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Cate Blanchett hat für ihre Rolle einen Globe und einen Bafta gewonnen und ist zum dritten Mal bei den Oscars nominiert.

© Focus Features/Florian Hoffmeister

Cate Blanchett ist „Tár“: Absturz einer Souveränin

In Todd Fields Musikdrama „Tár“ spielt Cate Blanchett die erste Chefdirigentin der Philharmoniker. Die Geschichte über Frauen, Macht und Machtmissbrauch kommt nach einer Berlinale-Gala nächste Woche ins Kino.

Tár, welch seltsamer Name. Schüttelt man ihn, kommt „rat“ oder „art“ dabei heraus. Sie ist in der Tat eine Ratte, diese Starkünstlerin und gefeierte erste Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker. Wobei, um es gleich zu sagen, die Philharmoniker selber nicht dabei sind und auch nie exakt so genannt werden in diesem Film. Sie werden von den Musikern der Dresdner Philharmonie „gespielt“, deren Konzertsaal wegen seiner Weinbergsarchitektur dem des Berliner Scharoun-Baus recht ähnlich sieht.

Das Rättische an Lydia Tár: Sie ist eine der mächtigsten Figuren in der Klassikwelt und missbraucht ihre Macht, schikaniert ihre Umgebung, hat Affären mit jungen Musikerinnen, verspricht ihnen Karrieren und stößt sie ab, wenn diese sich in ihrer Hoffnung getrogen sehen. MeToo unter Frauen, was für ein Stoff. Eine dieser Frauen wird sich das Leben nehmen, der Anfang vom Ende Lydia Társ.

Um auch das gleich zu sagen: Dass der erste große Hollywood-MeToo-Film, der nicht die Perspektive der Opfer einnimmt, keinen  Täter ins Zentrum stellt, sondern eine Täterin, befremdet doch sehr. Schon angesichts der Tatsache, dass es in der Realität James Levine, Charles Dutoit oder Daniele Gatti waren, die des sexuellen Missbrauchs bezichtigt wurden, und dass Frauen am Pult nach wie vor die Ausnahme bilden. Um Macht missbrauchen zu können, muss frau sie erst einmal haben – noch ist das Zukunftsmusik.     

US-Regisseur Todd Field, dessen letzter Film „Little Children“ 16 Jahre zurückliegt, hat sein jüngstes Werk, das in Venedig uraufgeführt und in einer Special-Gala am Donnerstag auf der Berlinale gezeigt wurde, für Cate Blanchett geschrieben. Sie ist Lydia Tár, sie zieht jeden in Bann, das Ensemble, das Publikum, die Öffentlichkeit.  Ein Star spielt einen Star. Die zweifache Oscar-Preisträgerin, die für „Tár“ bereits einen Globe und einen Bafta erhielt und erneut für die Academy Awards nominiert ist, verkörpert eine Frau, die einen Grammy, einen Emmy, einen Tony und als Komponistin auch einen Oscar gewonnen hat.

Im Film wird das gleich zu Beginn klargestellt, beim Podiumsgespräch mit Adam Gopnik vom „New Yorker“, eine Parforce-Tour durch die Geschichte des Dirigierens, vom Erfinder des Taktstocks Jean-Baptiste Lully, der sich den damals noch dicken Stab in den Fuß rammte und daran starb, über Bernsteins Mahler-Dirigat bei Robert Kennedys Beerdigung bis zu den ersten Pionierinnen am Pult.    

Lydia Tár ist die erste von Weltrang in ihrem Metier. Den Taktstock packt sie wie ein Schwert mit beiden Händen, wenn sie Mahlers Fünfte dirigiert: eine Ekstatikerin am Pult, samt Aura und Autorität – der Inbegriff eines Maestros. Nein, Tár möchte nicht Maestra genannt werden, die Reduktion aufs Frau-Sein ist ihr zuwider.

Überhaupt arbeitet Tár unentwegt an ihrem Image, ihrer Persona, ob es sich nun um das passgenau geschneiderte Konzertoutfit, das coole Basecap für Inkognito-Unternehmungen oder um das einer legendären Abbado-Schallplatte nachempfundene Cover-Foto für die Mahler-Einspielung handelt. Bevor sie den Konzertsaal betritt, richtet sie ihre Gesichtszüge ein, noch wenn sie nach Hause kommt – sie ist mit der von Nina Hoss gespielten Ersten Konzertmeisterin Sharon Goodnow verheiratet (noch so ein bezeichnender Name) –, macht sie eine Performance daraus. Oder wenn sie in der Schule ihrer Adoptivtochter eine mobbende Klassenkameradin wortgewaltig einschüchtert. Durchdringender Blick, knapper Eröffnungssatz: „Ich bin der Vater von Petra“. Das Mädchen wird Petra garantiert nie wieder behelligen.

Tár hat sich und ihre Umgebung im Griff. Nicht nur als musikalische Chefin, auch als Managerin des Unternehmens Philharmonie und beim Fundraising für Nachwuchs-Dirigent:innen. Alles unter Kontrolle. Glaubt sie zumindest, bis die Souveränin erste Irritationen erlebt. Eigentümliche Geräusche suchen sie heim, ein Summen und Sirren in der Wohnung, Tinitustöne, deren Quelle sie nicht ausmachen kann – den Sound neben den Originalwerken in diesem Musikdrama steuert die isländische Komponistin Hildur Guðnadóttir bei.  

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Davon vor allem erzählt Todd Fields gut zweieinhalbstündiges Drama, das Társ Absturz vom Zenit des Ruhms bis zur Persona non grata im Zeitraum weniger Wochen schildert, einschließlich zweier Kurztrips nach New York: Wie ein Machtmensch der eigenen Selbstinszenierung und obsessiven Zurichtung der anderen zum Opfer fällt. Das kann Blanchett, diese Virtuosin der Anverwandlung, die in Todd Haynes‘ „I’m Not There“ bereits Bob Dylan und in Julian Rosefeldts Videoinstallation „Manifesto“ 13 unterschiedlichste Figuren jeglichen Geschlechts verkörperte, wie derzeit keine andere: Jemanden spielen, der sich selbst spielt, ohne sich zu kennen, und sich darüber verliert.

Deshalb Blanchetts manchmal fast karikaturesk exaltierte Mimik, die abgezirkelten Gesten, der bis zur Perversion reichende Perfektionswahn – ganz im Gegensatz zu Társ Assistentin Francesca. Das Understatement von Noémie Merlant passt seinerseits zur einzigen Figur im Umfeld der Dirigentin, die sich nicht unterwirft. Francesca verzieht zwar keine Miene, wenn Tár sie herumkommandiert und ihre Warnungen ob des sich anbahnenden MeToo-Skandals in den Wind schlägt. Aber sie hat ihre eigene Agenda, auch wenn es ihr kaum anzumerken ist. Noémie Merlant kontert Blanchetts exaltierte Auftritte mit Nonchalance, und mit einem grandiosen Abtritt.

Todd Field lagert seinerseits virtuose Vexierbilder an, lässt Realität und Fiktion auf vergnügliche Weise changieren. So spielt etwa der „New Yorker“-Redakteur Adam Gopnik sich selbst, in der Ausgabe vom 14. Februar kann man sein „echtes“ Interview mit Blanchett nachlesen. Oder der Name von Társ betagtem Mentor, Andris Davis (Julian Glover), ein Konglomerat aus dem der Dirigenten Andris Nelsons und Andrew Davis.

Oder die CD-Einspielung zu „Tár“, mit Hildur Guðnadóttir á la Abbado/Tár auf dem Cover. Oder die zahlreichen Verweise auf die Orchesterrepublik der Berliner Philharmoniker, vom Orchestervorstand Knut (im wirklichen Leben war Knut Weber im Vorstand) über die frappierende Ähnlichkeit des Gebäudeinneren und das Probespiel für eine neue Cellistin hinter einer Trennwand bis zur Probenatmosphäre im Saal. Nina Hoss spielt überzeugend Geige, in Ina Weisses Psychodrama „Das Vorspiel“ von 2019 hat sie es schon einmal getan.

Kulturforum, Yorckstraße, Neukölln: Auch Berlin spielt sich selbst

Gewiss haben Profi-Musiker:innen und Kenner der Klassikwelt dennoch etwas auszusetzen. So ist es in Wahrheit doch gar nicht: Zachary Wolfe, der Filmkritiker der „New York Times“, will in Lydia Tár die US-Dirigentin Marin Alsop erkannt haben, denn auch sie leitet ein großes Orchester, ist mit einer Musikerin verheiratet und lernte bei Leonard Bernstein. Aber Alsop wurde nie des Missbrauchs bezichtigt. Der Vorwurf der Ähnlichkeit ist nicht zuletzt ein Beweis für die Wirkmacht der Fiktion.

Auch Berlin spielt sich selbst. Das Kulturforum mit Matthäikirche, Nationalgalerie und Museums-Baustelle ist dabei, das Rheingau-Gymnasium, die Yorck-Brücken, Neukölln. Na ja, vielleicht eher das Neukölln, wie man es sich in Amerika vorstellt, als No-Go-Area mit Graffiti-übersäten Hauswänden und vermüllten Hinterhöfen. Hierhin gerät Lydia Tár wegen ihres jüngsten Protegés, der neuen Solocellistin der Philharmoniker, einer hübschen, jungen Russin (gespielt von der Cellistin Sophie Kauer).

Anders als offenbar Társ frühere Lover denkt Olga jedoch nicht daran, ihre Bevorzugung mit sexuellen Diensten zu vergelten. Auch deshalb wird Tár aus ihrer Komfortzone herauskatapultiert, oder ist’s die Midlifekrise? Was ist mit den schlimmen Blessuren in ihrem Gesicht, als sie aus dem Altbaukeller emporsteigt. Ist sie Opfer einer mysteriösen Attacke geworden, oder gehört auch das zur Selbstinszenierung? Am Ende wird die Klassikwelt sie fallen lassen, so oder so. Und ob ein Soundtrack-Dirigat nun den Abstieg oder Selbstbehauptung bedeutet – die Frage taugt gut als Gesprächsstoff nach dem Kinobesuch.    

Marin Alsop hat den Film scharf kritisiert, sie fühle sich angegriffen „als Frau, als Dirigentin, als Lesbe“. Die Debatte um Gendergerechtigkeit lässt Todd Field in einem Seminar mit Lydia Tár kulminieren. Erst zerpflückt sie die Kritik eines Studenten am Macho Johann Sebastian Bach und kennt keine Gnade, dann geht ein geschickt montiertes Video der Unterrichtsstunde viral, das Tár zum übergriffigen Monster verzerrt. Todd Field hält nichts von Leuten, die gegen Diskriminierung kämpfen, seine Haltung zum Kulturkampf dieser Tage macht er unmissverständlich klar.

Schönes Postkriptum zum Alptraum-Märchen von der ersten Top-Maestra: Gerade gaben die Berliner Philharmoniker bekannt, dass Vineta Sareika-Völkner Erste Konzertmeisterin wird, man kennt sie als frühere Primaria des Artemis Quartetts. Wenigstens auf diesem Posten sitzt endlich eine Frau, erstmals in der Geschichte der Philharmoniker. Eine Chefin am Pult, das bleibt Zukunftsmusik.

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