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Wohin steuert das Festival jetzt? Das Leitungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian bei der Eröffnung ihres ersten Berlinale-Jahrgangs 2020.

© dpa/Michael Kappeler

Zukunft des Filmfestivals: Berlinale-Programm soll weiter gestrafft werden

Die Berlinale muss sparen. Wie geht es weiter beim großen Publikumsfestival, fallen ganze Sektionen weg? Nächste Woche trifft sich das Leitungsduo Rissenbeek und Chatrian mit der Kulturstaatsministerin.

Dass die Berlinale sparen muss und einige Krisen zu bewältigen hat, war spätestens mit dem Ende des diesjährigen Festivals im Februar klar. Aber stimmt es, dass möglicherweise gleich drei Sektionen aus Kostengründen gestrichen werden müssen, wie „Spiegel online“ jetzt berichtet, pünktlich zur viertägigen Sommer-Berlinale im Freiluftkino Friedrichshain an diesem Wochenende?

Dem Magazin zufolge hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth der Berlinale ein „indirektes Sparprogramm“ auferlegt, deshalb könnten drei der zwölf Sektionen künftig wegfallen: die Reihe für deutsche Nachwuchsfilme „Perspektive Deutsches Kino“, diejenige für die Serien „Berlinale Series“ und sogar die umfängliche Retrospektive mitsamt der meist zehnteiligen „Hommage“, die Filme des jeweiligen Ehrenpreis-Gewinners präsentiert, in diesem Jahr war das Steven Spielberg. Als Indiz führt der Bericht unter anderem den im Mai annoncierten Weggang der „Series“-Leiterin Julia Fidel an. Fidel war vier Jahre Chefin der Reihe und gehörte fast zwei Jahrzehnte zum Berlinale-Team, sie arbeitete für die Reihen Generation und Panorama.

Was ist dran an den besorgniserregenden Spekulationen? Fakt ist, und daraus hat die Berlinale-Leitung schon zu Jahresbeginn keinen Hehl gemacht: Die mit dem zunehmenden Rückzug der Sponsoren und den beiden Corona-bedingten reduzierten Festivalausgaben einhergehenden finanziellen Engpässe haben sich mit der Energiekrise samt Inflation verschärft.

Wegen der gestiegenen Energie- und Kino-Mietkosten hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth deshalb für die 73. Berlinale aus der Bundesschatulle 2,2 Millionen Euro Extra-Zuschuss locker gemacht, über die Regelförderung in Höhe von 10,7 Millionen Euro hinaus. Dass es sich um ein einmaliges Plus handelt, stand von vornherein fest. Von einer Kürzung der Regelförderung ist nicht die Rede.

Die staatlichen Gelder machen etwa ein Drittel des Gesamtbudgets aus. Hinzu kommen die wieder verlässlichen Erlöse aus den Eigeneinnahmen - der Publikumszuspruch der diesjährigen Ausgabe fiel mit 320.000 verkauften Tickets so hoch aus wie vor der Pandemie - und die sogenannten Drittmittel, sprich: die Beiträge der Sponsoren. Bei letzteren hapert es seit einigen Jahren, auch bei anderen Kulturveranstaltungen ziehen Partner aus der Wirtschaft sich zurück. Gefragt sind deshalb unkonventionelle Lösungen: So hatte die Berlinale in diesem Jahr statt eines Auto-Sponsors die umstrittene Mobilitätsplattform Uber als Partner für den Shuttle-Service gewonnen.

Mit anderen Worten: Dass die Berlinale mit weniger Geld auskommen muss als vor der Pandemie, ist schon länger eine traurige Gewissheit. Es wäre verantwortungslos, wenn die Festivalleitung mit Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek und dem künstlerischen Leiter Carlo Chatrian nicht intern diskutieren würde, wie sie das bewerkstelligt. Auf Nachfrage heißt es nun aus dem Festivalbüro: „Es gibt keine externe Sparvorgabe der BKM, vielmehr sehen wir als Festival angesichts stagnierender Budgets und steigender Kosten die Notwendigkeit, ressourcenschonende Maßnahmen zu ergreifen, um langfristig ein starkes Festival und eine gute Plattform für die Filmindustrie garantieren zu können“.

Deshalb, so Geschäftsführerin Rissenbeek, „wollen wir die Anzahl der Filme im Gesamtprogramm weiter straffen“. Aktuell werde evaluiert und diskutiert, „wie das konkret umgesetzt werden kann“. Und wie ist es mit den drei im „Spiegel“ genannten Sektionen? „Serien und deutsche Nachwuchsfilme werden nach wie vor einen Platz im Programm haben, wie auch das filmhistorische Programm,“ so die Antwort des Festivals.

Will heißen: Möglich, dass der Zuschnitt der Sektionen sich ändert und dass bei der ohnehin teils anders finanzierten Retrospektive in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinemathek nächstes Jahr ein einmalig abgespecktes Programm präsentiert wird, wie es dem Vernehmen nach heißt. Aber ein Aus für die Filme der auf den Prüfstand gestellten Sektionen wird es nicht geben. So soll etwa die „Perspektive“-Leiterin Jenni Zylka (die unter anderem auch als Tagesspiegel-Autorin arbeitet) weiterhin Nachwuchs-Produktionen kuratieren und sich um die Präsentation erster und zweiter deutschsprachiger Regiearbeiten auf der Berlinale kümmern.

Rissenbeek weist in ihrem Statement darauf hin, dass die Programmstruktur bereits seit 2020 von der neuen Doppelsitze weiterentwickelt wurde. Wohl wahr: Carlo Chatrian führte neben der Bären-Konkurrenz mit „Encounters“ einen zweiten Wettbewerb ein. Die „Außer Konkurrenz“-Schiene wurde abgeschafft, zugunsten der neu zugeschnittenen „Specials“, auch mit der von Amtsvorgänger Dieter Kosslick eingeführten Reihe „Kulinarisches Kino“ war Schluss. Ein weiteres Überdenken der Strukturen habe bereits begonnen, so Rissenbeek. Die aktuelle ökonomische Situation habe dies nun natürlich forciert. „Konkrete Maßnahmen werden wir baldmöglichst veröffentlichen.“

Seit Jahren wird das Festival dafür kritisiert, dass das Programm zu unübersichtlich sei. Die Perspektive Deutsches Kino war von Dieter Kosslick zu seinem Amtsantritt 2002 eingeführt worden, um die Präsenz des deutschen Films auf der Berlinale zu stärken. Die hiesige Branche und das Festival waren zuvor lange zerstritten. Die Befriedungsmaßnahme hat längst gefruchtet, in diesem Jahr liefen gleich fünf deutsche Filme im Wettbewerb, die Reihe hat ihren Zweck erfüllt.

Warum also nicht Nachwuchsfilme in den anderen Nebenreihen zeigen, im Panorama oder im Forum? Warum nicht tatsächlich endlich noch etwas mehr entschlacken und das Profil der zahlreichen Reihen schärfen? Weniger Filme, und die dafür häufiger zeigen, auch diese Forderung ist nicht neu.

So oder so, der Tanker Berlinale schlingert in unruhigem Fahrwasser. Da ist zum einen die Kino-Krise: Viele bewährte Festivalkinos haben in den letzten Jahren geschlossen oder fielen wegen Umbaus weg. Der Potsdamer Platz, lange das Herz der Berlinale, ist jetzt nur noch Zentrum für die Fachbesucher, die Zukunft des Berlinale-Palasts ist ungewiss, die Publikumskinos sind über die ganze Stadt verteilt.

Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek hatte außerdem Ende März bekannt gegeben, dass sie ihren Vertrag über 2024 hinaus nicht verlängert. Die dann 68-Jährige wird also nächstes Jahr ihr letztes Festival mit ausrichten. Über die Vertragsverlängerung von Carlo Chatrian ist noch nicht entschieden. Hinter den Kulissen hieß es gelegentlich, die Zusammenarbeit der beiden sei nicht optimal. Von Claudia Roth hieß es im März, dass sie auch die Governancestrukturen des Festivals überprüfen will. Nächste Woche steht ein Treffen der Berlinale-Leitung mit der Behörde der Kulturstaatsministerin im Kalender, auf Fachebene, nicht mit Claudia Roth selbst*. Bestimmt werden dabei auch Spar- und Umstrukturierungspläne mit Roth als oberster Dienstherrin der Berlinale erörtert. Was immer die Evaluierung der Berlinale-Leitung und Verwaltung ergeben sollte: Klar ist, dass eine Leitung in Personalunion wie zu Zeiten von Dieter Kosslick wegen des schieren Umfangs der Aufgaben keine Option mehr ist. Klar ist auch: Sowohl über die Vertragsverlängerung bei Chatrian wie über die Nachfolgefrage bei Rissenbeek muss schleunigst entschieden werden, denn Personalien brauchen in der internationalen Festivallandschaft einen langen Vorlauf.

Es ist an der Zeit, dass das Festival aus dem Krisenmodus wieder herauskommt. Ohne ein deutliches Bekenntnis der Politik zum weltgrößten Publikumsfestival wird das nicht gehen. *In einer früheren Fassung dieses Artikels hieß es, die Berlinale-Leitung treffe sich mit Claudia Roth persönlich. Dies ist nicht der Fall.

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