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Der Konkurrenzkampf um Lehrer ist groß. Wie hier in Bayern werden in allen Bundesländern mehr Lehrer gefordert.

© picture alliance/dpa/Nicolas Armer

Forderung zum Lehrermangel : Woidke soll Bildung zur Chefsache machen

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) drängt auf Maßnahmen vom Land gegen das Lehrerdefizit - und verteidigt die Verbeamtung von Bachelor-Absolventen.

Angesichts des sich zuspitzenden Lehrermangels in Brandenburg fordert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) eine Koordinierung der Maßnahmen in der Staatskanzlei. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) müsse Bildung zur Chefsache machen, sagte der langjährige GEW-Landeschef Günther Fuchs am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Potsdam.

Das sei keine Entmachtung von Bildungsministerin Britta Ernst (SPD), sondern dringende Notwendigkeit, weil auch das Finanzministerium sowie das für Lehrerausbildung verantwortliche Wissenschafts- und das für Laufbahnfragen zuständige Innenressort eng eingebunden werden müssten. „Der Ministerpräsident muss seiner Verantwortung gerecht werden, das Recht auf Bildung zu garantieren und den Unterricht absichern“, so Fuchs. „Die Situation ist dramatisch.“

Steigende Schülerzahlen und Lehrer, die in den Ruhestand gehen

Nach seinen Angaben werden in den nächsten zehn Jahren rund 12.500 Lehrkräfte – 60 Prozent der Lehrerschaft – altersbedingt aus dem Schuldienst ausscheiden. Zugleich steige durch wieder höhere Geburtenraten und Zuzug die Schülerzahl. Die aktuellen Studienkapazitäten und die Zahl der Absolventen reichten auf absehbare Zeit nicht aus, um genügend junge Lehrer einstellen zu können. Die Situation auf dem Lehrermarkt werde, auch durch die Konkurrenz aus anderen Bundesländern, die nächsten 15 bis 20 Jahre angespannt bleiben. „Wir laufen Gefahr, den verfassungsgemäßen Bildungsauftrag und die Chancengleichheit für die Schülerinnen und Schüler zur Disposition zu stellen“, so Fuchs. Kommende Woche soll es dazu Gespräche der Lehrerverbände im Bildungsministerium geben.

Kritik an der Verbeamtung von Bachelor-Lehrern

Gleichzeitig verteidigte Fuchs die im Mai 2022 von GEW und Bildungsministerium vereinbarte Verbeamtungsmöglichkeit von Seiteneinsteigern, die lediglich über einen Bachelor-Abschluss verfügen. Die Kultusministerkonferenz hatte diesen Brandenburger Alleingang gerügt. Auch Elternvertreter, Lehrerverbände und Experten der Universität Potsdam, Brandenburgs derzeit noch einziger Hochschule, die ein Lehramtsstudium anbietet, sprachen sich in offenen Briefen gegen diesen Weg aus.

Sie fürchten einen weiteren Qualitätsabfall im Unterricht, nachdem Brandenburgs Viertklässler jüngst beim Ländervergleich in Mathematik und Deutsch schlecht abschnitten. Zudem werde das lehramtsbezogene Masterstudium entwertet. Kindern, Jugendlichen und Kollegien in Brandenburg sei nicht geholfen, wenn Klassen von unzureichend ausgebildeten Personen unterrichtet würden, heißt es in dem Brief von Expertinnen und Experten der Humanwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Potsdam.  

Die Diskussion über die Bachelor-Lehrer sei realitätsfern, so Fuchs. Schon im laufenden Schuljahr hätten nur rund 50 Prozent der Neueinstellungen durch vollständig ausgebildete Lehrer realisiert werden können. Aktuell seien von 24.000 Lehrern in Brandenburg 6500 unbefristete Lehrkräfte mit Seiteneinstieg, hinzu kämen befristet eingestellte Quereinsteiger. An Grund- und Oberschulen sei inzwischen jeder fünfte Lehrer ein Seiteneinsteiger, an Förderschulen sogar jeder dritte.

Mehr Lehrer auf Vollzeit? In Brandenburg ist das schon die Realität

Um Absolventen mit Bachelor im Schuldienst zu halten, müssten ihnen Aufstiegsmöglichkeiten geboten werden, so Fuchs. Das geschehe mit der Aussicht auf Verbeamtung, der ein Eignungstest und ein Zusatzstudium vorangingen. „Das ist keine Schmalspurausbildung“, so Fuchs. Zudem könnten Bachelor-Absolventen nicht die Gehaltseinstufung von grundständig ausgebildeten Lehrern erreichen. Der Großteil der Quereinsteiger habe einen Masterabschluss, 800 nur einen Bachelor und 2200 gar keinen Hochschulabschluss.

Um dem Lehrermangel langfristig zu begegnen, müsse bedarfsgerechter ausgebildet werden, so Fuchs. Schon in der Studienberatung müsse darauf hingewiesen werden, dass vor allem Grundschullehrer und Lehrer für die Mint-Fächer Mathematik, Information, Naturwissenschaft und Technik gebraucht werden. Zudem sei die Abbrecherquote an der Uni Potsdam mit durchschnittlich 40 Prozent zu hoch. Der Vorschlag der Kultusministerkonferenz, die Unterrichtsstunden für Lehrer zu erhöhen, sei hingegen der falsche Weg. In Brandenburg betrage der Beschäftigungsumfang schon jetzt 94 Prozent. Das heißt, die meisten Lehrer arbeiten Vollzeit, der Bundesschnitt liegt nur bei 89 Prozent. Vielmehr müssten Lehrer etwa durch Einstellung von Fachkräften für IT-Wartung und administrative Aufgaben entlastet werden.

Berliner Lehrer könnten Brandenburg wieder verlassen

Genaue Zahlen, wie viele Berliner Lehrer aus Brandenburg abwandern, nachdem das Nachbarland nun wieder verbeamtet, gebe es noch nicht. Es sei aber davon auszugehen, dass sich vor allem im berlinnahen Raum der Lehrermangel dadurch verschärfen werde. Bei den vier staatlichen Schulämtern habe sich die Zahl der Anträge auf Wechsel nach Berlin nach ersten Schätzungen jeweils verdoppelt, so die GEW. Bildungsministerin Ernst hatte im November im Tagesspiegel-Interview noch betont, dass sie die Konkurrenz mit Berlin nicht fürchte, weil Brandenburg ein attraktiver Arbeitsort für Lehrer sei.

Zeitgleich zur Pressekonferenz der GEW verschickte das Bildungsministerium prompt eine Mitteilung zum Start des Vorbereitungsdienstes für angehende Lehrer. Nicht etwa Ministerin Britta Ernst persönlich wird darin zitiert, sondern der kommissarische Direktor des Landesinstituts für Schule und Medien (Lisum), Mathias Iffert, preist das Land: „Der Schuldienst im Land Brandenburg ist attraktiv und bietet Lehrkräften sehr gute Rahmenbedingungen.“ 

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