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Angeschlossen, abkassiert. Von vielen Mittelmärkern wurden zu hohe Gebühren für den Anschluss ans Wassernetz kassiert.

© dpa

Urteil des Bundesverfassungsgerichtes: Ein guter Tag für die Altanschließer

Interessenverbände begrüßen Karlsruher Urteil zu den DDR-Altanschließern. Den Zweckverbänden in Potsdam-Mittelmark drohen nun allerdings millionenschwere Finanzlücken.

Teltow / Werder(Havel) / Nuthetal - Werner Wienert hatte gestern einen guten Tag. Das Bundesverwaltungsgericht hat geurteilt, was er schon lange sagt: Bürger dieses Landes, in diesem Falle Altanschließer, genießen Vertrauensschutz. Und wenn die öffentliche Hand sich zu viel Zeit lässt, rechtmäßige Satzungen aufzustellen und ihre Forderungen zu erheben, dann erlöschen Beitragsansprüche. Die Folge nach Wienerts Lesart: Tausende Brandenburger, vor allem Altanschließer, werden jetzt viele Millionen Euro zurückbekommen.

Seit Jahren kämpft Werner Wienert als Gemeindevertreter der Linken und als Sprecher des „Interessenvereins Wasser- und Abwasser“ in Nuthetal dagegen an, dass sich die öffentliche Hand an den Portmonees der Bürger bedient, um Finanzierungslücken in ihren Zweckverbänden zu schließen. So haben 390 Rehbrücker im Schnitt 6000 Euro an den Zweckverband Mittelgraben dafür gezahlt, dass sie zum Teil weit vor der Wiedervereinigung 1990 ans Trink- oder Abwassernetz angeschlossen wurden.

Neuanschließer sollten in Brandenburg zweimal zahlen

In den vergangenen Wochen wurde es noch absurder: Überraschend gab es 3500 Nacherhebungen für Kunden des Mittelgraben-Verbandes, denen der Abwasseranschluss erst nach der Wende gelegt wurde, denen dafür aber angeblich zu wenig berechnet worden war. „Erst am Mittwoch habe ich in der Verbandsversammlung gesagt, dass diese Vorgänge verjährt sind und all diese Bescheide unwirksam sein müssen“, so Wienert gestern gegenüber den PNN.

Am Donnerstag wurde seine Rechtsauffassung vom Bundesverfassungsgericht bestätigt, nachdem drei andere Instanzen der Argumentation der brandenburgischen Landesregierung noch gefolgt waren. Das Land war der Meinung, dass die vierjährige Verjährungsfrist für solche Vorgänge erst beginnt, wenn die Zweckverbände eine rechtsgültige Satzung zustande bekommen haben, und hat das im Jahr 2004 so auch im Kommunalabgabengesetz klargestellt. Als „praktische Unverjährbarkeit“ wurde das vom Verband Deutscher Grundstücksbesitzer angeprangert. Beispiel Nuthetal: Dort war es mit der ersten rechtsgültigen Satzung im Jahr 2011 endlich so weit.

Im Verband "Der Teltow" acht Milllionen von Altanschließern kassiert

Das Bundesverfassungsgericht sieht das anders als das Land, ein Fall aus Cottbus muss nun nochmal vor dem Oberverwaltungsgericht verhandelt und der Paragraf des Kommunalabgabengesetz wohl neu formuliert werden. Für die Finanzsituation vieler Zweckverbände heißt das nichts Gutes: Allein im kleinen Mittelgraben-Verband wurden von den Altanschließern 2,3 Millionen Euro abkassiert, wie es gestern aus dem Büro des Betriebsführers hieß. Aus der aktuellen Nacherhebung fließen sogar 6,1 Millionen Euro an den Verband. Im Nachbarverband Der Teltow wurden allein durch die Altanschließerrückzahlungen ein Betrag von satten 8 Millionen Euro eingenommen. Alles zurück an die Kunden? Klare Stellungnahmen gab es gestern dazu noch nicht. Das Urteil müsse geprüft werden, wie es aus beiden Verbänden hieß.

„Der Gesetzgeber“, sagt Werner Wienert, „muss sich schämen. Eigentlich muss er sich bei den Bürgern entschuldigen.“ Bärbel Gärtner ging gestern einen Schritt weiter. „Das ist ein schwarzer Tag für die Landesregierung, für das Verwaltungsgericht, das Oberverwaltungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht“, sagte die Geschäftsführerin des Wasser- und Abwasserzweckverbands Werder-Havelland. Von allen Instanzen sei die Frage nach der Verjährung verneint worden. Jetzt offenbare sich ein Verfassungsverstoß. Gärtner nahm gestern kein Blatt vor den Mund, fragte nach der Verantwortung für die Schlamperei, die die Zweckverbände auszubaden hätten. „Wir sind es ja, die das Recht umsetzen mussten und als Trottel dastehen.“

Verband Werder-Havelland: "Viel Aufwand und noch mehr Ärger"

Gärtner musste vor einigen Jahren für 860 Grundstücke von Altanschließern insgesamt 3,4 Millionen Euro eintreiben. Viel Aufwand und noch mehr Ärger habe das eingebracht. „Jetzt sind wir es wahrscheinlich wieder, die die Nackenschläge kriegen.“ Im Verband müsse außerdem geklärt werden, wie die Finanzierungslücke geschlossen werden kann und ob – womöglich differenzierte – Beitragserhöhungen der richtige Weg dazu sind. Das gäbe dann nochmal Ärger.

Gärtner geht davon aus, dass nur diejenigen Altanschließer ihr Geld zurückbekommen werden, die Widerspruch gegen den Bescheid eingelegt hatten. Der Verband Deutscher Grundstücksnutzer bestätigte diese Rechtsauffassung gestern: „Rein juristisch gesehen, wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur all jenen Betroffenen zugute kommen, deren Bescheide noch nicht bestandskräftig sind, weil das Widerspruchsverfahren oder ein Verfahren in den Instanzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit noch nicht abgeschlossen ist“, so Verbandspräsident Peter Ohm.

Grundstücksbesitzerverband fordert Wiedergutmachung

„Die meisten der Altanschließer werden mit der bitteren Wahrheit konfrontiert, dass ihre Bescheide auf verfassungswidriger Grundlage erlassen worden sind.“ Ohm verlangt von der Landesregierung nicht nur eine Entschuldigung, es müsse auch Wiedergutmachung geleistet werden. „Diese kann nur in einer freiwilligen Rückzahlung der bereits erhobenen Beiträge bestehen.“

So sieht das auch der Nuthetaler Werner Wienert. Von den 390 betroffenen Altanschließern in Rehbrücke hätten 60 widerstandslos gezahlt. Im Vertrauen auf den Rechtsstaat.

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