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Am Ende wird gefeiert. Am Samstag wurden im Berlinale-Palast die Bären verliehen. Später verlagerte sich die Party in den Club Crackers.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Aufbruch in den Filmhimmel: Die Bärenparty der letzten Berlinale-Nacht

Wenn die Preise vergeben sind, sammeln die Festival-Gäste letzte Erinnerungen an eine Gemeinschaft, die so nie wieder zusammen kommt.

Zu den abschließenden Bildern, die jetzt mit den letzten Berlinale-Gästen unterwegs sind in alle Welt, gehört der Tanz der Schneeflocken über dem Roten Teppich, typisch Berlin. Der gibt Jury-Präsidentin Kristen Stewart am Ende eindrucksvoll Gelegenheit, noch einmal zu zeigen, welche physischen Hochleistungen der Beruf den Schauspielern abverlangt.

Unerbittlich cool gibt sie in ihrem aufregenden semitransparenten Abendkleid Autogramme, lässt sich lächelnd fotografieren. Dass ihr möglicherweise bitterkalt sein muss, ist allenfalls daran zu merken, dass sie bei der letzten Kür vor den geduldig wartenden Fans zwischendurch immer mal wieder in einen schwarzen Mantel schlüpft. Ausfallen möchte man in dem Beruf eben auch nicht.

Bittersüßer Neuanfang

Wenn in Berlin klassisch zu Brot und Wein geladen wird, gibt es oft Laugenbrezeln zum Essen. Hier auch, aber nach der Gala können Sieger wie Besiegte im Foyer des Berlinale-Palastes auch noch zum Campari greifen.

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Filme wurden während der Berlinale gezeigt.

Der bittersüße Aperitif zog sich wie ein roter Faden durch ein Festival, das auf Sponsoren eben auch angewiesen ist. Während das Engagement bei den deutschen Vorzeigemarken noch ausbaufähig scheint, ist diesmal immerhin der Ort des Geschehens, der „Potsdamer Platz“ als Unterstützer dabei.

Poesie. Aber das ist kein Beruf.

Psychiatriepatient im Gewinnerfilm

Es braucht eine ganze Weile, bevor die Gesellschaft der Einladung der Festivalleitung zur nächtlichen Bärenparty ins Crackers, den Club in der Friedrichstraße, folgen kann.

Trophäe über der Abendtasche Ton in Ton

Immer wieder bilden sich Gratulationsspaliere, werden Bären umklammert und hochgehoben, Glückwünsche entgegengenommen. Thea Ehre, im leuchtend pinkfarbenen Hosenanzug, hält ihre Trophäe fest über der silbrigen Abendtasche.

Im Saal wird nach einer kurzen Erläuterung von Festivalchef Carlo Chatrian, warum dieser Film so bedeutend und wichtig ist, der Gewinner „Sur l’Adamant“ über eine Tagesklinik in Paris für Menschen mit psychischen Problemen gezeigt.

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Bären fanden bei der Abschlussgala neue Besitzer.

Einer der Patienten antwortet da auf die Frage, ob er einen Beruf hatte, mit „Nein“. Und fügt nach einer kurzen Pause hinzu „Poesie. Aber das ist kein Beruf.“ Hätte er doch die Szene sehen können, die sich kurz zuvor abgespielt hat auf dem Roten Teppich, über den man eben nicht nur in den Berlinale-Palast hineinkommt, sondern auch wieder heraus.

Das Festival selbst produziert Poesie. Sofia Otero ist als kleines Mädchen hineingegangen. Nun schreitet die erst 8-jährige Gewinnerin eines Silbernen Bären wieder hinaus, geht auf eine schwarze Wand aus Kameraleuten und Fotografen zu, die ihr entgegenrufen, begierig ein Foto von der neuen Hoffnung am Filmhimmel zu ergattern.

Die Würfel sind gefallen

Respektvoll wartet derweil im Hintergrund Nicolas Philibert mit seinem Goldenen Bären in der Hand, will dem Kind die Schau nicht stehlen und folgt erst, als dessen Limousine losfährt. Was für ein schönes Einstiegsbild für ein Remake von „A Star Is Born“, ganz auf großes Kino umgedacht.

Die Atmosphäre zwischen Anfang und Ende der Berlinale könnte nicht unterschiedlicher sein. Am Anfang treffen die Spitzen der Berliner Gesellschaft auf die Spitzenriege der deutschen Film- und Fernsehschauspieler, ein bisschen feierlich geht es zu, ein bisschen angespannt und natürlich herrscht Vorfreude auf die tollen Tage des Schaulaufens.

Am Ende dominiert eine fröhliche Ausgelassenheit, Filmteams aus aller Welt kommen zusammen in einer wuselig lebhaften Atmosphäre. Die Würfel sind eh gefallen, und in dieser einzigartigen Zusammensetzung wird man sich wohl nie im Leben wiedersehen.

Wie es früher war

Längst nicht alle sind berühmt oder einem breiteren Publikum auch nur bekannt, die da über den roten Teppich gehen, aber der Kunst sind sie alle verfallen. So wie der Schriftsteller und Regiedebütant Paul Preciado, der fast von der Bühne geflogen wäre, wenn die Moderatorin Hadnet Tesfai ihn nicht souverän aufgehalten und zur Treppe gewiesen hätte.

Viele sind nicht vertraut mit Berlin, aber wohl alle nehmen unvergessliche Bilder mit. Mit Ulrich und Erika Gregor sitzen aber auch echte Veteranen im Publikum, die viel erzählen können über die Geschichte des Festivals, wenn interessierte Sitznachbarn sie danach fragen.

Die Diskokugel ist jetzt der Star

Im Crackers duftet es später nach Joint und Laugengebäck, das in Körben vor den Bars bereitsteht, es wird schon überraschend früh getanzt, die D-Janes tun ihr Bestes. Filmkritiker treffen hier auf Repräsentanten der Sponsoren, Regisseure, Produzenten, Schauspieler aus den verschiedenen Sektionen.

Die Kameras sind draußen geblieben, die Fotografen auch. Über der Tanzfläche ist jetzt die Diskokugel der Star, während es voller und voller wird. Zeit, noch einmal die Frage zu erörtern, welche Party einen Bären verdient hätte, Babelsberg oder doch das bewegende Berlinale-Fest in der US-Botschaft mit Steven Spielberg und Amy Gutmann als erfolgreichen Nachfahren jüdischer Familien, die aus Europa in die USA flüchten mussten.

Eine Party fehlte jedenfalls. Natürlich ist es praktischer und kostengünstiger, Kinotickets im Internet zu kaufen, als stundenlang Schlange zu stehen. Aber öfter war auch die Klage von örtlichen Film-Fans zu hören, dass die Berlinale-Schlange fehlt, die Begegnungen mit Besuchern aus aller Welt, das Kennenlernen, der Austausch.

Jetzt beginnt die Vorbereitung der nächsten Berlinale 2024. Vielleicht kann man die Schlange neu erfinden als Party für alle, mit Piccolos und Laugenbrezeln aus dem Bauchladen.

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