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Reaktor für die Forschung. Versuchsaufbauten in der V-Halle im Helmholtz-Zentrum Berlin.

© Thilo Rückeis

Potsdamer Bürgerhaushalt 2017: Widerstand gegen Wannsee-Reaktor

Beim laufenden Potsdamer Bürgerhaushalt für 2017 liegt die Forderung nach einer Klage gegen den Wannsee-Forschungsreaktor auf Platz eins. Die Stadt will ihre rechtlichen Möglichkeiten prüfen.

Potsdam - Der Forschungsreaktor Wannsee am Helmholtz-Zentrum Berlin könnte wieder Thema für die Potsdamer Stadtpolitik werden: Beim laufenden Bürgerhaushaltsverfahren landete der Vorschlag, die Stadt soll gegen die Betriebsgenehmigung des Atomreaktors in unmittelbarer Nähe der Stadtgrenze Klage einreichen, mit 350 Punkten auf Platz zwei in der ersten Votierungsrunde. Am 10. Juni endete die erste Abstimmung.

Eingereicht hat den Vorschlag der Babelsberger Horst Furtner. Als Anwohner wäre er im Katastrophenfall betroffen, der Stadtteil liegt im Vier-Kilometer-Radius um die Anlage. Viele Potsdamer hatten wie er Ende 2014 die aktualisierte Auflage der Broschüre „Information für die Umgebung des Forschungsreaktors“ in den Briefkästen, mit den Hinweisen und Verhaltensregeln für den Ernstfall.

Potsdamer Rathaus ohne Einfluss

Seit gut einem Jahr engagiert sich Furtner beim Anti-Atom-Bündnis in Berlin, das sich für die Abschaltung des Reaktors einsetzt. Was den 59-jährigen Sozialpädagogen besonders stört: Die für ihn zuständige Verwaltung im Potsdamer Rathaus hat keinen Einfluss auf die Vergabe der Betriebsgenehmigung, da der Reaktor auf Berliner Gebiet steht. „Wir Bürger tragen das Gesundheitsrisiko, ohne dass wir Einflussmöglichkeiten haben“, sagt Furtner.

Sein Vorschlag im Bürgerhaushalt: Die Stadt soll ein Rechtsgutachten erstellen und dann gegen die Betriebsgenehmigung des Reaktors klagen. Eine solche Gerichtsentscheidung könne auch wegweisend beim Umgang mit Atomkraftwerken an innereuropäischen Grenzen sein, sagt er. Auch dort wäre im Katastrophenfall die Bevölkerung eines Staates betroffen, der rechtlich und politisch keinen Einfluss auf die Entwicklung nehmen konnte – wie aktuell zum Beispiel die Region Aachen mit dem belgischen Kraftwerk Tihange. Furtner spricht von einer Entrechtung der Bürger.

Ungelöste Frage nach der Endlagerung

Im Fall des Wannseereaktors stören ihn mehrere Dinge: Da ist die ungeklärte Frage nach der Endlagerung der Abfälle. Zwar gibt es für die verbrauchten Kernbrennstoffe Abnahmeverträge, wie das Helmholtz-Zentrum auf seiner Internetseite informiert. Die leicht- und mittelradioaktiven Abfälle werden jedoch vor Ort zwischengelagert. „Als Deponie ist ein unterirdisches Endlager der Bundesrepublik Deutschland vorgesehen“, heißt es. Wo, ist noch unklar.

Skeptisch sieht Furtner auch den geltenden Katastrophenschutzplan, der unter anderem vorsieht, dass im Ernstfall Jodtabletten vor den Haustüren der betroffenen Gebiete abgelegt werden; gleichzeitig sind die Menschen aufgerufen, im Haus zu bleiben. „Das ist praktisch gar nicht durchführbar“, meint Furtner.

Keine Neubewertung des Risikos

Angesichts der Terroranschläge in Paris 2015 hält er den Reaktor auch für ein mögliches Ziel von terroristischen Angriffen. Eine Neubewertung dieses Risikos habe es nicht gegeben, kritisiert er. Ina Helms, Sprecherin des Helmholtz-Zentrums, hält dagegen: Als Betreiber der Anlage sei man nicht für die Bewertung von Terrorszenarien zuständig, sondern für den sicheren Betrieb. „Die Schutzmaßnahmen unserer Anlage decken alle äußeren Ereignisse ab. Egal welchen Auslöser ein Ereignis hat“, sagte sie den PNN: „Wir betreiben den Reaktor so, dass er jederzeit sicher ist und das radioaktive Material im Reaktorbecken eingeschlossen bleibt.“

Die Stadt will den Bürgervorschlag jedenfalls sorgfältig prüfen, wie Rathaussprecher Jan Brunzlow den PNN sagte. Er wies aber auch auf zwei Probleme hin: So gebe es laut Verwaltungsprozessrecht keine Klagemöglichkeit Dritter auf die Aufhebung bestehender Genehmigungen. Die Stadt wolle auch prüfen, ob sie überhaupt klageberechtigt ist.

Brunzlow verwies auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, das die Klage einer Kommune gegen die Planung eines Atomendlagers in der Nachbargemeinde 2007 abgewiesen hatte. Die Kommune hatte unter Verweis auf die Risiken für die Bevölkerung geklagt – das Gericht aber „mangelnde Betroffenheit“ festgestellt, weil sich eine Kommune nicht „zur Sachverwalterin privater Interessen aufschwingen“ könne.

Wannsee-Reaktor liefert Neutronen für wissenschaftliche Untersuchungen

Der Forschungsreaktor des Helmholtz-Zentrums liefert Neutronen für wissenschaftliche Untersuchungen. In dem Reaktor werde keine Kerntechnik entwickelt oder erprobt, betont das Helmholtz-Zentrum. Anders als ein Atomkraftwerk arbeite der Reaktor bei Normaldruck und niedriger Temperatur.

Unabhängig davon, wie es für Furtners Vorschlag im Bürgerhaushaltsverfahren laufen wird, sind die Tage des Wannseereaktors gezählt. 2019 soll er endgültig abgeschaltet werden. An diesen Plänen habe sich nichts geändert, sagte Sprecherin Ina Helms den PNN.

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