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Punk-Ikone Jan Off auf dem Potsdamer Theaterschiff.

© Oliver Köhler

Stadt, Land, Ausfluss: Punkliteratur-Ikone Jan Off las in Potsdam

Mit „Vorkriegsjugend“ gelang Jan Off 2003 der Durchbruch. Jetzt stellte er sein neues Buch „Liebe, Glaube, Hohngelächter“ auf dem Theaterschiff vor.

Von Oliver Köhler

Gerade war Jan Off der literarische Durchbruch mit seinem Roman „Vorkriegsjugend“ gelungen, als er 2004 mitten in Sachsen in einem Jugendzentrum las und geschah, was geschehen musste: Die auf Krawall gebürstete Nazidorfjugend tauchte bei der Lesung auf und pöbelte, irgendwann flogen die Fäuste, Fenster gingen zu Bruch. Willkommen im Osten. 

Off selbst ist gebürtiger Braunschweiger und Wahl-Hamburger. In „Vorkriegsjugend“ ging es um Heranwachsende im Punk-Milieu einer miefigen westdeutschen Kleinstadt in den 80er-Jahren, aber inzwischen ist der Ost-West-Topos im Oeuvre Jan Offs immanent und taucht immer wieder allegorisch auf. Die meisten Jugendzentren sind inzwischen verschwunden, auf der Bühne sitzt Jan Off jedoch noch immer - wie am vergangenen Samstag (19.11.) auf dem Potsdamer Theaterschiff.

Lieber Liegestütze als Applaus

„Liebe, Glaube, Hohngelächter“ lautet der Titel seines jüngsten Romans. Er ist eine Weitererzählung des Debüts. Das Sujet über jugendliche Rebellion griff der Autor, Musiker und Clubbetreiber Rocko Schamoni mit „Dorfpunks“ auf, eine Lightversion allerdings, die nie an das Offsche Original herankam - es fehlte ihr einfach die parodistische Bissigkeit. Kommerziell war es freilich erfolgreicher.

Die Ikone der Punkrock-Literatur bleibt jedoch Jan Off, der sich gut gelaunt und halbwegs von seiner Long-Covid-Erkrankung erholt in Potsdam präsentierte. Off erzählte mehr, als er vorlas, mit seiner eigenwilligen Brachialrhetorik, den impulsiv-ausladenden Handbewegungen. Das reichte bis hin zum Kommentar des aktuellen Weltgeschehens, Stichwort Putin: Vor dem müsse man die ganze westlich-verschwulte Dekadenz verteidigen, um den Tag zu feiern, an dem er das Zeitliche segne. Dazu ein Gedicht - und den ersten Applaus des Abends. „Applaus?“, geiferte Off von der Bühne zurück. „Wenn’s nach mir ginge, sollten die Leute Liegestütze machen!“

Wanderungen im Harz auf LSD

Es folgten einige Geschichten mit dieser priesterhaften Rhetorik und dem unverwechselbarem Sprachrhythmus, der die Pointen vorwärtsschiebt, über elterliche Wanderungen im Harz auf LSD („es legte sich eine Traurigkeit über uns, die dem Sarkophag von Tschernobyl gleichkam“), über Harndrang im besetzten Haus oder unter dem Titel „Stadt. Land. Ausfluss“ die Eskalation eines Bingo-Abends im Altersheim. 

Viele seiner Erzählungen seien im Rausch geschrieben worden, wie weiland Charles Bukowski, erzählt Jan Off. So ganz gehe das jetzt nicht mehr: Früher waren es noch zwei Schachteln Kippen am Tag, jetzt höchstens mal eine Fluppe nach der Lesung, auch die sechs Flaschen Bier zum Warmwerden gingen jetzt nicht mehr. Dennoch: Von Alterserscheinungen keine Spur. Und Gedichte zum Thema Kokain sind ja auch irgendwie zeitlos. Mehr kann man von einem literarischen Abend nicht erwarten.

Jan Off: Liebe, Glaube, Hohngelächter. Ventil Verlag 2022, 176 Seiten, 16,00 Euro

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