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Die Tagesspiegel-Leserjury mit Paul B. Preciado,  dem Regisseur des Gewinnerfilms: (v.l): Jacqueline Blösch, Detlev Müller, Laura Klemens, Irmela Schuller, Paul B. Preciado, Vincent Kelany und Arthur Haake.

© Richard Hübner

Entscheidung nach drei Stunden: „Orlando“ gewinnt den Berlinale-Preis unserer Leserjury

Paul B. Preciado gewinnt mit „Orlando, ma biographie politique“ den Leserjury-Preis des Tagesspiegels, für den besten Film in der Reihe Encounters.

Drei Stunden hat die Tagesspiegel-Leserjury diskutiert, nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Top-Favoriten stand der Sieger fest. Unter den 16 Encounters-Beiträgen votierten die sieben mehrheitlich für „Orlando, ma biographie politique“ des spanischen Queer-Philosophen Paul B. Preciado.

Der Film erweist Virginia Woolfes „Orlando“, dem ersten Roman der Weltliteratur über eine non-binäre Person, seine Reverenz – und ist mehr als bloß Hommage: 25 Darsteller*innen verkörpern Orlando, darunter die Schriftstellerin Virginie Despentes. „Virgina Woolfs Orlando lebt; vielmehr: Er tanzt!“, so die Jury-Begründung.

Auf der Bühne der Geschlechter-Vielfalt zelebriere der Regisseur „die Wandelbarkeit von Körpern. Indem alle Figuren zunächst die wahre Geschichte ihres Lebens erzählen und dann in die Rolle des Orlando schlüpfen, wird die individuelle wie die kollektive Dimension der Thematik eröffnet und auf kunstvolle Weise dargestellt.“ Am Ende stehe eine einfache Forderung: „das Recht auf die individuelle Bestimmung über die eigene Identität“.

Ein Regiedebüt also: Preciado ist international für seine Essays und als Trans-Aktivist bekannt, vor allem mit dem Buch „Testo Junkie. Sex, Drogen und Biopolitik in der Ära der Pharmapornografie“. Bei der Preisverleihung der unabhängigen Jurys zeigt er sich überglücklich - und ähnlich be- und entgeistert wie am Vorabend, als er bereits den Teddy-Award gewann.

Szene aus „Orlando, ma biographie politique“.

© Les Films du Poisson

„Ich bin doch eigentlich nur ein Autor, das ist mein erster Film, und ich bekomme Preise dafür,“ freut er sich. Nach seinem jahrelangen Engagement als Trans-Aktivist habe er immer einen Weg gesucht, dieses Engagement fortzusetzen, jetzt mache er Filme. Er bedankt sich auch bei seinen 25 Darsteller*innen, ohne die es seinen Erstling nicht gäbe. Und weitermachen als Regisseur will er sowieso.

Preciado lebt in Paris, „Orlando, ma biographie politique“ wurde unter anderem von Arte koproduziert. Wegen Virginia Woolfe hatte der 52-Jährige eigentlich Großbritannien als Schauplatz ins Auge gefasst, wegen der Pandemie kam es dann doch nicht dazu. So realisierte der Spanier seine lebensfrohe Version des Romans einer Engländerin in Frankreich: Länderdivers ist sein Film allemal.

Jurorin Irmela Schuller findet es gut, dass in der von Carlo Chatrian 2019 eingeführten Wettbewerbsreihe auch Debüts laufen, sie war mit dem Programm sehr zufrieden. Gute Mischung, die meisten Filme hat sie mit Gewinn gesehen.

Juror Vincent Kelany sieht das genauso. An Preciados Film gefällt ihm besonders die Verspieltheit, mit der er die Selbstbestimmung verteidigt. Seit dem Deutschen Buchpreis für Kim de l’Horizon sei Transgender ohnehin mehr auf der öffentlichen Agenda, Kelany hofft, dass der Leserjury-Preis dies ein wenig verstetigen hilft. „We are all born naked and the rest is drag“, zitiert er die Dragqueen RuPaul. Wenn Orlando tanzt, gilt das erst recht.

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