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Sommer, Moped, Glück. Hans (Johannes Hegemann) und Hilde Coppi (Liv Lisa Fries) vor der Verhaftung 1942.

© Frederic Batier / Pandora Film

Andreas Dresens Film „In Liebe, Eure Hilde“ auf der Berlinale: Eine anständige Frau

Im Biopic „In Liebe, Eure Hilde“ von Andreas Dresen spielt Liv Lisa Fries die stille Heldin Hilde Coppi. Mit der „Roten Kapelle“ leistet sie Widerstand gegen Hitler.

Hilde Coppi wird beim Erdbeerpflücken festgenommen. „Wie lange wird es dauern?“, fragt sie und folgt angsterfüllt, aber ruhig, den Männern, die kurz zuvor das Laubengrundstück in Tegel betreten haben, wo sie mit ihrem Mann Hans Coppi lebt.

Keine Gestapo-Ledermäntel, kein Fluchtversuch, kein Aufbäumen, kein Geschrei. Selten hat ein Regisseur weniger Bohei um die Verhaftung, diesen klassischen Topos jedes Historiendramas aus der Zeit des Nationalsozialismus gemacht.

In Andreas Dresens‘ Wettbewerbsfilm „In Liebe, Eure Hilde“ geschieht der Anfang vom Ende der Eheleute Coppi, die Mitglieder des unter dem Namen „Rote Kapelle“ bekannt gewordenen Widerstandsnetzwerks sind, wie nebenbei. Auch die Aktionen des Berliner Zirkels völlig unterschiedlicher junger Leute geschehen wie nebenbei. Das Bekleben der Plakate gegen die Anti-Sowjet-Propagandaschau „Das Sowjetparadies“. Das Abhören und Weitergeben von Soldatennachrichten auf „Radio Moskau“. Das Beschaffen eines Funkgeräts und das Morsen.

Im Mittelpunkt dieser Geschichte, die aus Hilde Coppis Haft im Frauengefängnis Barnimstraße ab dem September 1942 in Rückblenden erzählt werden, steht kein politischer Aktionismus, kein antidiktatorischer Befreiungskampf, sondern das ganz normale Leben. Zelten mit der Clique, mit Hans baden, Moped fahren und schlafen, schwanger werden. Den subversiven Widerstandshandlungen, die die schüchterne Hilde erst ihrem Mann (Johannes Hegemann) zuliebe und zunehmend aus eigenem Antrieb heraus durchführt, fehlt jede filmische Aufladung durch Heldenpathos und Suspense.

Rabiye Kurnaz gegen George Bush

Verglichen mit Andreas Dresens letztem Berlinale-Film, der David-gegen-Goliath-Geschichte „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ meint man, nie einen puristischeren Dresen gesehen zu haben. Diese Verhaltenheit schließt selbst die notorische Rampensau Alexander Scheer ein. Er spielt den Plötzenseer Gefängnispfarrer Harald Poelchau, dem Hilde Coppi vor ihrer Hinrichtung ihren mit „In Liebe, Eure Hilde“ endenden Abschiedsbrief diktiert, mit wohltuend schlichtem Understatement.

Fast scheint es, als würde das zurückhaltende Wesen der Sprechstundenhilfe und Versicherungsangestellten Hilde Coppi auf die Menschen in ihrer Umgebung abfärben. Was angesichts des erbarmungslos funktionierenden Vernichtungsapparats der Nationalsozialisten gegenüber ihren politischen Gegnern ein unhaltbarer Euphemismus wäre. Dass Andreas Dresen Gestapobeamte Leberwurststullen herschenken lässt und der Gefängnisschließerin Kühn (Lisa Wagner) menschliche Regungen zugesteht, lässt das System nicht weniger inhuman erscheinen. Aber es macht die Menschen, die es am Laufen halten, nahbarer, verständlicher.

Dass es in „In Liebe, Eure Hilde“ oder besser bei Hilde Coppi um Widerstand aus moralischem Anstand heraus geht und nicht um eine ausgefeilte politische Agenda, nimmt dem betont wenig historisierenden Historiendrama das Zwingende, aber es schafft eine differenzierte Figur. Liv Lisa Fries spielt eine durchlässige, unter dem Druck der Haft an Statur gewinnende Hilde Coppi, die im Gefängnis ihren Sohn Hans zur Welt bringt und sich auf der Krankenstation um Mitgefangene kümmert.

Ungewöhnlich ist nicht nur die Tonalität des Dramas, sondern auch der von Kamerafrau Judith Kaufmann gestaltete grobkörnige Look, der Rückblenden zu gleißend hellen Sommertagen mit dem kalten Blaugrau der Gefängniszelle kombiniert. Dass „In Liebe, Eure Hilde“ im Europäischen Breitwandformat gezeigt wird, was man derzeit kaum noch sieht, weckt Assoziationen an den Neuen Deutschen Film. Auch darin setzt „In Liebe, Eure Hilde“ sich von handelsüblichen Historiendramen ab.

Das Problem von Dresens und dem seiner Drehbuchautorin Laila Stielers Ansatz, sich ganz dem subjektiven Porträt einer jungen Frau und der Schilderung ihrer emotionalen Befindlichkeit zu widmen ist, dass man zu wenig über die historische Figur Hilde Coppi erfährt. Die Treffen mit den Freundinnen und Freunden, die häufig konspirativer Natur sind, und auch ihre Hilfe für Hans Coppis Widerstandsarbeit bleiben in den Rückblenden allzu rudimentär erzählt. Da ist es gut, dass in den letzten Jahren mehrere Dokumentarfilme die schon im Nationalsozialismus als Sowjetspionage-Truppe verunglimpfte „Rote Kapelle“ rehabilitiert haben.

Dass es auch in einem Terrorregime, wie es der Nationalsozialismus war, darum geht, die persönliche Integrität zu wahren und den eigenen Überzeugungen treu zu bleiben, ist eine Botschaft, die aktueller nicht sein könnte. Hilde Coppi lebt, wie ein Mensch leben sollte. Ohne Aufhebens davon zu machen. Als der Richter sie beim Prozess vor dem Reichskriegsgericht befragt, warum sie ihren Mann nicht angezeigt habe, antwortet sie: „Weil ich meinen Mann liebe.“ Am 5. August 1943 werden in Berlin-Plötzensee in 35 Minuten 13 Frauen mit dem Fallbeil geköpft. Hilde Coppi ist eine von ihnen.

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