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Soldatischer Träumer. Jörg Vogel als Prinz Friedrich von Homburg im Schlosstheater.

© Marcus Lieberenz

„Homburg“ im Schlosstheater: Das süße Leben und der kalte Krieg

Das Potsdamer Poetenpack holt Heinrich von Kleists Klassiker auf die historische Bühne im Neue Palais. Nicht aktualisiert, aber markerschütternd aktuell.

Seit anderthalb Jahren ist der Krieg zurück in Europa. Dass das fast zur Normalität geworden ist, gehört zu seinen beunruhigenden Begleiterscheinungen. Nachrichten von Toten sind Alltag. Das Wort „Haubitzen“ ebenso. Mit seiner jüngsten Inszenierung erinnert das Poetenpack daran, dass die Anwesenheit von Krieg hierzulande stets Normalität war. Nur dass es zur Zeit von Kleists „Homburg“ hieß: Preußen gegen Schweden.

Wenn das Poetenpack sich den Text jetzt erneut vornimmt, ist das also kein Zufall. Vor ein paar Jahren im Hans Otto Theater konnte das Stück bei aller begeisternden Kunstfertigkeit noch wirken wie von einem anderen Stern. Sieht man es 2023, spürt man: Er ist näher als gedacht. Kurz vor der Pause sagt der preußische Prinz von Homburg einen Satz, der einem im Spätsommer des Jahres 2023 bis ins Mark fährt. „Seit ich mein Grab sah, will ich nichts als leben!“ Wie viele mögen das tagtäglich denken, rund 1500 Kilometer östlich?

Metaphorische Sprungschanze

Dabei tut das Poetenpack nicht viel dafür, um die Aktualität des Stoffes groß anzupreisen. Man trägt hohe Stiefel, Bausche-Hemden und Militärmäntel, die Damen Kleider nach der Mode der Zeit. Das könnte ganz schön altbacken wirken, wäre da nicht dieses Motiv im Bühnenhintergrund, das mal wie ein Sonnenball wirkt, mal wie ein Einschussloch. Auch sonst setzt die Bühne (Janet Kirsten) auf eine zeitlose Metaebene: eine dunkelblaue Rampe. Anfangs ragt sie bedrohlich spitz in den Saal. Eine metaphorische Sprungschanze vom damals ins heute, vom Traum in den Wachzustand.

Um den kleinen Spalt, der die beiden Zustände trennt, geht es auch in Kleists Stück. Sein Homburg ist es ein schlafwandelndes Paradoxon. Preußischer Offizier einerseits, von militärischem Ehrgeiz getrieben, andererseits wirklichkeitsferner Träumer. Gleich zu Beginn wird er vom Kurfürst (Teo Vadersen) und Entourage beim Schlafwandeln beobachtet, sogar wissentlich gefoppt: Der Kurfürst erwischt Homburg mit Lorbeerkranz und bestärkt ihn in seinem Siegesglauben. Und ermutigt ihn so erst dazu, anderntags bei der Schlacht die Fanfaren blasen zu lassen, ohne wie befohlen auf das Signal des Kurfürsten zu warten. Daher gibt es statt Lorbeeren die Todesstrafe. Vorerst.

So kommt es, dass der stolze Homburg auf Knien um sein Leben bettelt. Das ist sehr menschlich, aber auch sehr wenig heldenhaft. Man rät ihm, der Ehre halber, sich mannhaft in sein Schicksal zu fügen. Jörg Vogels Homburg lässt ahnen, wie sehr dieser erfreulich sperrige, auch hochmütige Soldat mit sich ringt. Was zählt mehr, das Gesetz oder die Gnade? Das ist die Frage, die über all dem steht. So oder so: Es ist dies eine Welt, in der der Rang regiert. Der Gehorsam. Wer mit dem Krieg lebt, kann dieser Ordnung nicht entkommen. Ob es die Zeit des Großen Kurfürsten ist, die von Wladimir Putin oder, wie im Potsdamer „Homburg“ 2017, Joseph Goebbels.

Solche historischen Analogien sucht das Poetenpack nicht. Die Regie von Andreas Hueck sucht in aller Zurücknahme etwas anderes, bewusst aus der Zeit Gefallenes: sprachliche Genauigkeit. Darin liegt ihr Sog. Wer das betulich findet, hört nicht genau hin. Die letzte Verbeugung des Ensembles gilt am Ende nicht dem Publikum, sondern Heinrich von Kleist.

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