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Britta Ernst auf dem Weg zu einer Pressekonferenz in der Staatskanzlei Brandenburg, bei der sie ihren sofortigen Rücktritt erklärt. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (beide SPD) folgt ihr.

© dpa/Michael Bahlo

Die eigenen Genossen stellten sich gegen sie: Warum Britta Ernst in Brandenburg zurücktrat

Die SPD-Politikerin galt in der Landespolitik lange als Unantastbare – auch weil sie die Ehefrau des Kanzlers ist. Warum sich jetzt sich ausgerechnet die SPD-Fraktion gegen sie wandte.

Eisige Atmosphäre, keine Fragen vorgesehen. Es dürfte die seltsamste Pressekonferenz nach einem Ministerrücktritt in der jüngeren Geschichte Brandenburgs gewesen sein. Keine Viertelstunde dauerte der Abgang, das war’s. Gleich nach den offiziellen Statements in der Staatskanzlei waren Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke, Ex-Bildungsministerin Britta Ernst und ihr designierter Nachfolger Steffen Freitag (alle SPD) wieder verschwunden.

Zuvor hatte Ernst, Ehefrau von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), am Montag ihren Rücktritt als Ministerin in Brandenburg erklärt - und damit ein Beben im politischen Potsdam ausgelöst. Denn als Grund gab Ernst in ihrer Erklärung mangelnde Unterstützung der SPD-Landtagsfraktion an. Ausgerechnet der eigenen Genossen.

Woidke, der von diesem Schritt überrumpelt worden war, ging auf die politischen Turbulenzen für seine Regierung mit keinem Wort ein. Er bedaure die Entscheidung von Ernst, sagte er - und lobte „Weitsicht, Mut und Durchhaltevermögen“ der früheren Ministerin. Er wisse, dass in der Bildungspolitik häufig kritisiert, aber selten Danke gesagt werde. „Danke, liebe Britta, was Du für die Kinder und Jugendlichen, für das Land, für Deutschland getan hast“, sagte Woidke. Jetzt, wo es zu spät war, und der Schock in der SPD tief sitzt.

„Diese Geschlossenheit ist nicht mehr gegeben“

Und Ernst, die das Amt 2017 übernommen hatte, das in Brandenburgs als eines der schwierigsten gilt? „Die Herausforderungen im Bildungsbereich sind groß. Um diese zu bewältigen, ist eine große Geschlossenheit notwendig“, sagte Ernst, ehe sie von Woidke die Verabschiedungsurkunde entgegennahm.

Zu den „näheren Gründen“ ihres Rücktritts verwies Ernst auf ihre persönliche Erklärung, die das Bildungsministerium zeitgleich verschickte. Erst die dortigen Formulierungen offenbaren das Ausmaß des innersozialdemokratischen Bebens. Es sei „eine Selbstverständlichkeit, dass wir die anstehenden Herausforderungen nur mit maximaler Geschlossenheit bewältigen werden“, erklärt Ernst dort. „Diese Geschlossenheit ist nicht mehr gegeben.“

Konkret geht es um den Umgang mit dem Lehrermangel. „Für mich ist ganz klar, dass wir den Unterricht in allen Regionen des Landes Brandenburgs sichern müssen“, sagte Ernst. Dafür habe sie Vorschläge unterbreitet. Diese hätten „leider nicht die Unterstützung der SPD-Landtagsfraktion gefunden“. Sie trete zurück, damit „mit einer neuen Person an der Spitze des Ministeriums ein neuer Anlauf genommen werden kann“.

Nachfolger soll „Gräben überwinden im Land“

Nachfolger soll ihr Staatssekretär Steffen Freiberg (SPD) werden, selbst erst ein Jahr in diesem Amt und vorher Staatssekretär in Mecklenburg-Vorpommern. Der Wechsel passiere „unter sehr bedauerlichen Umständen“, sagte Freiberg. „Das Ressort befindet sich in einer schwierigen Lage.“ Es seien Dinge liegen geblieben, die dringend angepackt werden müssten.

Steffen Freiberg (SPD), neuer Bildungsminister in Brandenburg.
Steffen Freiberg (SPD), neuer Bildungsminister in Brandenburg.

© dpa/Michael Bahlo

Laut Woidke soll Freiberg, der die Geschäfte im Ministerium als Amtschef bereits führt, am 10. Mai im Landtag vereidigt werden. „Es wird im Bildungsbereich Kontinuität geben.“ Der Regierungschef deutete aber an, was er vom Ernst-Nachfolger erwartet. Er stehe für „eine Bildungspolitik des Dialogs, um Gräben zu überwinden im Land“.

Genau dies war die Schwachstelle von Ernst, die wegen ihrer Pläne, mit dem drastischen Lehrermangel in Brandenburg umzugehen, zusehends unter Druck geraten war. Sie soll intern bereits einmal mit Rücktritt gedroht haben, weil die Fraktion unter Führung von Daniel Keller ihren Kurs auch offen kritisiert hatte. Aus Kreisen der Regierungskoalition heißt es, Ernst sei trotz der Kritik nicht bereit gewesen, ihre umstrittenen Pläne zu ändern.

Alle Schulen sollten beim Personal kürzen - das gab Aufruhr

Ernsts Vorhaben hatten an Schulen und unter Eltern landesweit für Aufruhr gesorgt: Ernst wollte in ganz Brandenburg 200 Lehrkräfte-Planstellen für Verwaltungsfachkräfte und Schulsozialarbeiter umwidmen. Um dies zu ermöglichen, sollten alle Schulen beim Personal kürzen. Dies hätte vor allem Förder- und Ganztagsangebote sowie Inklusion betroffen. Der Widerstand von Schulen und Eltern, aber auch innerhalb der rot-schwarz-grünen Brandenburger Regierungskoalition, war groß.

Spätestens seitdem die Fraktion und Ernst Ende März auf offener Bühne im Landtag aneinandergeraten waren, war die Auseinandersetzung zur Machtprobe geworden. Schon da hatte die SPD-Bildungsexpertin Katja Poschmann im Namen der Fraktion nicht ausgeschlossen, dass die Genossen Ernsts Stellenstreichungen kippen werden. Das konnte man auch als Drohung verstehen.

Fraktion nimmt Rücktritt „mit Bedauern zur Kenntnis“

Am Montag teilte die Fraktion unter Führung von Daniel Keller mit, sie nehme Ernst Rücktritt „mit Bedauern zur Kenntnis“. Zuspruch gab es nur von Kabinettskollegin Manja Schüle (SPD). Ernst sei „eine exzellente Bildungspolitikerin, eine aufrechte Sozialdemokratin und ein toller Mensch“, schrieb die Wissenschaftministerin bei Twitter. Und weiter mit Bezug auf Kanzler Scholz: „Und na klar, hinter jeder starken Spitzenpolitikerin steht immer auch ein Mann, der ihr den Rücken freihält.“

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Für die SPD ist Vakanz in dem Schlüsselressort nur ein Jahr vor der Landtagswahl gefährlich, denn der neue CDU-Chef Jan Redmann hat bereits angekündigt, die Bildungspolitik zum Hauptangriffspunkt im Wahlkampf zu machen. Dazu passt seine Erklärung vom Montag, in der er sagte: „Um den Scherbenhaufen verfehlter Politik der letzten 30 Jahre aufzuräumen, bedarf es einer breiten und verlässlichen Unterstützung.“ Ernsts Rücktritt verdiene Respekt, so Redmann. Jetzt müssten in der Bildung „mit aller Kraft die Weichen in Richtung Zukunft gestellt werden“.

Nach einer Umfrage ist die rechtspopulistische AfD derzeit stärkste Kraft in Brandenburg. Die Partei meldete sich prompt mit einer triumphierenden Erklärung zu Wort:“ Die SPD-Fraktion nörgelte offensichtlich so lange an der Amtsführung der Kanzlergattin herum, dass diese nun das nahezu gesunkene Schiff verlässt. Noch eine Pleite für SPD-Regierungschef Woidke, noch ein bitterer Schlag für die in der Wählergunst abstürzende SPD“, erklärte AfD-Landeschefin Birgit Bessin.

„Der Scherbenhaufen wurde immer größer“

Brandenburgs Grüne zollten Ernst Respekt für ihre Entscheidung. Das Land stehe „in der Bildungspolitik vor großen Herausforderungen, wie dem Lehr- und Fachkräftemangel und der Umsetzung der Kitarechtsreform“, so die bildungspolitische Sprecherin Petra Budke.

Dagegen erklärten die Brandenburger Linken, die verfehlte Bildungspolitik sei Grund für den Rücktritt. Die Kitarechtsreform stehe vor dem Scheitern, dem Fachkräftemangel sei nicht konsequent begegnet worden, „der Scherbenhaufen wurde immer größer“. Strategien seien in Ernsts Politik längst nicht mehr erkennbar gewesen.

Britta Ernst (SPD), Bildungsministerin von Brandenburg, auf dem Weg zu einer Pressekonferenz in der Staatskanzlei Brandenburg, bei der sie ihren sofortigen Rücktritt erklärt.
Britta Ernst (SPD), Bildungsministerin von Brandenburg, auf dem Weg zu einer Pressekonferenz in der Staatskanzlei Brandenburg, bei der sie ihren sofortigen Rücktritt erklärt.

© dpa/Michael Bahlo

Oppositionsführer und Linke-Fraktionschef Sebastian Walter forderte Woidke zu einer Kabinettsumbildung auf. Ein Neustart in der Regierungsarbeit sei nötig. Das zeigten auch die aktuellen Umfrageergebnisse: Fast zwei Drittel, nämlich 62 Prozent, der Brandenburger sind danach mit der Arbeit der Keniakoalition unzufrieden. Woidke habe einen neuen Politikstil versprochen, er „wollte die Alltagsprobleme der Menschen lösen“. Davon sei „diese Regierung weiter entfernt als je zuvor“.

Auch Brandenburgs Freie Wähler begrüßten den Rücktritt von Ernst. Er sei „seit geraumer Zeit überfällig“ gewesen, so Fraktionschef Péter Vida. Ernst sei „eine Belastung für die Bildungslandschaft Brandenburgs“ gewesen, ihr Rücktritt sei „ein spätes Eingeständnis des eigenen Versagens“. Besonders in der Corona-Zeit hätten sich die „völlig unzureichende Verwaltungsstruktur und der sträflich vernachlässigte Digitalisierungsfortschritt“ gezeigt.

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