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Von wegen Eintracht: Claudia Roth (2.v.r.) lässt die Berlinale-Leitung Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian (r.) mit den Kostensteigerungen allein, ihre Behörde begrüßt deren Sparprogramm.

© picture alliance/dpa

Nur noch 200 statt zuletzt 287 Filme: Berlinale beschließt drastisches Sparprogramm

Trotz großen Publikumserfolgs im vergangenen Februar muss das Filmfestival schrumpfen. Dringende Personal- und Strukturfragen sind nicht geklärt – auch weil politische Zusagen fehlen.

Nun ist es offiziell: Die Berlinale muss drastisch sparen, und zwar am Programm. Wie das Festival am Dienstag mitteilt, werden zum einen die Sektionen „Perspektive Deutsches Kino“ und „Berlinale Series“ aufgelöst – darüber hatte vergangene Woche zuerst „Spiegel online“ spekuliert. Deutschsprachige Nachwuchsfilme und Serien sollen aber weiter auf dem Festival gezeigt werden, in den anderen Reihen vom Wettbewerb bis zu „Generation“ – und die Serien im Rahmen der „Special Galas“.

Zum anderen, und das ist die weit erschreckendere Nachricht: Die Gesamtzahl der Filme wird deutlich reduziert, von zuletzt 287 auf etwa 200 bei der Berlinale 2024 (15. bis 25. Februar). Noch einmal fast ein Drittel weniger Filme, und das trotz des großen Publikumserfolgs im vergangenen Februar mit 320.000 verkauften Tickets, einer Auslastung wie vor Beginn der Pandemie – das ist eine heftige Maßnahme. Fast alle der noch verbleibenden Sektionen wie Specials, Encounters, Panorama, Forum, Generation, Retrospektive etc. werden weniger Programm präsentieren, lediglich beim Hauptwettbewerb soll nicht gekürzt werden. In diesem Jahr gingen 18 Filme ins Bärenrennen.

Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek und der Künstlerische Leiter Carlo Chatrian sprechen in ihrer Mitteilung fast euphemistisch von „einer Konzentration des Programms“. Bei gleichbleibenden Budgets und erheblichen Kostensteigerungen sehen sie sich angehalten, solche strukturellen Veränderungen einzuleiten, „um budgetär auch künftig eine stabile Grundlage“ für die Berlinale zu schaffen.

Der französische Dokumentarfilmer Nicolas Philibert, Gewinner des Goldenen Bären 2023, mit Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian.

© AFP/JOHN MACDOUGALL

Dass die Berlinale mit ihrer Vielzahl von Sektionen und Events überladen, unübersichtlich und unprofiliert sei, wird seit vielen Jahren kritisiert. Eine derart erhebliche Straffung des Programms ist dennoch ein harter Einschnitt, erst recht, wenn man bedenkt, dass die Filmfestspiele 2019, im letzten Jahr unter Leitung von Dieter Kosslick, noch rund 400 Titel zeigten.

Kann denn wenigstens der häufig geäußerte Wunsch erfüllt werden, besonders die publikumsträchtigen Produktionen etwas häufiger zu wiederholen? Einfach ist das nicht, denn Produzenten und Weltvertriebe wollen nicht zu viel Publikumspotential schon bei Festivals ausschöpfen, sie wollen später an der Kinokasse oder on demand ja Geld mit den Filmen verdienen. Das Leitungsduo spricht deshalb auch nur vage von der Chance, „die Präsentation und Wahrnehmung der eingeladenen Filme zu optimieren“.

Ob aus der Not nun die Zukunft erwächst oder nicht: Die knappen Finanzen machen es nicht leicht, eine Nachfolge für Geschäftsführerin Rissenbeek zu finden. Sie hatte im März bekannt gegeben, dass sie ihren Vertrag nicht über 2024 hinaus verlängert. Chatrians Vertrag läuft ebenfalls Ende März nächsten Jahres aus. Das sind noch gut acht Monate. Über die Entscheidung für Chatrian war mehr als eineinhalb Jahre vor seiner ersten Festivalausgabe 2020 befunden und berichtet wurden.

Auf Nachfrage in der Behörde von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (BKM) wird jedoch klar, dass die Grünen-Politikerin es trotz der heftig drängenden Zeit nicht eilig hat. Vertragsverlängerung für Chatrian? Neue Geschäftsführung? Überprüfung der Governancestrukturen, wie sie im März seitens der Dachorganisation der Berlinale, der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin (KBB) erbeten wurden? Fehlanzeige.

Eine Sprecherin Roths teilt mit, dass der Aufsichtsrat sich erst in seiner nächsten Sitzung Ende August mit den Ergebnissen der Überprüfung befassen und „über das weitere Verfahren entscheiden“ wird. Das heißt, Personalien werden vor September, Oktober bestimmt nicht auf die Tagesordnung kommen.

Wir müssen strukturelle Veränderungen einleiten, um budgetär auch künftig eine stabile Grundlage für die Organisation und Durchführung der Berlinale zu schaffen.

Das Leitungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian

Menschen, die ein Festival von der Größenordnung der Berlinale geschäftsführend oder künstlerisch leiten können, sind rar gesät in der internationalen Kulturlandschaft. Den oder die beste zu finden, ist eine immense Herausforderung. Will heißen: So fahrlässig ist noch kein:e Amtsvorgänger:in Roths mit dem größten deutschen Kulturevent umgegangen.

Und die Finanzen? Grundsätzlich begrüßt die Behörde die „Konzentration“ als wichtigen und notwendigen Schritt, sie begrüßt auch das eigenverantwortliche Handeln der Festivalleitung. Der „Markenkern als weltgrößtes Publikumsfestival“ werde nicht beschädigt. Ansonsten weist die Sprecherin lediglich darauf hin, dass der KBB-Etat 2024 um zwei Millionen Euro aufwächst, „von denen 400.000 Euro an die Berlinale fließen“. Ein lächerlicher Betrag angesichts eines Gesamtbudgets von gut 32 Millionen Euro, von denen das Festival mehr als Zweidrittel selbst erwirtschaftet. Die Leitung, heißt es, müsse ihr Finanzierungskonzept weiterhin „dynamisch an die Gegebenheiten anpassen“.

Dann schrumpft halt mal: Es klingt fast zynisch, bedenkt man, wie leidenschaftlich Claudia Roth bei den Berlinale-Eröffnungen für das Kino, das Festivals und die Sache des Films geworben hatte. Die Politik lässt die Berlinale im Regen stehen. Wenigstens ist nun die Rede davon, dass die BKM nach dem Treffen im August „gegebenenfalls eine weitere Anhebung der Regelförderung prüfen und beim Land Berlin sowie beim Deutschen Bundestag um Unterstützung werben“ wird.

Das klingt nach Bemühenszusage. Erfunden hatte sie in den 90er Jahren der Berliner Kultursenator Peter Radunski. Meistens wurde nichts draus.

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