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Medizin des Rechts. Für das Land Brandenburg soll Jürgen B. keine Leichenschau – wie hier in der Rechtsmedizin Berlin – mehr durchführen.

© Doris Spiekermann-Klaas

EXKLUSIV: Leichen im Keller: Ein Stasi-Spitzel in Brandenburgs Rechtsmedizin

25 Jahre konnte Jürgen B. Karriere im brandenburgischen Landesinstitut für Rechtsmedizin machen. Er war Vize-Chef und sollte nun Direktor werden. Doch dann wurde seine Stasi-Akte bekannt. Ende der 80er-Jahre obduzierte er Maueropfer.

Potsdam - 26 Jahre nach der Wiedervereinigung wird Brandenburg wiederholt von der laxen Überprüfungspraxis bei Landesbediensteten auf Stasi-Mitarbeit eingeholt. Trotz der im Jahr 2012 von der Landesregierung reformierten Prüfpraxis ist nun erneut bei einem ranghohen Mitarbeiter eine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) festgestellt worden – allerdings durch puren Zufall.

Konkret handelt es sich um Jürgen B., der über Jahre im Zuständigkeitsbereich des Gesundheitsministeriums Karriere machte. Von 1994 bis 2010 war er Leiter der Außenstelle des Brandenburgischen Landesinstitutes für Rechtsmedizin in Frankfurt (Oder), danach war er sogar Vize-Direktor der Landesbehörde. Seine frühere Spitzeltätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit in der DDR blieb dabei allerdings 25 Jahre unentdeckt. Ende Dezember 1991 hatte er auf einem Personalfragebogen die Frage nach einer früheren Stasi-Mitarbeit verneint – und damit gelogen.

Jürgen B. wollte Direktor werden - dann kam der Stasi-Check

Doch diese Lüge flog erst jetzt auf. Aber nicht durch eine besonders harte Überprüfungspraxis in der Landesverwaltung, sondern weil sich der 58 Jahre alte Jürgen B. um einen höheren Posten beworben hatte. Er wollte Direktor des Landesinstituts für Rechtsmedizin werden. B. gewann sogar die in der Landesverwaltung intern vorgenommene Ausschreibung der Stelle. Zum 1. November sollte er den Posten antreten. Doch die Personalie ist kabinettspflichtig, muss also von der Landesregierung von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) abgesegnet werden.

Erst seit 2012 ist laut einem Regierungsbeschluss für solche Posten ein Stasi-Check vorgesehen. Allerdings hatte die damals von Matthias Platzeck (SPD) geführte Landesregierung trotz neuer Stasi-Fälle in der Justiz und in der Polizei nur einen zaghaften Stasi-Check beschlossen. Zustande kam dies, nachdem die seit 2009 regierende rot-rote Koalition anfangs von mehreren Stasi-Affären in der Linke-Landtagsfraktion erschüttert wurde und auf Druck der DDR-Aufarbeitung durch eine Enquetekommission des Landtags.

Der Stasi-IM blieb jahrelang unentdeckt

Die Forderung der Opposition aus CDU und Grünen nach einer Regelabfrage hatte der damalige Staatskanzleichef und heutige Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) ausdrücklich abgelehnt. Die Regierung hege keinen Generalverdacht gegen die Bediensteten, hieß es damals. Das Kabinett hatte lediglich eine Regelung beschlossen, die sie nun nachträglich in die Bredouille bringt.

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Demnach werden seit 2012 nur Politiker, Beamte und Landesbedienstete in Spitzenpositionen auf eine Stasi-Mitarbeit überprüft, bevor sie ein neues Amt oder eine Stelle antreten. Darunter fallen Minister, Staatssekretäre, politische Beamte sowie Richter und andere Beschäftigte, aber nur wenn sie erstmals die Leitung einer Behörde, eines Gerichts oder eines Landesbetriebs übernehmen sollen. Hätte sich Jürgen B. nicht beworben, um Direktor des Landesinstituts zu werden, wäre seine frühere Stasi-Tätigkeit nie aufgeflogen. Jahrzehntelang wurde wegen der nachsichtigen Prüfpraxis in Brandenburg nicht bemerkt, dass er schon 1991 seinen Dienstherrn über seine Vergangenheit täuschte.

Ausgerechnet die Linke-Ministerin Golze zeigt klare Kante

Immerhin greift das Gesundheitsministerium nun durch. Und das ist bemerkenswert, denn das Ressort wird von der Linke-Politikerin Diana Golze geführt. Das gesamte Prüfverfahren gegen B. leitet die Chefin der Zentralabteilung im Ministerium, ebenfalls eine Linke-Genossin. Das Ministerium hat B. im Oktober fristlos gekündigt. Allerdings nicht nur, weil er 1991 seine Stasi-Mitarbeit verschwieg. Er log auch im Jahr 2016 weiter.

Nachdem B. im Auswahlverfahren als Sieger für den Direktorenposten hervorging, ließ ihn das Ministerium von der Stasiunterlagenbehörde überprüfen. Es gab einen Treffer. In einem Personalgespräch wurde B. dann im Ministerium mit den Aktenfunden konfrontiert. Zunächst fand er Ausflüchte, er habe in seinem früheren Job bei der NVA als geheim eingestufte Unterlagen der Staatssicherheit unterzeichnen müssen. Die Frage, ob er eine Verpflichtungserklärung unterzeichnet habe, verneinte er. Als die Ministeriumsmitarbeiterinnen ihm die Verpflichtungserklärung vorlegten, wusste er, dass es vorbei ist. B. verteidigte sich noch, dass die Stasi-Mitarbeit damals dazugehörte. Und dass er schon 1991 hätte gehen müssen, wenn er die Stasi-Spitzelei eingeräumt hätte. Aber er habe nicht damit gerechnet, dass das alles noch einmal hochkommt.

B. war hoch geschätzt - seine Stasi-Lüge macht alles zunichte

Der Rechtsmediziner hat auch nicht damit gerechnet, welche Konsequenzen seine erneute Lüge hat. Ein Sprecher des Ministeriums bestätigte die PNN-Recherchen und erklärte, das Vertrauensverhältnis zu dem Mitarbeiter sei durch die erneute, bewusste Lüge nachhaltig zerstört, eine weitere Zusammenarbeit damit nicht mehr zumutbar. Der Mann habe die Gelegenheit bekommen, sich „freiwillig selbst“ zu seiner Vergangenheit zu erklären. „Er hat es nicht genutzt, sondern bewusst gelogen“, sagte der Sprecher.

Dabei hatte sich B. durchaus Ansehen erworben nach der Wende. Damals kam er beim Institut für Gerichtsmedizin des früheren Bezirks Frankfurt (Oder) unter, stieg im neuen Landesinstitut auf, machte sich einen Namen durch Vortragsreihen für Jugendämter über Kindesmisshandlungen, wurde Anti-Korruptionsbeauftragter. Doch das alles ist aus Sicht des Ministeriums entwertet, weil B. mit der erneuten Täuschung über seine Stasi-Verstrickung gezeigt habe, dass er nicht im Ansatz geläutert ist, keine Einsicht zeigt.

Spitzelberichte über Sex-Affären bei der NVA

Nun klagt B. gegen seine fristlose Kündigung vor dem Arbeitsgericht Potsdam. Bei einem ersten Gütetermin deutete die Richterin bereits an, was der Knackpunkt in dem Verfahren ist: Nämlich die Frage, wie eng er mit der Stasi zusammenarbeitete, wie verstrickt er in das Spitzelsystem war.

Noch im September 1988, ein Jahr vor der Friedlichen Revolution, unterzeichnete B. eine Verpflichtungserklärung zur „politischen-operativen“ Durchdringung an seinem Arbeitsplatz. Tätig war B. damals am Institut für Gerichtliche Medizin an der Militärmedizinischen Akademie in Bad Saarow, es war das zentrale Militärkrankenhaus der NVA. Unter dem Decknamen „Paul“ spitzelte er für die Hauptabteilung I der Staatssicherheit, die für Abwehr in der NVA und bei den Grenztruppen zuständig war. Die Stasi-Unterlagenbehörde fand zu B. 40 Seiten in ihren Archiven. Von der Stasi angeworben wurde B. wegen seiner „politisch-ideologischen Überzeugung“.

Im Hauptberuf obduzierte er die Leichen der Maueropfer

Bereits vor seiner Verpflichtung bekam B. den Auftrag, andere zu bespitzeln. Vermerkt sind in den Akten für die Zeit bis Juni 1989 acht Treffen, teils in einer konspirativen Wohnung in Königs Wusterhausen. Insgesamt elf Berichte erstellte B. für die Stasi. Seine Berichte selbst sind bei der Stasiunterlagenbehörde bislang nicht auffindbar. Allerdings schrieb der Führungsoffizier auf, worum es teilweise ging: Es wurde schmutzige Wäsche gewaschen, es ging um Intrigen und heimliche Sex-Affären unter den Kollegen. Wie wertvoll seine Berichte waren und wie tief verstrickt B. war, zeigt ein anderer Umstand: An seinem 30. Geburtstag im April 1989 erhielt B. von seinem Führungsoffizier „in Anerkennung“ der geleisteten Arbeit ein Präsent. Es war eine Schreibmappe im Wert von 30,50 Mark.

Bemerkenswert ist auch, welcher Tätigkeit genau B. in Bad Saarow nachging. Nach eigener Aussage unterlag das alles der Geheimhaltung. Er obduzierte etwa die Leichen von Maueropfern. Bekanntlich sind die Mauertoten von DDR, verschwiegen oder „legendiert“ worden. In Bad Saarow wurden auch Todesursachen, Totenscheine, kriminalistische Befunde und Obduktionsberichte gefälscht. Ob auch B. dabei mitmachte, ist nicht bekannt. Zumindest aber wirft es Fragen auf, dass ausgerechnet B. jahrelang Vize-Chef der Rechtsmedizin des Landes sein konnte – und sogar ihr Direktor hätte werden können.

Egal wie das Verfahren vor dem Arbeitsgericht ausgeht: Das Ministerium hat vorsorglich auch die fristgerechte Kündigung zur Jahresmitte 2017 vorbereitet. Gesprächsangebote dazu lehnt B. aber kategorisch ab.

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