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Ausstieg, aber früher: Ist in der Lausitz 2030 schon vorbei mit der Kohle?

© dpa/Patrick Pleul

Unterwegs in der Lausitz: „Kohleausstieg bis 2030? Das stinkt“

Die Bundesregierung will einen früheren Ausstieg der Kohle – auch im Osten. Dort ist aber alles auf das Jahr 2038 ausgerichtet, Identitäts- und Strukturwandel inklusive.

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„Hier lagen Gleise für die Kohlezüge. Da vorne wurden sie entladen.“ Joachim Neumann bleibt an einem kleinen Aussichtspunkt mit Parkbank stehen, zeigt nach vorne. „Und ab hier war alles Kippe.“ Vor ihm erstreckt sich der Berzdorfer See. Ehemals: Kohlegrube. „Schön hier, oder?“, fragt er grinsend.

Neumann lebt in Görlitz, in der sächsischen Lausitz, und er hat den Kohleausstieg schon hinter sich. 30 Jahre ist das her. Neumann war Schichtleiter im Tagebau Berzdorf, 25 Jahre lang, bis zur Stilllegung 1997. Dann war auch er es, der die Grube flutete und aus ihr einen Erholungsort machte. Seinen Nachbarn in der Region steht das noch bevor. In vier Lausitzer Tagebauen wird aktuell noch gegraben. Spätestens 2038 will Deutschland aus der Kohle raus.

„Idealerweise“ will die Ampel den früheren Ausstieg

Im Koalitionsvertrag der Ampel steht allerdings ein anderes Datum: 2030. „Idealerweise“ wolle man den Kohleausstieg vorziehen, heißt es dort. In Nordrhein-Westfalen ist das bereits beschlossene Sache, das Energieunternehmen RWE zieht mit. Wenn es nach den Grünen geht, ist nun auch der Osten dran. Das belegt ein Beschluss der Fraktion vom 21. März. Doch was hält man in Ostdeutschland von der Idee, früher auszusteigen?

Er hält nicht viel vom Kohleausstieg: Joachim Neumann. Hinter ihm der Berzdorfer See.
Er hält nicht viel vom Kohleausstieg: Joachim Neumann. Hinter ihm der Berzdorfer See.

© Laura Dahmer

Joachim Neumann hat dafür nur zwei Worte übrig: „Das stinkt.“ Er steht am Waschbecken des Tauchritzer Heimatmuseums, spült gerade zwei Kaffeetassen ab. An den Wänden um ihn herum erinnern Reliquien an die Zeit, in der auch hier noch Kohle abgebaut wurde.

Wir müssen raus aus der Kohle, so schnell es geht.

Kiara Heizmann, Klimaaktivistin aus Görlitz

Oben, in einem der Ausstellungsräume, zeigt Neumann auf den schwarzen Stein, der für Deutschland erst Segen, dann Problem wurde. „Wir haben das Land mit Energie versorgt“, sagt der Rentner stolz. „Wegen unserer Arbeit hat zu Hause Licht gebrannt.“ Kohlezeit, das war die beste Zeit, sagt er.

Aber Zeiten ändern sich. Das hat auch Joachim Neumann akzeptiert. Heute ist der Rentner glücklich über den See, den das Ende des Berzdorfer Bergbaus gebracht hat. Gegen den Kohleausstieg, der der restlichen Lausitz bevorsteht, ist er trotzdem. Man sollte ein Minimum an Kohleabbau erhalten, sagt er. „Für die Grundlast.“

Demianiplatz, Görlitz. Nur sieben Kilometer vom Berzdorfer See steht Kiara Heizmann mit einem Megafon. Sie sagt: „Wir müssen raus aus der Kohle, so schnell es geht.“ Heizmann ist 15 Jahre alt, Gymnasiastin, Klimaaktivistin. Mit drei Mitschülerinnen hat sie an diesem Freitag im Juni eine Klimademo organisiert. Für den früheren Kohleausstieg. Sie hat Angst um ihre Zukunft, in der Lausitz, auf der Welt.

Bis 2038 wird LEAG, das Lausitzer Energieunternehmen, voraussichtlich etwa 700 Millionen weitere Tonnen Kohle aus dem Boden holen. „Für die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze dürften es aber nur noch 205 Millionen Tonnen sein“, sagt sie. Das hat eine Studie ergeben, die Fridays for Future eigens in Auftrag gegeben hatte. Heizmann hat die Ergebnisse im April vorgestellt, zusammen mit Klimaaktivistin Luisa Neubauer.

Sie ist für den Ausstieg 2030: Klimaaktivistin Kiara Heizmann.
Sie ist für den Ausstieg 2030: Klimaaktivistin Kiara Heizmann.

© Laura Dahmer

„Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut“, ruft die Gruppe, als sie durch die Görlitzer Innenstadt zieht. Sie sind wenige, vielleicht 25 Menschen. Auf der Straße begegnen ihnen empörte Blicke, Kopfschütteln. Manche Passanten schimpfen leise vor sich hin, manche laut: „Was ist das für Geschwätz“, sagt eine ältere Frau. Die Klimabewegung hat es schwer, hier, wo Kohle zur Identität gehört.

Kohlekumpel, Klimaaktivistin, AfD – alle wissen: Der Ausstieg kommt

Dabei ist, ob Kohlekumpel oder Klimaaktivistin, mittlerweile allen in der Lausitz klar: Der Ausstieg kommt. Sogar die AfD wehrt sich nicht mehr offen dagegen. Solange es kostengünstige und grundlastfähige Alternativen gibt, wie der AfD-Kreisverband in Cottbus sagt. Gegen 2030 hat die Partei allerdings sehr wohl etwas einzuwenden. So wie viele in der Region. Allen vor Ort ist klar: Die Transformation ist auch so schon ein Kraftakt.

„Der Kohleausstieg 2038 war ein großer gesamtgesellschaftlicher Kompromiss“, sagt Christine Herntier, parteilose Bürgermeisterin in Spremberg, Brandenburg. Sie muss es wissen, denn sie hat den Kohleausstiegsvertrag von 2020, auch Strukturstärkungsgesetz genannt, mitverhandelt. „Es war nicht leicht, damit nach Hause zu kommen und Akzeptanz zu finden“, sagt sie. Harte Arbeit sei das gewesen, über Jahre. „Wir haben Angst, dass man uns das jetzt kaputt macht.“ Wenn sie man sagt, meint sie die Ampel, die am Datum rüttelt.

Das ‘Idealerweise’ im Koalitionsvertrag ist an Bedingungen geknüpft.

Kathrin Michel, SPD-Politikerin aus Bautzen

Kathrin Michel, SPD-Bundestagsabgeordnete aus Bautzen, ist nach eigener Aussage mit für das „idealerweise“ im Koalitionsvertrag verantwortlich. Gekämpft wie eine Löwin habe sie dafür. „Das ‘Idealerweise’ ist an Bedingungen geknüpft“, sagt sie. „Fördermittel, Strukturprojekte – das alles war auf 2038 ausgelegt. Nur, wenn wir schneller vorankommen, beim Ausbau der Erneuerbaren, der Infrastruktur und der Speichermöglichkeiten, können wir früher raus.

Die Lausitz kämpft mit den Folgen von Abwanderung

Ricarda Budke glaubt, das geht. Die Grünen-Politikerin sitzt im Brandenburger Landtag und ist Sprecherin für den Strukturwandel in der Lausitz. „Der Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung des Strukturstärkungsgesetzes bescheinigt Brandenburg eine Spitzenposition bei den Strukturwandelprojekten“, sagt sie. „Die Bundesnetzagentur sagt, dass die Versorgungssicherheit bei einem Kohleausstieg 2030 gegeben ist.“

Das Hauptproblem des Lausitzer Strukturwandels ist allerdings ein ganz anderes. Denn es ist nicht der erste Umbruch in der Region. Nach der Wende verschwanden ganze Industrien, 180.000 Arbeitsplätze brachen weg. Eine Generation wanderte ab. Und mit ihnen ihre Kinder. In der Lausitz leben etwa 300.000 Menschen weniger als noch vor 28 Jahren, ein Bevölkerungsrückgang von mehr als 20 Prozent.

Was das für den geplanten Strukturwandel bedeutet? Tim Berndt rechnet es vor. Er ist Geschäftsführer der Wirtschaftsinitiative Lausitz. „Das neue DB-Instandsetzungswerk, das gerade gebaut wird: 1200 Arbeitsplätze. Das geplante Uni-Klinikum: 1300 Arbeitsplätze. Der ‚Lausitz Science Park‘: 10.000 Arbeitsplätze.“ 12.500 neue Jobs, allein in Cottbus.

In der restlichen Lausitz sind weitere Strukturprojekte geplant, die Arbeit bringen. Aber es fehlt an Menschen, die sie machen können. Der Fachkräftemangel, von dem immer und überall in Deutschland die Rede ist – die Lausitz trifft er besonders. Viele Organisationen arbeiten deshalb am Image der Region, um für Zuzug zu werben. Aber dafür braucht es Zeit, klagen sie.

Sogar Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) scheint das zu verstehen. Bei einem Besuch Ende Juni sagte er, es gebe erhebliche Unterschiede zwischen der Lausitz und dem Rheinischen Revier, das 2030 aussteigt. Einiges klang nach Zurückrudern. Aber die Debatte um Jahreszahlen, sie hat vor Ort bereits Vertrauen in die Politik erschüttert. Viele sagen: „Wir wissen nicht mehr: Wie lange gilt, was heute gesagt wird?“

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