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Kein Licht in Potsdam: Die verschwindende Silhouette

Nachts sieht Potsdam aus wie eine Industriestadt, fanden Studenten der Fachhochschule heraus. Sie fordern nun ein Beleuchtungskonzept, von dem Potsdamer und Besucher profitieren sollen.

Potsdam - Die Versuchsanordnung ist einfach: Mit einer ans Fahrrad montierten Kamera drehte Jürgen Zesche, Designstudent an der Fachhochschule Potsdam, eine Runde vom Hauptbahnhof aus, vorbei an den wichtigsten Sehenswürdigkeiten in der Innenstadt, bei Nacht. Es ist ein düsteres Bild, das Potsdam dabei abgibt. Denn zu sehen ist in den meisten Fällen nichts. Jedenfalls nichts davon, was Potsdam ausmacht. Zwar sind Fahrbahn und Fußweg mit Straßenlampen beleuchtet, Potsdam-Typisches wie die Nikolaikirche, die Giebel der Backsteinhäuser im Holländischen Viertel oder die drei Stadttore verschwinden aber buchstäblich im Dunkeln. Selbst als Potsdamer fällt einem die Orientierung in Zesches Nachtfahrt-Film deswegen schwer – dabei hat er die „schwarzen Löcher“ schon entsprechend beschriftet. Die Stadt hat nach Einbruch der Dunkelheit praktisch keinen Wiedererkennungswert.

„Licht für Potsdam“ – diesen Titel haben Jürgen Zesche und seine Kommilitoninnen Sarah Klemisch, Janine Wentorf und Johanna von Scheven der Untersuchung gegeben, die sie, unter Leitung des Lichtdesign-Professors Volker von Kardorff und des Raumdesign-Professors Detlef Saalfeld, in einem Semester erarbeiteten. Ihr Fazit: Potsdam verschenkt mit schlechter oder fehlender Beleuchtung Potenziale im Tourismus. Und: Mit einem Lichtkonzept könnte die Stadt für mehr Aufenthaltsqualität in der Innenstadt sorgen und Treffpunkte für Bewohner und Besucher schaffen.

Potsdams Panorama verschwindet

Momentan verschwindet das Stadtpanorama nach Einbruch der Dunkelheit dagegen beinahe komplett, wie die Studierenden beim Tag- und Nacht-Vergleich von fünf historischen Aussichtspunkten aus, wie dem Winzerberg oder dem Brauhausberg, feststellten. Bis auf eine Ausnahme: Das Hotel Mercure ist von überall her gut erkennbar. Diese Diagnose deckte sich mit einer typischen Erfahrung der Studierenden. „Wenn man nachts im Regionalexpress sitzt und das Mercure sieht, dann weiß man: Jetzt sind wir in Potsdam“, sagt Johanna von Scheven. Der 17-Geschosser hatte wegen des roten Leuchtschriftzuges bei den Studierenden schnell einen Spitznamen weg: „Die Zigarette von Potsdam“.

Vom Südufer der Havel aus ist neben dem Mercure und den Platten-Hochhäusern in der Innenstadt nur das erleuchtete Hans Otto Theater sichtbar. „Potsdam sieht nachts aus wie eine Industriestadt“, fasst Jürgen Zesche zusammen. Bezeichnend: Die Studierenden fanden bei der Recherche in Touristenläden auch kaum Postkarten mit Nachtansichten. Das hat einen einfachen Grund, argumentieren sie: Höchstens zur „blauen Stunde“, wenn die Silhouetten der Gebäude noch erkennbar sind, lässt sich die Stadt ansprechend fotografieren.

Nacht-Beleuchtung fehlt komplett

13 touristisch interessante Gebäude in der Innenstadt haben die Studierenden für ihre Arbeit tags und nachts besucht: Einigermaßen überzeugen konnte sie nur die Beleuchtung der Friedenskirche. Dort werde der Campanile-Turm mit den Rundbögen sinnvoll mit Licht in Szene gesetzt, lobt Johanna von Scheven. An den meisten anderen Orten dagegen fehle die Nacht-Beleuchtung komplett, mitunter – wie beim Jägertor oder der St. Peter und Paul Kirche – gebe es eine technisch unausgereifte Anstrahlung.

Ernüchternd ist auch die Situation auf den großen Plätzen in der Innenstadt: Beim Queren über den Platz der Einheit wird man von Finsternis verschluckt, wie im Nachtfahrt-Film zu sehen ist. Erst an der Wegekreuzung in der Platzmitte spendet eine einzige Lampe etwas Licht. Ein ähnliches Bild bietet sich auf dem Luisenplatz und dem Bassinplatz, wo die öffentlichen Toiletten dank ihrer Beleuchtung der größte Hingucker sind.

Keine Lobby fürs Licht

Aber für ein Lichtkonzept gibt es in Potsdam bislang keine Lobby. Ein gemeinsamer Vorstoß von Grünen und der FDP für einen Lichtmasterplan ist erst im Frühjahr 2014 im Stadtparlament gescheitert. Auch mit der Studie „Licht für Potsdam“ stießen die FH-Studenten bei der Stadt nur auf freundliches Desinteresse. Man habe die Ergebnisse zwar dem Stadtmarketing vorstellen können – dabei sei aber klar gemacht worden, dass auf eine Umsetzung wegen fehlender Gelder nicht zu hoffen sei, berichten sie.

Darüber ärgert sich auch Lichtexperte von Kardorff, dessen mehrfach ausgezeichnetes Büro unter anderem die Beleuchtung des Brandenburger Tors in Berlin verantwortet und Lichtkonzepte für den Alexanderplatz oder Unter den Linden erarbeitete. Während die Arbeit der FH-Studenten in Städten wie Leipzig und Berlin dankbar angenommen worden sei, zeige sich Potsdam unbeweglich.

Lichtkonzept soll öffentlich diskutiert werden

Dabei sei ein Lichtkonzept nicht unbedingt mit Mehrkosten verbunden, betont von Kardorff: Mit durchdachter Beleuchtung könne auch Energie und damit Geld gespart werden. Wichtig sei in jedem Fall aber die öffentliche Diskussion darüber, welche Beleuchtung in der Stadt gewünscht ist – und welche nicht. Ansonsten drohe Potsdam ein lichttechnischer „Wildwuchs“ – wenn Restaurant- oder Ladenbesitzer ihre Adresse auf eigene Faust beleuchten, wie es teils schon passiert. Ohne ein Konzept könne die Stadt eine solche Entwicklung nicht steuern.

Bei dem von den Studierenden vorgeschlagenen Minimalprogramm für die nötigsten Arbeiten steht die Nikolaikirche auf Platz eins. Das Bauwerk, das die Stadtsilhouette am Tag prägt, wird nachts höchstens indirekt durch das Licht der benachbarten Baustellen oder den grellblauen Leuchtschriftzug am Potsdam Museum bestrahlt. Eine zielgerichtete Beleuchtung könne den Kirchenbau als Erkennungsmerkmal der Stadt etablieren, betonen die Studierenden. Eine solche Beleuchtung liege nicht in der Verantwortung der Kirche, stellt Licht-Professor von Kardorff klar. Schließlich gehe es um die städtebauliche Bedeutung des Gebäudes, nicht um seine religiöse Nutzung.

Lesen Sie weiter: Ein Versäumnis ersten Grades. Ein Kommentar über Potsdams Dunkelheit >>

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