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Zur Demo „Wir sind die Brandmauer“ auf dem Alten Markt kamen rund 3000 Menschen.

© Andreas Klaer/PNN

Update

Kampf gegen die Rechtsfront: Potsdam kündigt weitere Aktionen an – und geht gegen Sellner vor

Erneut gehen Tausende in Potsdam gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Dabei soll es nicht bleiben. Oberbürgermeister Schubert wil die Möglichkeiten des Rechtsstaates nutzen.

Das parteiübergreifende Bündnis „Potsdam bekennt Farbe“ hat nach einer erneuten Großdemo am Samstag weitere Aktionen gegen Rechtsextremismus in der brandenburgischen Landeshauptstadt angekündigt.

Man habe sich in den vergangenen Wochen im Bündnis mit möglichen Aktionsformen und der Vernetzung mit Aktionen in anderen Städten beschäftigt, sagte die Vize-Vorsitzende des Bündnisses, Stadtsportbund-Chefin Anne Pichler, am Sonntag auf Anfrage der Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN). Pichler weiter: „Es wird sicherlich auch in den kommenden Monaten weitere Aktionen geben.“ Vorsitzender des Bündnisses ist Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD).

Gemeinsam bildeten die Teilnehmer eine Menschenkette um das Landtagsschloss.
Gemeinsam bildeten die Teilnehmer eine Menschenkette um das Landtagsschloss.

© Andreas Klaer/PNN

Am Samstag hatten sich rund 3000 Menschen auf dem Alten Markt versammelt und dort unter dem Motto „Wir sind die Brandmauer“ eine Menschenkette um das Landtagsschloss gebildet.

Wir haben das rechtsstaatliche Verfahren zum Entzug der Freizügigkeit gegen den österreichischen Staatsbürger Martin Sellner begonnen.

Mike Schubert, Oberbürgermeister von Potsdam

Auslöser sind Debatten um ein Erstarken der AfD und ein Treffen von radikalen Rechten auf dem Adlon-Anwesen im Potsdamer Ortsteil Neu Fahrland, an dem AfD-Politiker sowie Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion teilnahmen. Bei dem Treffen hatte unter anderem der Rechtsextremist Martin Sellner seine Ideen zur massenhaften Ausweisung von Migranten und Deutschen mit ausländischen Wurzeln vorgestellt.

Schubert: Sellner soll nicht mehr nach Deutschland einreisen dürfen

Gegen Sellner persönlich will Schubert nun vorgehen – und mithilfe der Potsdamer Ausländerbehörde verhindern, dass der Extremist weiter nach Deutschland einreisen kann. Vor den Demonstranten erklärte Schubert: „Wir haben das rechtsstaatliche Verfahren zum Entzug der Freizügigkeit gegen den österreichischen Staatsbürger Martin Sellner begonnen.“ Zwei Wochen habe die Stadtverwaltung geprüft, „welche Möglichkeiten wir haben, uns zu wehren.

Der SPD-Politiker betonte, dass es sich um ein rechtsstaatliches Verfahren handle. „Das heißt, auch Herr Sellner kann Rechtsmittel einlegen.“ Er sei aber „bereit, alle rechtsstaatlichen Mitteln gegen die Feinde unserer Verfassung einzusetzen“, schloss Schubert.

Vorwurf aus Potsdam: Sellner soll totalitären Systemsturz planen

Sellner veröffentlichte bereits am Freitag auf seinem Telegram-Kanal eine Erklärung seines Anwalts Dubravko Mandic. Dieser kritisierte unter anderem: „Man will nun genüsslich das vorexerzieren, was der Delinquent selbst mit anderen – viel schutzwürdigeren Menschen – vorhat: abschieben, abschieben, remigrieren.“ Hier sollten „Gedankenverbrechen“ verboten werden, kritisierte der Jurist weiter.

Vor einigen Tagen noch hatte Sellner, der als Taktgeber der rechtsextremen Identitäten Bewegung im deutschsprachigen Raum gilt, über ein mögliches Einreiseverbot gewitzelt. Im „schlimmsten Fall schaue ich mich nach einem guten Schlepper um“, um nach Deutschland zu kommen, sagte er.

Wir lassen uns unser Land von den neuen Nazis nicht umkrempeln.

Mike Schubert, Oberbürgermeister von Potsdam

Konkret wirft die Stadt Sellner in dem von ihm teilweise veröffentlichten Bescheid unter anderem demokratiefeindliche Äußerungen, das Ziel eines totalitären Systemsturzes und Geschichtsrevisionismus vor. Für den Bescheid an Sellner hatte sich das Rathaus zuvor mit diversen Sicherheitsbehörden beraten.

Zahlreiche Demonstranten hatten Transparente mitgebracht.
Zahlreiche Demonstranten hatten Transparente mitgebracht.

© Andreas Klaer/PNN

Bei der Aktion am Alten Markt erinnerte Schubert an die erste Demo gegen Rechtsextremismus in diesem Jahr, als am 14. Januar am selben Ort sogar 10.000 Menschen zusammenkamen. Davon sei ein „Weckruf für die Mitte unserer Gesellschaft“ ausgegangen, sagte Schubert – mit Blick auf die zahlreichen anderen Demonstrationen in Deutschland.

Am Samstag hatten unter anderem in Berlin 150.000 Menschen gegen Rechtsradikale protestiert. Schubert sagte: „Wir lassen es nicht zu, dass die neuen Nazis Demokratie und die Meinungsfreiheit nutzen, um unsere Verfassung aushöhlen. Wir lassen uns unser Land von den neuen Nazis nicht umkrempeln.“

Schubert attestiert der AfD „wilde Verschwörungstheorien“

Zugleich verwies Schubert auf „wilde Verschwörungstheorien“, da die AfD zuletzt im Landtag einen Zusammenhang zwischen den aktuellen Schlagzeilen und dem Streit um die geplante Tramtrasse nach Krampnitz hergestellt hatte. Zu deren Kritikern zählt auch die Landhaus-Seite.

Auch die „Omas gegen Rechts“ beteiligten sich.
Auch die „Omas gegen Rechts“ beteiligten sich.

© Andreas Klaer/PNN

„Man könnte über so viel Fantasie lachen, wenn es nicht so ernst wäre“, sagte Schubert. Längst würden Menschen diskreditiert, die sich wehren, so Schubert – und erwähnte den sächsischen Einzelhändler Peter Simmel, der wegen eines Werbeslogans „Für Demokratie – gegen Nazis“ heftige Kritik seiner Kunden einstecken musste und sich sogar für die Aktion entschuldigte.

Sellner rief zuletzt auf seinem Telegram-Kanal dazu auf, den Händler zu boykottieren: „Kein Sachse und Deutscher sollte dort noch sein Geld lassen.“ Schubert sagte: „Das hatten wir schon einmal.“ 1933 hatten die Nationalsozialisten ihren Terror gegen die jüdische Bevölkerung unter der Parole „Kauft nicht bei Juden“ verbreitet. Schubert sagte: „Wir müssen gegen die zusammenstehen, die unser Land mit alten Ideen, Methoden und Parolen kaputtmachen wollen. Wer kämpft, kann verlieren. Aber wer nicht kämpft, der hat seine Demokratie schon verloren.“

Zur Demonstrationen kamen auch zahlreiche Familien mit Kindern.
Zur Demonstrationen kamen auch zahlreiche Familien mit Kindern.

© Andreas Klaer/PNN

Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) wiederum sagte, die letzten so großen Demonstrationen für Demokratie habe sie 1989 zur friedlichen Revolution in der DDR erlebt. „Da haben wir uns die Demokratie errungen – und heute müssen wir sie schützen.“ Nötig seien auch persönliche Gespräche, auf allen Ebenen, ebenso die Teilnahme an Wahlen oder das Engagement in demokratischen Parteien. „Wir sind die Volksherrschaft, die Minderheiten schützt.“

Das Bündnis „Potsdam bekennt Farbe“, das die Aktion am Alten Markt organisiert hat, ist ein über Parteigrenzen hinweg bestehender Zusammenschluss. Das Anti-Rechtsextremismus-Bündnis, vor mehr als 20 Jahren ins Leben gerufen, vereint zivilgesellschaftliche und staatliche Organisationen sowie Institutionen, privatwirtschaftliche und städtische Unternehmen und demokratische Parteien sowie die meisten Fraktionen der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung.

Aktuell hat das Netzwerk rund 60 Mitglieder, zum Beispiel die Arbeiterwohlfahrt, die kommunale Bauholding Pro Potsdam oder den Stadtsportbund.

Seit Wochen reißen die Proteste gegen Rechtsextremismus in Deutschland nicht ab - auch am Wochenende sind Hunderttausende auf die Straßen gegangen, um ein Zeichen gegen rechts zu setzen. In Berlin versammelten sich nach Polizeiangaben am Samstag mehr als 150 000 Menschen vor dem Reichstagsgebäude, um für Demokratie und Toleranz und gegen Hass und die AfD zu demonstrieren. In Dresden kamen nach Veranstalterangaben 30 000 Menschen zu einer Kundgebung unter dem Motto „Wir sind die Brandmauer“. In Freiburg versammelten sich rund 30 000 Menschen, etwa 25 000 waren es in Augsburg, circa 10 000 in Krefeld - jeweils nach Polizeiangaben. Am Sonntag demonstrierten in Bremen laut Polizei zeitweise etwa 16 500 Menschen. Auch in anderen Städten wie Lübeck und Magdeburg waren Proteste angemeldet. (mit dpa)

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