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Wie Motten zum Licht: Das Ensemble als Hendrik Höfgen, der sich der Macht in Gestalt des Ministerpräsidenten Göring (Janine Kreß) andient.

© Thomas M. Jauk

Wir sind Mephisto: Wie das Potsdamer Hans Otto Theater in die Spielzeit startet

Sascha Hawemann bringt „Mephisto“ von Klaus Mann als vor Schauspiellust berstendes Stück nach Potsdam. Die Rolle des titelgebenden Opportunisten verteilt er auf viele Schultern.

Das Hans Otto Theater in Potsdam ist zurück aus der Sommerpause. Seit Freitag (22.9.) wird wieder gespielt, den Auftakt machte „Mephisto“, Klaus Manns Schlüsselroman von 1936, der keiner sein will, Regie: Sascha Hawemann. Bevor wir uns im Bühnengeschehen verlieren, in die 1920er abtauchen und gestehen, dass all das ganz schön unübersichtlich und nachhaltig beeindruckend ist, erinnern wir uns kurz: Was erwartet man von so einem Auftakt, idealerweise?

Eine Handvoll Dinge vielleicht: Eine Idee davon, wohin dieses Haus inhaltlich demnächst steuern will. Die Bestätigung, dass die, die hier spielen, spielen können und spielen wollen. Echte Lacher, echte Traurigkeit. Das Draußen ein bisschen vergessen. Das Draußen ein bisschen besser verstehen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Das ist das Staunenswerte an diesem „Mephisto“: Er erfüllt diese Erwartungen alle.

Zurück aus der Sommerpause. Das Hans Otto Theater am Tiefen See Potsdam.
Zurück aus der Sommerpause. Das Hans Otto Theater am Tiefen See Potsdam.

© Andreas Klaer

Was nicht heißt, dass dieser Abend vollkommen ist (was wäre das?). Es ist vorwegzuschicken: Wer die Geschichte des „Mephisto“ nicht kennt, wird sie danach nicht unbedingt nacherzählen können. Songs grätschen dazwischen, auch Heiner-Müller-Texte. Wem die biografischen Details von Klaus Mann, dem 1949 durch Suizid aus dem Leben geschiedenen Sohn des Dichterfürsten Thomas Mann, und Gustaf Gründgens, der im Roman Hendrik Höfgen heißt und als begabter Opportunist in der NS-Zeit zu höchsten Würden kommt und sie auch nach 1945 in der BRD wieder erlangt, wichtig sind: bitte einlesen.

Und ja, diese dreieinhalb Stunden haben, was man „Längen“ nennt. Der Abend lässt sich und seinen Spieler:innen Zeit. Nicht jede Szene schillert gleich stark. Wobei der Abend dann auch kein spielerisches Großereignis wäre, sondern ein Brei. Das ist er nicht. Er ist auch kein krachender Kraftakt wie Hawemanns „Stützen der Gesellschaft“ 2021. „Mephisto“ ist ein vor Schauspiellust berstendes Ensemblestück, aber eins mit stillem, wehem Herz.

Perspektiven wie aufgescheuchte Vögel

So etwas wie der Hüter dieses stillen Kerns ist Guido Lambrecht als Klaus Mann. Der Autor sieht hier seinem eigenen Roman beim Lebendigwerden zu, aus der Perspektive einer versifften Schreibhöhle im Exil nach 1933. Schon zu Anfang, als der Ton noch lustig ist und die 1920er-Jahre im Hamburger Künstlertheater blühen, beobachtet Klaus Mann das nüchtern vom Ende her: aus einem gläsernen Käfig, in Schlüpfer und Mickey-Mouse-T-Shirt. Mal taucht er ein ins Geschehen, brüllt seinem Vater (Joachim Berger) in exzentrischem Kostüm ein Schubert-Lied entgegen. Mal guckt er sich das von außen an. Natürlich ist das Ganze auch ein Nachdenken über Perspektivwechsel. Über Theater.

Die Perspektiven sind flattrig wie aufgescheuchte Vögel. Alle wechseln zwischen erster und dritter Person hin und her. Grandiose Kernidee ist es, Hendrik Höfgen als flirrende Leerstelle zu belassen: Höfgen, das ist das Ensemble. Zu erkennen an Brille, Seidenschal oder Mephisto-Kostüm. Höfgen-Kerntruppe sind Jan Hallmann, Charlott Lehmann, Franziska Melzer und Henning Strübbe, wobei das Zauberhafte ist, dass sich alle aufs Individuellste in der Ausschmückung austoben.

Höfgen ist Mann oder Frau, groß oder klein. Höfgen, Inbegriff der Wandelbarkeit. Als Mensch und als Schauspieler. Höfgen, das sind wir alle oder könnten es sein, das ist nicht schwer zu erkennen. Es ist die Kunst dieses Abends, dass er auch das Andere sinnlich nachvollziehbar macht: Die unbändige Lust, Höfgen, der Spieler, zu sein.

Zeitweise stößt René Schwittay zum Höfgen-Pulk dazu, der eigentlich Otto Ulrichs alias Hans Otto spielt, den von den Nazis zu Tode geprügelten kommunistischen Schauspieler - oder Paul Sies. Der ist eigentlich Hans Miklas, ein hungernder Prolet, der bald zur NSDAP geht und das in einem mitreißenden orientalischen Wutsong kundtut. Von den eitlen Höfgens wird dieser Miklas gedisst. Verdient er Mitleid? Braucht er vielleicht nur eine Butterstulle, um wieder zu Sinnen zu kommen? Sollte man überhaupt mit ihm reden? Es sind auch Fragen wie diese, die zeigen: Es ist das richtige Stück zur richtigen Zeit. Mit einem Ensemble, das selten so sehr Ensemble war.

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