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Potsdam gedenkt der Opfern des NS-Regimes: Vom Schrecken erzählen

Zum internationalen Holocaust-Gedenktag gab es auch Veranstaltungen in Potsdam, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnerten. Redner warnten vor neuen rassistischen Tendenzen.

Babelsberg/Innenstadt - Er war bis zu seinem Tod im Jahr 2009 einer der wenigen Zeitzeugen in Potsdam, der das Konzentrationslager Auschwitz überlebte und von den unvorstellbaren Schrecken erzählen konnte – Willi Frohwein. An dem nach ihm benannten Platz in Babelsberg versammelten sich am gestrigen Dienstag rund 40 Potsdamer, darunter viele Lokalpolitiker und Vertreter der Opfer, um anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktages an den Massenmord an den europäischen Juden zu erinnern. Sie legten Blumenkränze am Straßenschild des Platzes rund um den Findling an der Großbeerenstraße nieder. Es war eine von zwei Holocaust-Gedenkveranstaltungen, am Nachmittag trafen sich in der Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 auf Einladung des Fördervereins der Gedenkstätte geschätzt rund 60 Potsdamer mit demselben Anliegen.

Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten ist und bleibe notwendig, betonte Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) am Morgen in seiner Rede. Nur so könne man aus der Vergangenheit lernen und für die Zukunft wachsam bleiben, um „mögliche rassistische und antisemitische Tendenzen in unserer Stadt schon im Keim zu ersticken“. An die Sympathisanten der islam- und ausländerfeindlichen Pegida-Bewegung gerichtet sagte Jakobs, man werde in der Landeshauptstadt „allen gesellschaftlichen Bestrebungen, Sündenböcke für soziale Probleme und Herausforderungen im ,Fremden’ und im ,Anderen’ zu suchen, ganz entschieden entgegentreten“.

"Erinnerungskultur wird in Potsdam gelebt"

Erinnerungskultur werde in Potsdam nicht nur organisiert, sondern gelebt, so Jakobs. Er sei besonders stolz auf das von Schülern begleitete Stolpersteine-Projekt des Kölner Künstlers Günter Demnig, bei dem mit pflastersteingroßen Gedenksteinen auch an Potsdamer Opfer des NS-Regimes erinnert wird – vor deren früherer Wohnadresse. 29 Schicksale haben die Potsdamer Schüler dabei seit 2008 recherchiert. „Sie geben dem Unfassbaren ein Gesicht und reißen die Opfer aus Anonymität und Vergessen“, so Jakobs.

Dass Erinnerungsarbeit notwendig ist, betonte auch Birgit Müller (Linke), die Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung. Sie verwies auf eine Emnid-Umfrage, der zufolge das Wissen über den Holocaust in der Bevölkerung 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges zunehmend schlechter wird.

Willkommenskultur für Flüchtlinge gefordert

Der industriell organisierte Massenmord in Auschwitz und den anderen NS-Konzentrationslagern müsse weiter im Bewusstsein bleiben, forderte Potsdams Kulturbeigeordnete Iris-Jana Magdowski (CDU) am Nachmittag in der Lindenstraße. Auch die schweigende Mehrheit der Deutschen habe sich damals mitschuldig gemacht, betonte sie: Das Verschwinden der jüdischen Nachbarn aus dem sozialen Umfeld müsse vielen aufgefallen sein. „Die schweigende Mehrheit waren auch Täter, das waren keine Opfer“, so Magdowski. Daraus erwachse heute die Verantwortung, ethnische Säuberungen und anderen Gräuel, wo auch immer sie auftreten, zu verhindern – und denen, die mörderischen Regimen als Flüchtlinge entkommen können, zu helfen. Zum entschiedenen Auftreten gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und für eine Willkommenskultur für Flüchtlinge rief auch Claus-Peter Ladner, der Vorsitzende der Fördergesellschaft Gedenkstätte Lindenstraße, in seiner Rede auf.

Um den passenden Ort für ein angemessenes Auschwitz-Gedenken in Potsdam hatte es in den vergangenen Jahren regelmäßig Streit gegeben. Die früher von der Stadt gewählte Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 war vom NS-Opferverband Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) abgelehnt worden, weil dort aus ihrer Sicht Opfer der NS-Zeit und der Zeit der DDR-Diktatur gleichgesetzt würden und es keinen eigenen Gedenkort für die NS-Opfer gebe. Man halte an dieser Kritik fest, sagte Marcus Pilarski vom VVN-BdA den PNN am Dienstag am Rande des Gedenkens. Er lobte gleichzeitig die Entscheidung der Stadt für den Willi-Frohwein-Platz: „Es ist ein würdiger Platz.“

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