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Viel Energie nötig: die neue Feuerbeschichtungsanlage auf dem Gelände der Thyssenkrupp-Westfalenhütte.

© Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Die Industrie braucht günstige Energie: „Der Winter wird brutal“

Viele Unternehmen werden den Winter in dieser Form nicht überleben, warnt Marcus Berret, Direktor von Roland Berger. Eine Deindustrialisierung befürchtet er aber nicht.

Ein böses Wort taucht in diesem Herbst immer häufiger auf zur Beschreibung der Folgen der Energiekrise: Deindustrialisierung. „Wenn wir in etwa zehn Jahren zurückblicken werden, könnten wir diese Zeit als Ausgangspunkt für eine beschleunigte Deindustrialisierung in Deutschland betrachten“, schreiben die Ökonomen der Deutschen Bank.

Fahrzeug- und Maschinenbau, Chemie- und Elektroindustrie, Medizintechnik- und Pharmafirmen haben hierzulande eine größere Bedeutung als in vergleichbaren Ländern. So ist der Anteil der Industrie am Bruttosozialprodukt in Deutschland mit rund 20 Prozent doppelt so hoch wie in Frankreich.

Die Industrie benötigt Energie, Rohstoffe und Vorprodukte aus aller Welt und ist entsprechend abhängig von funktionierenden Märkten, zuverlässigen Lieferanten und planbaren Preisen. In diesem Jahr hakt es an allen Ecken und Enden, weshalb die Produktion des verarbeitenden Gewerbes um 2,5 Prozent schrumpfen wird; im nächsten Jahr sogar um fünf Prozent, befürchtet die Deutsche Bank.

Droht uns eine Deindustrialisierung? Nein, das glaube ich nicht.

Marcus Berret, Managing Director bei Roland Berger

„Es kommt ein harter Winter, den viele Unternehmen in ihrer jetzigen Form nicht überleben werden“, sagt Marcus Berret, Global Managing Director bei Roland Berger, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Aber droht uns eine Deindustrialisierung? Nein, das glaube ich nicht.“ Bereits 2019 rutschten wichtige Bereiche der Industrie in die Rezession. Dann kam Corona, dann der Krieg und die Energiekrise.

„Die deutsche Industrie hat in den vergangenen Jahren schon Anteile am Welthandel verloren“, konstatiert Berret. Der Trend könnte sich beschleunigen, jedenfalls legen das die Anfragen bei den Beratern nahe. „Roland Berger hat eine große Restrukturierungsabteilung, und die ist seit einigen Monaten deutlich stärker gefragt.“

Marcus Berret ist „Global Managing Director“. Er leitet das globale Geschäft von Roland Berger zusammen mit zwei weiteren Kollegen.
Marcus Berret ist „Global Managing Director“. Er leitet das globale Geschäft von Roland Berger zusammen mit zwei weiteren Kollegen.

© Foto: Steffen Burger

Noch sind die Auftragsbücher voll, weil vieles aufgrund fehlender Vormaterialien nicht abgearbeitet werden konnte. Die IG Metall hat vor ein paar Tagen die Ergebnisse einer Umfrage unter 3300 Betriebsräten veröffentlicht, wonach in drei Viertel der Betriebe der Metall- und Elektroindustrie die Kapazitätsauslastung sowie der Auftragsbestand und -eingang gut bis sehr gut bewertet werden.

Und da die Energie in den Metallfirmen nur auf einen Anteil an den Gesamtkosten von rund zwei Prozent komme, seien die eskalierenden Preise für Strom und Gas kein Grund, um sich bei den aktuellen Tarifverhandlungen zurückzuhalten, argumentiert die Gewerkschaft.

Die Unternehmen sparen bei Investitionen

Besorgniserregend ist die Investitionszurückhaltung - 46 Prozent der Betriebe wollen der IG Metall-Umfrage zufolge weniger investieren - sowie die Lage der kleiner Zuliefererbetriebe mit weniger als 999 Mitarbeitenden: 60 Prozent der Betriebsräte dieser Mittelständler beschreiben die Ausgangslage vor dem Winter als schlecht oder sogar sehr schlecht.

Das bestätigt auch Berger-Berater Berret: Die Umsatzrendite dieser Firmen betrage oftmals nicht mehr als zwei Prozent. Wenn die Energie am Jahresende sechsmal so teuer sei wie zu Jahresbeginn, „ist das für viele Geschäftsmodelle absolut existenzbedrohend“. Es fehlt Geld, obgleich doch massive in die Transformation investiert werden müsste. „Das trifft die Industrie brutal.“

Zulieferer sind am stärksten unter Druck

Die Autoindustrie steht aufgrund ihrer Bedeutung für die deutsche Wirtschaft immer besonders im Fokus. Über die Jahre hätten sich die Gewinne in der Branche einigermaßen gleichmäßig verteilt auf Hersteller und Zulieferer, Rohstofflieferanten und sonstige Dienstleister.

Das hat sich verändert, sagt Berret: Die Hersteller verdoppelten ihre Margen, indem sie die knappen Halbleiter vorrangig in große, profitable Autos einbauten. Die Rohstofflieferanten und Softwarekonzerne verdienten inzwischen dreimal so viel wie früher und die Logistikdienstleister das Vier- bis Fünffache. Gleichzeitig kämpften die Zulieferer - mit ihrer technologischen Substanz der Kern des Automobilclusters in Deutschland - ums Überleben.

Die brutalen Zusatzkosten für Rohstoffe, Software und Logistik setzen den Firmen zu.

Markus Berret

„In Deutschland haben viele Unternehmen umgesteuert von Ebit- auf Cash-Steuerung“, hat Berret beobachtet. „Das führt dann sofort zu Einschnitten bei den Investitionen.“ Die „brutalen Zusatzkosten für Rohstoffe, Software und Logistik“ setzten den meisten Firmen zu.  

Vor allem die Rohstoffversorgung sei gefährdet. „Protektionismus und Populismus sind für die deutsche Industrie langfristig das viel größere Problem als der kommende Winter“, sagt Berret und nennt beispielhaft Indonesien, einen der größten Nickel-Produzenten und -Exporteure der Welt. Das Land verbiete den Export von Rohmaterial und zwinge so die Unternehmen, in Indonesien Wertschöpfung für die Verarbeitung von Nickel aufzubauen.

In Schwarzheide in der Lausitz baut BASF eine Kathodenfertigung auf für Batteriezellen.
In Schwarzheide in der Lausitz baut BASF eine Kathodenfertigung auf für Batteriezellen.

© Annegret Hilse/Reuters

Nickel ist einer der wichtigsten Rohstoffe für Batteriezellen. BASF etwa baut in Schwarzheide eine Fabrik für Kathodenmaterial, die bislang mit Nickel aus Finnland beziehungsweise Russland versorgt wird. Die Rohstoffproblematik werde perspektivisch auf den Automarkt durchschlagen. „Der Preis für Mobilität wird steigen, die Fahrzeuge werden teurer“, ist Berret überzeugt, obgleich die weltweiten Überkapazitäten die Autohersteller unter Druck setzen.

Auch wegen der starken Autoindustrie und dem in vielen Segmenten weltweit führenden Maschinenbau ist der Anteil der Industrie an der Wirtschaftsleistung in Deutschland viel höher als in England, Frankreich oder den USA. „Mit Sicherheit wird dieser Anteil sinken“, meint Berret und erklärt das mit „vielen Problemen, die schon länger da sind, zum Beispiel die Demografie.

Die Ansprüche der Generation Z sind eine Herausforderung, die den Fachkräftemangel durchaus weiter verschärft“, sagt der Unternehmensberater. Lange Genehmigungsverfahren und die Bürokratie kämen hinzu. „Diese Themen, ebenso wie die Standortkosten, wirken seit Jahren nicht gut auf die Industrie.“

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Und dennoch ist der Berret nicht pessimistisch und hat dazu auch Anhaltspunkte aus seiner globalen Tätigkeit. Wenn zum Beispiel Lieferketten neu aufgesetzt würden, dann könnte das positive Effekte haben auf den deutschen Maschinen- und Anlagenbau.

Deutschland, das Land der Ingenieure, habe nach wie vor Strahlkraft. „Die Welt schaut noch immer positiv auf uns, was Energieeffizienz und Erneuerbare betrifft.“, sagt Berret. „Der Winter und das nächste Jahr werden heftig, aber es gibt auch große Chancen rund um den Aufbau der erneuerbaren Energien und den Umbau unserer Gesellschaft hin zu CO2-Neutralität.“

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