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Der Bühnenbildner Matthias Kupfernagel in der Ausstellung seiner Fotografien im Potsdam Museum.

© Andreas Klaer

Einblicke in die Sperrzone: Mit Matthias Kupfernagel entlang der Mauer

Der Bühnenbildner war zwischen Dezember 1989 und März 1990 in den Grenzanlagen der DDR als Fotograf unterwegs. Im Potsdam Museum sind die Fotos nun zu sehen.

Um aus dem Norden Berlins nach Potsdam zu kommen, brauchte man bis 1989 eine halbe Ewigkeit. Grund war jener „antikapitalistische Schutzwall“, der seit 1961 die DDR von Westberlin und dem Rest der Welt trennte. Die Mauer, 156 Kilometer lang, machte Westberlin zu einer Insel, die es zu umschiffen galt.

Auch die Ausstellung im ersten Stock des Potsdam Museums führt einmal um Berlin herum. „Entlang der Mauer“ heißt sie. Eine kleine Sensation, in doppelter Hinsicht. Zu sehen sind erstens knapp einhundert Fotos des Bühnenbildners Matthias Kupfernagel von einem Terrain, das jahrzehntelang absolute Sperrzone war. Zweitens gehören diese Fotos nun dem Potsdam Museum. Kupfernagel hat sie dem Museum als Teil seines Vorlasses geschenkt.

Vermittelt hat Markus Wicke vom Förderverein des Museums. Im Juni. Dass daraus so schnell eine Ausstellung werden konnte, verdankt sich der Initiative von Restaurator Oliver Max Wenske, der diesmal Kurator ist. Ein Glücksfall im Glücksfall: 2012 waren die Fotos schon in einer Ausstellung der Berliner Unterwelten zu sehen. So lagen auch die Abzüge schon vor.

Kupfernagels Bilder zeigen den Grenzstreifen in authentischem Zustand.

© Andreas Klaer

Matthias Kupfernagel, Jahrgang 1948, arbeitete im Winter 1989 eigentlich an einer Inszenierung von Herbert Olschok am Berliner Ensemble. Wann immer er Zeit fand, erkundete er mit seiner Mamiya 6 das Terrain, das bis kurz zuvor Todesstreifen gewesen war. „Mir war damals schon klar, dass dieser Zustand nur von kurzer Dauer sein würde“, sagt Kupfernagel. Also bemüht er sich kurz nach dem 9. November bei den Behörden um Zugang zum Gelände. Kein leichtes Unterfangen.

Sagenhafte 2317 Fotos

Es ist eine Zeit im Übergang. Zuständigkeiten sind unklar, Kupfernagel wird von einer Institution an die nächste verwiesen. Und erhält sie schließlich doch, die Genehmigung für „eine Fotodokumentation über die Staatsgrenze der DDR in der Hauptstadt Berlin als technisches Denkmal sowie die Veränderungen des Erscheinungsbildes im kommenden Zeitraum“. Ausgestellt vom Kommandeur des Grenzkommandos Mitte.

Sagenhafte 2317 Fotos entstanden zwischen Ende Dezember 1989 und Ende März 1990. Was die Fotos aus der Sicht von Judith Granzow, Leiterin der fotografischen Sammlung, so besonders macht: Sie zeigen den Grenzbereich in authentischem Zustand. Bevor Mauerstücke abgetragen, Stacheldraht entfernt wurde. Die Bilder halten jenen kurzen Moment fest, als der Todesstreifen ausgedient hatte, aber noch da war.

Zudem hat Kupfernagel jedes einzelne Foto mit exakten Ortsangaben versehen, einzeichnet auf minutiös vergrößerten Landkarten, die sich in der Ausstellung nachvollziehen lassen. Bislang befanden sich nur einzelne Fotografien des Mauerstreifens im Museumsbestand: von Klaus D. Fahlbusch und Monika Schulz-Fieguth etwa, sowie vom Grenzregiment 44. Kupfernagels nahezu geschlossene Dokumentation des Mauerstreifens: Neuland. Die Bilder sind jedoch viel mehr als Dokumentation. Kupfernagel, der Theatermann, hat einen Blick für Strukturen, Bildaufbau, Spannung. An vielen Stellen blickt er von oben aufs Gelände, zeigt Stacheldraht, Mauern, Reifenspuren von einem Wachturm aus. Andernorts zeigt er, wie absurd nah der Alltag dem Sperrgebiet kam: In Höfen der Kremmener Straße in Mitte steht eine Sitzbank direkt an der Mauer. Daneben Wäscheleinen.

Kupfernagel musste sich verpflichten, während des Projekts keine Fotos zu veröffentlichen und auch nur mit Zustimmung des Grenzkommandos. Ansonsten bewegte er sich im Todesstreifen wie ein exklusiver Tourist: Am Vorabend war sein Fotomotiv anzumelden („fernmündlich“), dann chauffierte ihn ein Mitglied des Grenzkommandos zum Ziel. Wer wissen wolle, wie es sich anfühlte im Dezember 1989 in dem Land, das gerade so noch DDR war, müsse Kleists Novelle „Das Erdbeben von Chili“ lesen, sagt Kupfernagel. Ein Land, das bebte. „Entlang der Mauer“ zeigt beklemmend die Grenzpfosten dieses Landes, kurz bevor sie abgetragen wurden.

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