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Symbolbild. Eine Ärztin spricht mit einem Patienten über Behandlungsmöglichkeiten.

© freepik/Bearbeitung Tagesspiegel

Die lange vernachlässigte Welle: Wird Long Covid heilbar?

Die großen Corona-Wellen sind dank der Impfungen vorbei, doch viele leiden unter anhaltenden Beschwerden. Es zeichnet sich ab, dass ihnen geholfen werden kann. Vier Experten schätzen die Aussicht ein.

Von
  • Claudia Ellert
  • Gabor Petzold
  • Benjamin Krishna
  • Andreas Stallmach

Sechs bis 15 Prozent der Menschen, die sich mit dem Coronavirus infizieren, könnten, so wird geschätzt, von den längerfristigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen betroffen sein, die je nach Dauer als Long oder Post Covid bezeichnet werden. Wie viele es genau sind, ist weiterhin schwer zu erfassen, da es an Studien fehlt, die große, repräsentative Gruppen von Menschen mit und ohne durchgemachte Corona-Infektion vergleichen.

Bei der großen Zahl an Menschen in Deutschland und weltweit, die sich in den vergangenen Jahren mit Corona angesteckt haben, steht aber fest: Es sind viele und sie warten auf eine Behandlung. Die Forschung liefert vielversprechende Ansatzpunkte. Doch der Weg bis zur zugelassenen Therapie ist lang und es bleibt fraglich, ob allen Betroffenen geholfen werden kann. Vier Fachleute teilen ihre Sicht darauf. Alle Folgen unserer Reihe „3 auf 1“ finden Sie hier.


Betroffene brauchen Unterstützung

Patienten mit postviralen Symptomen erfahren jetzt mehr Verständnis und Akzeptanz. Vor Covid-19 waren postvirale Symptome, insbesondere Erschöpfung, ein vernachlässigter Bereich der Medizin. Aussagen von Betroffenen wurden abgetan und Symptome als psychosomatisch eingestuft. Die Post-Covid-Welle hat aber großes wissenschaftliches Interesse geweckt. Betroffene werden nun endlich wahrgenommen.

Die Forschung hat mehrere Anomalien bei Long Covid festgestellt, darunter Entzündungen, Gerinnungsstörungen, Nervenschäden und das Vorhandensein von Virusfragmenten. Einige dieser Beobachtungen werden zu Behandlungen führen, aber ich denke, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis wir Menschen routinemäßig gegen Long Covid behandeln können.

Aber die Forschung zeigt, dass Long Covid real ist. In der Zwischenzeit muss die Gesellschaft Verständnis für Long Covid und andere postvirale Erkrankungen aufbringen. Die Betroffenen brauchen soziale Unterstützung, Zeit zum Ausruhen und sie müssen gehört werden.


Behandlungen sind noch keine Heilung

Verschiedene aktuelle Studien haben gezeigt, dass ein krankheitsverursachender Mechanismus von Long Covid und somit auch mögliche therapeutische Ansatzpunkte in den weißen Blutkörperchen liegen könnten. Genauer gesagt, scheinen bei einigen Patienten mit Long Covid in diesen Zellen normale Abwehrvorgänge gegen virale Infektionen dauerhaft aktiviert zu sein, was zu einer überschießenden Bildung von antiviralen Abwehrstoffen führen und einige der Symptome erklären könnte.

Dementsprechend werden aktuell weltweit viele Studien durchgeführt, in denen mit Patienten mit Long Covid medikamentöse oder andere Therapieansätze getestet werden, die diese immunologischen Mechanismen normalisieren sollen.

Ob diese Studien ergeben, dass derartige Therapien die Symptome reduzieren und die Lebensqualität von Patienten mit Long Covid nachhaltig verbessern können, muss abgewartet werden. Ebenfalls völlig offen ist, ob durch solche Ansätze nicht nur die Symptome gelindert werden können, sondern ob Long Covid tatsächlich heilbar sein wird.


Hoffnung auf eindeutige Erkennung

Long Covid, oder, besser: „Post Covid“, wird in absehbarer Zeit behandelbar. Wichtig ist aber zu wissen, dass Post-Covid nicht gleich Post-Covid ist, dass die Verläufe nicht für alle Betroffenen gleich sind. Somit wird es auch nicht eine Therapie für alle Betroffenen geben.

Die Identifikation von Biomarkern, die schon zum Zeitpunkt der Infektion zuverlässig Patientinnen und Patienten beschreiben, die ein Post-Covid-Syndrom entwickeln werden, sind wichtige Schritte. Darauf aufbauend werden neue rationale Therapien etabliert, die dann in weiteren Studien überprüft werden müssen. Aber auch die Publikation aus der Arbeitsgruppe um Benjamin Krishna zeigt, dass es bei den Biomarkern Überlappungsbereiche gibt, zwischen Menschen, bei denen die Sars-Cov-2-Infektion folgenlos ausheilt, und Menschen mit Post-Covid gibt.

Wünschenswert wären Biomarker mit einer hohen Trennschärfe zwischen „Sie werden gesund“ und „Sie sind Post-Covid-gefährdet“. Hierzu werden hoffentlich bald weitere Ergebnisse vorgelegt.


Forschung unterfinanziert

Die Forschung zu Long Covid hat in den letzten Monaten wichtige Erkenntnisse hervorgebracht, die Hinweise auf messbare Veränderungen im Körper liefern, wie auch die aktuelle Studie zeigt. Diese Ergebnisse müssen zeitnah in größeren Studien validiert werden, damit sich daraus verlässliche Biomarker für Long Covid entwickeln lassen.

Dennoch nimmt schon jetzt das Interesse der pharmazeutischen Industrie an Long Covid zu, ein wichtiges Signal dafür, dass Forschende den Ursachen und potenziellen Behandlungsansätzen der Erkrankung näherkommen.

Gleichzeitig wird im Vergleich zu anderen Erkrankungen weiterhin zu wenig Geld in die Grundlagen- und Therapieforschung zu Long Covid investiert – trotz der Vielzahl an Betroffenen und den weitreichenden Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Wenn auch Forschung Zeit benötigt, werden wir Long Covid umso schneller wirksam behandeln können, je entschlossener und zielgerichteter Regierungen und Unternehmen in die biomedizinische Forschung investieren.

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