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© privat

Postkarte aus den 80ern: Wo ein Hauch von Berlusconi-TV die Berlinale umweht

Turmhohe Frisuren und ein Show-Act auf dem Niveau von Al Bano und Romina Power. Bei der „Notte delle Stelle“ kann man so richtig schön aus der Zeit fallen.

Eine Kolumne von Aline von Drateln

Okay, das Kleid für die italienische Berlinale-Gala habe ich. Aber woher kriege ich jetzt den Busen von Sophia Loren? Im Taxi zögere ich kurz, ob mein Tweet mit dem Beweisfoto nicht zu offenherzig ist. 2023 will man mit feministischer Selbstironie Likes anlocken, keine Lustmolche.

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Angekommen im Hotel Palace ist kein Platz mehr für Political Correctness. Hier ist die Zeit stehengeblieben. Das Europacenter ist einer dieser Berliner Orte, die wie Postkarten aus den 80ern in Technicolor verblassen. Aber vielleicht ist es heute gar nicht schlecht, aus der Zeit zu fallen, wenn doch die Zeit gerade so furchtbar ist. Der Jahrestag von Putins Angriffskrieg scheint mir ein guter Tag, ein Event namens „Notte delle Stelle“ zu besuchen.

Drinnen turmhohe Frisuren wie abnehmbar. Die Prominenz: Schauspieler, TV-Stars. Julian Stöckel, best dressed mit pinkfarbenem Turban. Micaela Schäfer, in deren Nähe das Wort Atombusen fällt, und ich zucke kurz zusammen. Cheerleader tanzen. Wo Italien feiert, spürt man auch immer einen Hauch Berlusconi-TV. Es duftet nach schwerem Parfum und süßem Spumante. Ein Showact auf dem Niveau von Al Bano und Romina Power. Um 20 Uhr 37 gibt es ein Medley aus „Spanish eyes“ und „It’s now or never“, um 20 Uhr 44 schwofen die ersten Paare.

Gala-Gäste Kader Loth, Julian F. M. Stoeckel und Micaela Schaefer.

© IMAGO/Marja/imago

Nach der natürlich köstlichen Vorspeise die Preisverleihung: Vier Schauspieler, die sich aufrichtig freuen. Die 26-jährige Mala Emde bedankt sich und erbittet „für das nächste Mal auch männliche Cheerleader“. Für sie sei es „okay, Teil dieser Veranstaltung zu sein, die das Leben feiert“, sagt sie mir später. „Aber wenn hier schon Menschen zum Lustobjekt gemacht würden, dann alle!“

Diese Gnade der späten Geburt hatte die ausgezeichnete italienische Aktrice nicht. Geboren 1936, wurde Valeria Fabrizi Zeit ihrer Karriere in die Rolle des schmückenden Beiwerks gepresst. Hier auf der Bühne strahlt die 86-Jährige diese einzigartige Schönheit aus, wie sie nur alte Italienerinnen haben. Minutenlang lässt sie den Moderator ein Mutter-Teresa-Zitat über Alter und Würde übersetzen. Die Cheerleaderinnen wedeln zum Applaus mit ihren goldenen Pompons.

Winfried Glatzeder, die Berliner lebende Legende, sieht aus wie ein italienischer Lebemann. Der schönere alte Belmondo. Charmant uneitel gesteht er mir seine Eitelkeit, die ihn jeden Preis annehmen lässt, den man ihm gibt. Er muss lauter sprechen, weil gerade die lateinamerikanischen Tänzerinnen einmarschieren.

Eigentlich müsste jetzt eine Mercedes A-Klasse hereinrollen und der Wettkönig gekrönt werden, denkt die Zeitzeugin in einem ungewohnten Anflug von Westalgie. Hier wird gefeiert, als gäbe es kein Heute mehr. „Ab Mitternacht geht’s erst richtig los!“, ruft ein begeisterter Gast an meinem Tisch. Um diese Uhrzeit liegt die Kolumnistin am vorletzten Tag der Berlinale aber schon abgeschminkt in der Badewanne.

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