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Filigrane Form. Marmoriertes Aquarell von Tina Flau, das im Atelier von Christian Fleming zu sehen sein wird. Der Tag der offenen Ateliers findet am 7. Mai von 11 bis 18 Uhr statt.

© Andreas Klaer

Ferne Welten, ganz nah: Tina Flau führt durch Potsdams offene Ateliers

Am 7. Mai ist Tag der Offenen Ateliers. Über 40 Orte sind dabei. Die Künstlerin Tina Flau stellt drei Entdeckungen vor - und sagt, was Kunstschaffenden in der Mark fehlt.

Der Kunst will man nicht ansehen, wie schwer es ist, sie zu schaffen. Das wusste schon Picasso, sagt Tina Flau in ihrem Potsdamer Atelier. Einige Bilder, sorgfältig gerahmt, warten auf den Abtransport nach Bornstedt. Dass sie an der Marmorierungstechnik, die sie dort am Tag der Offenen Ateliers zeigen wird, fast zehn Jahre lang gefeilt hat, dass hinter den feinen Linien und filigranen Formen viele Fehlversuche und zigfaches Nachjustieren stecken, nächtelanges Experimentieren mit schleimigen Wasserbädern und feingliedrigen Kämmen: Von all dem auf dem Papier keine Spur.

Das Atelier von Tina Flau liegt in einem Dachgeschoss in Potsdam-West, alle Blicke gehen Richtung Baumkronen. Von der Natur geht alles aus, auf sie läuft alles hinaus, auch in der Kunst von Tina Flau. Für ihre Motive hat sie sich lupengenau den kleinsten Bausteinen der Natur genähert. Getuschte Mikroalgen auf handgeschöpftem Papier, Mikroplankton als strahlende Farbtiefdrucke. Jedes Blatt ein Kunstwerk, in dem viel Handwerk steckt. Würde das Wort Kunsthandwerk nicht immer automatisch einen Graben zur Kunst aufreißen: Hier träfe es voll und ganz zu. Bei Tina Flau ist beides nicht zu trennen.

Orte, die sonst keiner kennt

Wenn am 7. Mai 41 Ateliers und Atelierhäuser in Potsdam ihre Türen öffnen, wird das von Tina Flau nicht dabei sein. Denn während ihre eigene Kunst im arkadischen Bornstedter Atelier von Christian Fleming (Eichenallee 26) gastiert, ist Tina Flau mit dem Rad unterwegs. Per Fahrradtour bringt sie kunstaffine Menschen an Orte, die sie sonst vielleicht nie kennenlernen würden. Zum sechsten Mal bereits. Als sie die erste Tour plante, plante sie noch fünf Orte mit sieben Künstler:innen, lernte aber schnell: Wer zu viel zu hastig zu sehen versucht, sieht am Ende nichts wirklich. Deshalb peilt sie in diesem Jahr nur drei Ateliers an. Die Tour ist ausgebucht, aber: Erkunden kann man die Empfehlungen von Tina Flau auch auf eigene Faust.

Die Potsdamer Künstlerin Tina Flau in ihrem Atelier.

© Andreas Klaer

„Ich versuche immer eine Mischung“, sagt Tina Flau über ihre Auswahl. „Verschiedene Themen, Herangehensweisen, Altersgruppen, Männer und Frauen, Potsdamer:innen und Zugezogene.“ Ein Balanceakt. Als Ausgangspunkt hat sie in diesem Jahr das jüngst grundsanierte Atelierhaus Scholle 51 (Geschwister-Scholl-Straße 51) gewählt. Eine der fünf Künstler:innen, die hier ihr Atelier öffnen, ist Gabriele Zimmermann, ein „spielerischer Anfang“, sagt Tina Flau. Mit ernstem Grundton. Zimmermann musste nach einer Erkrankung an Multipler Sklerose das Kunstmachen von Grund auf neu lernen. Von einer China-Reise brachte sie ein Schmuckstück in Form eines Kois mit nach Hause. Seitdem sind Kois das Hauptthema für Zimmermann: ob in feinen Zeichnungen, in abstrahierter Form oder auf Kuben aus Papier.

Atelier Christian Fleming in Potsdam-Bornstedt. Hier sind Tina Flaus Marmorierungen zu Gast, während die Künstlerin andere Menschen durch Potsdam führt.

© Andreas Klaer

Die Scholle 51 gilt es wiederzuentdecken. Völlig unbekannt hingegen dürfte vielen der Ort sein, den der in Marquardt lebende Künstler Albrecht Walter öffnet. „Chambre subtil“ nennt er sein Atelier im Haus des Potsdamer Kunstvereins, Charlottenstraße 121. „Ein kleiner Raum zum Garten“, so beschreibt Tina Flau den Ort. Albrecht Walter, Jahrgang 1958, ist bildender und schreibender Künstler, Musiker und Performer. Besucher:innen, die den Weg zu ihm finden, sollen von all dem etwas erleben. Walter selbst nennt seine Kunst „präsensorisch“ und arbeitet mit einem Format, auf das sich auch Tina Flau spezialisiert hat: Künstlerbücher.

Keine kunstsinnige Stadt?

Die dritte Künstlerin, die Tina Flau empfiehlt, ist Birgit Ginkel. „Eine unglaubliche Künstlerin“, sagt Flau, „so eigen und reflektiert wie nur wenige andere.“ Ginkel hat ihr Atelier in Potsdam-West, Auf dem Kiewitt 23. Seit 1993 ist sie Referentin am Landtag Brandenburg, Fachgebiet: Angelegenheiten der Sorben und Wenden. Als Künstlerin arbeitet sie, wie Flau, bevorzugt mit Naturmaterialien. Mit Kohle, Beton, Sand, aber auch mit Edelsteinen und Blattgold. Sie hat sie sich mit der Lausitz beschäftigt und mit den Biografien von Menschen, die an der Berliner Mauer erschossen wurden. Auch die eigene Biografie hat Eingang in die Arbeit gefunden. 2002 starb ihr Sohn, erst vier Monate alt. Ginkel goss ihre Trauer damals in Kunst.

Allein dass eine Künstlerin wie Birgit Ginkel in Potsdam lebe, müsse die Stadt eigentlich stolz auf ihre Kunstschaffenden sein lassen, findet Tina Flau. Und konstatiert doch auch: „Eine wirklich kunstsinnige Stadt ist Potsdam nicht.“ Für das Land Brandenburg sieht die Analyse noch düsterer aus. „Eigentlich kann man kaum von einer Brandenburger Kunstszene sprechen. Zumindest wird sie nach außen nicht wahrgenommen.“ Auf Berlin schaue das ganze Land, aber Brandenburg?

Dort fühlen sich die Künstler:innen nicht gesehen, sagt Flau. Das sah sie bereits 2013 so, als sie eine der ersten Preisträger:innen des Brandenburgischen Kunstförderpreises war. Und auch wenn es künstlerisch für sie gut lief, sie international verkauft, sich Künstler:innen in der Mark gegenseitig unterstützen und während der Pandemie gut unterstützt wurden: Ihren Blick auf Brandenburg geändert hat das nicht. „Uns fehlt es an Anerkennung der Arbeit, die wir leisten.“ Eine Messe wie die 2005 gegründete Art Brandenburg half, sagt Flau. Nur: Die letzte fand 2017 statt.

Der arakadische Garten beim Atelier Christian Fleming in Potsdam-Bornstedt, Eichenallee 26.

© Andreas Klaer

„Ich bin nicht so wichtig“

Tina Flau selbst ist gelernte Landwirtin, hat einige Zeit in dem Beruf gearbeitet, ein Knochenjob. Später beim Kunststudium in Dresden kamen ihr Kraft und Ausdauer entgegen: Auch beim Erstellen von großformatigen Drucken braucht man beides. Der Übergang von der ökologischen Landwirtschaft zur Kunst ist für manche erstaunlich, für Tina Flau war er selbstverständlich.

Die Brücke, auf der sie vom einen Metier ins andere spazierte: Die Auseinandersetzung mit der Natur, wissenschaftlich fundiert. Flau hat in den 1980er Jahren in der landwirtschaftlichen Forschung mitgearbeitet, Agrarwirtschaft studiert. Als Künstlerin, suchte sie immer wieder die Nähe zum Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. „Wenn man sich heute den Umgang mit der Natur anschaut, ist das doch eine Arroganz sondergleichen.“

„Man sollte eigentlich um jeden einzelnen alten Baum kämpfen“, sagt sie. Stattdessen werden Bäume immer wieder für neue Bauprojekte gefällt, gerade in Potsdam. Solche Fällungen kommen ihr vor wie Hinrichtungen. Tina Flau ist in der Kunst von Tina Flau im Übrigen kein Thema. „Ich bin nicht so wichtig. Wenn man wirklich darüber nachdenkt, zählt doch nur das“, sagt sie und zeigt aus dem Fenster. Und vielleicht noch das, was sie am Sonntag erradeln wird.

Das ausführliche Programm für den Tag der Offenen Ateliers steht online unter www.potsdam.de

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