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Rechtsmediziner darf weitermachen: Trotz Stasi-Lüge wieder im Staatsdienst

Das Landesarbeitgericht hat trotz Stasi-Lüge geurteilt: Das Land Brandenburg muss den Ex-Vize-Chef der Rechtsmedizin beschäftigen.

Potsdam - Das Land Brandenburg muss den wegen zweifacher Stasi-Lüge entlassenen früheren Vize-Chef der Rechtsmedizin, Jürgen B., weiterbeschäftigen. Das entschied das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg am Montag. Zuvor hatte das zuständige Sozialministerium einen Vergleich abgelehnt, eine Abfindung von mehr als 70 000 Euro wäre nicht vermittelbar. 

Ein Ministeriumssprecher sagte nach dem Urteil: „Wir nehmen es zur Kenntnis und werden es umsetzen müssen.“ B. werde als Facharzt für Rechtsmedizin wieder in Potsdam beschäftigt, allerdings soll jede Außenwirkung vermieden werden. B. werde keine Leitungstätigkeit und auch keine Lehraufträge – wie einst an der Universität Potsdam – mehr übernehmen. Allerdings muss das Land ihm seit der Kündigung vor einem Jahr nicht gezahlten Lohn nun nachträglich begleichen: Pro Monat waren das brutto deutlich mehr als 6000 Euro.

Tätigkeit als IM bei der Stasi? B. hat zweimal Nein gesagt

Der 58-Jährige Jürgen B. hatte zweimal eine Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) für das ehemalige DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wahrheitswidrig verneint – einmal 1991 auf einem Fragebogen zum Berufsstart für das neue Land Brandenburg und einmal im Herbst 2016, als er sich erfolgreich um den Chefposten des Landesinstituts für Rechtsmedizin beworben hatte. Für derlei Posten ist 2012 in Brandenburg nach einer Welle von Stasi- Enthüllungen eine Überprüfung eingeführt worden. Zudem sind sie stets Angelegenheit des Kabinetts von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). 

Das Sozialministerium hatte vor dem Gespräch mit B. vor einem Jahr von der Stasi-Unterlagenbehörden inzwischen gefundene Akten über Jürgen B. eingesehen – und ihn mit der Verpflichtungserklärung konftrontiert. Dennoch bestritt er eine Tätigkeit als IM, Deckname „Paul“. Das Ministerium sah das Vertrauensverhältnis als irreparabel zerstört an und entließ den Pathologen. Das Arbeitgericht Potsdam hob im Februar die fristlose Kündigung auf, befand aber auch, dass es dem Land wegen der Stasi-Lüge nicht zutrauen wäre, B. bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiterzubeschäftigen. 

Laut Stasi-Akten berichtete B. über Sex-Affären unter Kollegen und über den Geiz seines Vorgesetzten

Angeworben wurde IM „Paul“ mit Ende 20 wegen seiner „politisch-ideologischen Überzeugung“. Im September 1988, ein Jahr vor der Friedlichen Revolution, unterzeichnete B. eine Verpflichtungserklärung zur „politischen-operativen“ Durchdringung an seinem Arbeitsplatz. Er gab von 1988 bis Herbst 1989 informierte er den Führungsoffiziere über seine Kollegen am Zentralen NVA-Militärkrankenhaus in Bad Saarow, wo damals die Leichen der Maueropfer obduziert worden waren.

B. hatte bestritten gespitzelt zu haben. Er habe nur ohne bekannte Informationen weitergegeben. Wie aus seiner 40 Seiten dicken Stasi-Akte hervorgeht, berichtete B. – teils in einer konspirativen Wohnung – über Sex-Affären unter Kollegen, über den Geiz des Vorgesetzten und das ungepflegte Äußere von dessen Gattin, die er als redselig und gesellig beschrieb. Die Stasi wollte bei ihm Kompromittierendes abschöpfen, bedankte sich mit einem Präsent. Es war eine Schreibmappe im Wert von 30,50 Mark.

Laut Gericht sollen auch die Verdienste in 25 Jahren für das Land Brandenburg berücksichtigt werden

Die erneute, schwer wiegende Lüge darüber könnte nach Ansicht des Gerichts zwar eine Kündigung rechtfertigen. Auch stufte es laut Prozessteilnehmern das wiederholte Verheimlichen im Oktober 2016 als nicht unerheblich ein. Doch die Stasi-Verstrickung von B. wiegt laut Gericht nicht so schwer.

Auch müssten seine anerkannten Verdienste in 25 Jahren für das Land Brandenburg berücksichtigt werden, hieß es. Andere Kollegen, so erinnerte sich B. vor Gericht, waren Anfang der 90er gekündigt worden – nachdem sie durch den Fund von MfS-Akten der Stasi-Lüge überführt wurden. Im Jahr 2017, nach der im Vergleich zu anderen Ost-Ländern späten Wende bei Brandenburgs Stasi-Aufarbeitung, ist nun offenbar im öffentlichen Dienst Schluss damit. 

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