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Regisseur Babatunde Apalowo (links) und Produzent Damilola E. Orimogunje mit dem Teddy für „All the Colours of the World Are Between Black and White“

© dpa/Annette Riedl

Teddy Award geht nach Nigeria: Freude, Trauer und Power bei den queeren Berlinale-Preisen

Es war die queerste Berlinale aller Zeiten – keine leichte Aufgabe für die Teddy Jury. Sie hat sie bravourös gelöst. So lief die Gala in der Volksbühne.

Die erste Rede des Abends ist mehr als 80 Jahre alt und klingt, als stamme sie von heute: „Der Hass der Menschen wird vergehen, die Diktatoren werden sterben, und die Macht, die sie dem Volk genommen haben, wird zum Volk zurückkehren“, sagt ein kolorierter Charlie Chaplin von der Volksbühnen-Leinwand herab.

Sein berühmter Final-Monolog aus „Der große Diktator“ führt nicht nur die deprimierende Unfähigkeit der Menschheit, aus der Geschichte zu lernen, vor Augen, sondern auch die Vergeblichkeit selbst brillantester Filmkunst im Angesicht barbarischer Kriege.

Doch bevor sich Verzweiflung über den voll besetzen Saal legt an diesem ersten Jahrestag des Beginns der russischen Invasions auf die gesamte Ukraine, hält Kulturstaatsministerin Claudia Roth in ihrem unnachahmlich emphatischen Duktus eine Lobrede auf den ältesten und bedeutendsten queeren Filmpreis der Welt. „Der Teddy steht für die Werte, die uns vereinen“, sagt sie. Respekt, Solidarität, Vielfalt. Genau die Werte, die Russland angreift. Wie man sie verteidigt und feiert, das wissen queere Menschen seit jeher.

Zu ihnen gehören die Macher*innen des Sunny Bunny Awards, mit dem seit 2001 die besten queeren Werke des Kiewer Molodist Festivals ausgezeichnet werden. Mit dem Panorama, der traditionellen Heimat der LGBTIQ-Filme auf der Berlinale, verbindet es eine langjährige Freundschaft. Auf der Bühne kommt das in einer innigen Umarmung von Sunny-Bunny-Mitgründer Andriy Khalpakhchi und Teddy-Erfinder Wieland Speck zum Ausdruck, bevor der Berliner dem Kiewer den Special Teddy überreicht.

Im vergangenen Jahr konnte der ukrainische Preis kriegsbedingt nicht vergeben werden, dafür ist jetzt ein eigenständiges Sunny-Bunny-Festival für Juni geplant. „Es wird das erste queere ukrainische Filmfestival überhaupt sein“, sagt Organisator Bohdan Zhuk. „Egal unter welchen Umständen – wir sind Ukrainer, wir können alles regeln.“ Er bekommt viel Applaus, eine kleine Gruppe seiner Landsleute schwenkt eine Flagge, sie hat auch ein Banner mit der Aufschrift „Arm Ukraine“ dabei.

Das Leid des angegriffenen Landes, dessen Farben den Bühnenhintergrund dominieren, bleibt während der zweieinhalbstündigen Gala stets präsent. Doch es gibt auch Raum für den Freiheitskampf im Iran, und in den ausgezeichneten Werken weiter sich Blick bis in ganz andere Weltgegenden. Was nie überfordernd oder überladen wirkt. Es spiegelt einfach die Vielfalt der queeren Community, wenn etwa mit Derik Lynch ein indigener Australier den Kurzfilm-Teddy entgegennimmt und in einem emotionalen Dankesstatement von seiner auf verschiedenen Ebenen stattfindenden Diskriminierung spricht.

Andriy Khalpakhchi und Bohdan Zhuk mit dem Special Teddy.

© dpa/Annette Riedl

Der Spielfilm-Teddy geht an Babatunde Apalowos „All the Colours of the World Are Between Black and White“, ein ruhiges, intensives Drama über die Annäherung zweier junger Männer in Lagos. Der Regisseur widmet den Preis einem toten Freund und allen, die in seinem Land um queere Rechte kämpfen.

„Es ist nicht nur ein Liebesfilm, sondern auch ein politisches Statement“, sagt er einen Tag vor den Wahlen in Nigeria. „Die Regierung muss begreifen, dass Liebe Liebe ist und nicht mit 14 Jahren Gefängnis bestraft werden kann.“

Neben harten Themen gibt es bei der von Schauspieler Brix Schaumburg kurzweilig moderierten Preisverleihung aber auch ein leichteres Leitmotiv: queer joy. Nach dieser Freude hat die sechsköpfige Teddy-Jury in den 33 queeren Berlinale-Werken – mehr denn je und in allen Sektionen – Ausschau gehalten. Sie wurde nicht zuletzt fündig in „Orlando, ma biographie politique“ von Paul B. Preciado, der seinen Doku-Teddy sichtlich begeistert und auch leicht entgeistert entgegennimmt.

Das von Virginia Woolf inspirierte Filmdebüt des Queer-Theoretikers hat auf dem Festival zahllose Menschen mit den unterschiedlichsten Identitäten beglückt – es ist zu hoffen, dass „Orlando“ dies bald auch in den deutschen Kinos tun wird.

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