tages wird es mich verschlungen haben. Es ist stärker als ich.“) Als der inzwischen stark Erkrankte am offenen Fenster ruft: „Ich gehe in den Himmel!“, gibt es Lacher im jungen Publikum. Dabei ringt hier ein junger Mensch um seine Verantwortung für das Leben eines alten. Was könnte es Ernsteres geben?

Kinder haben feine Antennen für Pathos, und in „Am Horizont“ schlagen sie einige Male an. Dafür können die Schauspieler nichts. Oliver Breite, Jakob Schmidt und auch Luca Lehnert als Janeks Schulfreundin Anna machen ihre Sache zu Tränen rührend gut. Wüllenwebers Text aber drückt ein bisschen zu stark auf die betreffende Drüse, und die Regie pflicht dem bei: im Licht, in der Musik, im Tonfall. Alzheimer ist ein fieses Biest, und es gibt keinen Grund Kindern nicht davon zu erzählen. Aber womöglich hätte man das Biest mit etwas mehr Humor noch besser für die Bühne zähmen können.

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