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Potsdamer Unternehmen auf der Gamescom: Spielen für den Ernstfall

Die Potsdamer Softwarefirma Serious Games Solutions stellt auf der Computer-Spielemesse Gamescom in Köln aus. Unter anderem zeigt sie ihre Simulation eines Terroranschlags.

Babelsberg - Essensbuden und Bierstände reihen sich dicht gedrängt. Besucher auf dem Platz unterhalten sich angeregt, lachen, ein kleiner Junge setzt sich an eine freie Bank und kümmert sich um seine Cola. Doch dann findet die ausgelassene Stimmung ein jähes Ende. Die Kamera schwenkt in eine leere Ecke zwischen zwei Ständen, zoomt heran, ein Mann legt mit versteinertem Gesicht etwas auf den Boden und läuft eilig davon. Wenige Sekunden später die Explosion, Chaos bricht aus, Tote und Verletzte – der Spieler ist gefragt.

Die dramatische und doch wegen der realen Terroranschläge und Amokläufe der vergangenen Monate in Paris, Brüssel oder auch München so realistisch wirkende Szene entstammt der Neuauflage des Spiels „Emergency 2017“ der Potsdamer Firma Serious Games Solutions. In der Simulation schlüpft der Spieler in die Rolle eines Einsatzleiters der Feuerwehr, der versuchen muss, die Folgen eines solchen Attentates möglichst gering zu halten. Dafür stehen ihm nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung. Das Spiel ist Teil der Präsentation des Unternehmens auf der Gamescom, der weltweit größten Messe für interaktive Unterhaltungselektronik wie Computer und Videospiele, die an diesem Mittwoch bis Sonntag in Köln stattfindet.

Spiel für Mitglieder der freiwilligen Feuerwehren

Damit trifft das Unternehmen einen gewissen Zeitgeist. Die meisten Spieler von „Emergency“ seien Mitglieder der freiwilligen Feuerwehren im Land, sagt der Geschäftsführer von Serious Games Solutions, Ralph Stock, den PNN. Mit den Simulationen könnten Terrorlagen und Ähnliches nachgespielt und damit für den Ernstfall trainiert werden. „Tausende Spieler unterstützen den Einsatzleiter in schwierigen Situationen“, sagt Stock. So seien in dem Spiel Szenen aus den Städten Berlin, München, Hamburg und Köln eingebaut. Der Pariser Platz und das Brandenburger Tor kommen darin vor, ebenso der Reichstag und andere Orte in Berlin. Eine Art Vorbereitung für den Ernstfall, so Stock selbstbewusst.

Mit den Spielen mit ernsthaftem Hintergrund hat die Firma in der Tat eine interessante Nische gefunden, die aber zugleich wegen der wachsenden technischen Möglichkeiten immer wichtiger wird. So arbeitet das Unternehmen aktuell an einer VR-Version des Feuerwehr-Spiels. Virtuelle Realität, durch die der Spieler mit Hilfe einer speziellen Brille quasi in die Spiele-Welt eingebettet ist, sei durchaus ein interessanter Markt, so Stock. Noch spannender sei aber die Augmented Reality, in der Elemente des Spiels in die Realität hinzugefügt werden, etwa über Google Glass, einem vor dem Auge getragenen Mini-Computer. Hier könne das noch relativ kleine Unternehmen aber nicht mit den großen Playern wie Sony mithalten. Rund zwei Millionen Euro hat es in den vergangenen Jahren erwirtschaftet – bei 23 Mitarbeitern. Für ein Spiel wie das aktuell sehr beliebte „Pokémon Go“ oder auch das wesentlich ältere „Angry Birds“ habe er nicht die Kapazitäten, räumt der 47-Jährige Stock ein. Auch sei das Risiko eines Flops zu groß.

Manager-Trainingsspiele und mehr

1993 wurde Serious Games Solutions zunächst in Tübingen gegründet. Neben dem Katastrophenspiel übernehmen die Programmierer auch Auftragsarbeiten für Firmen, unter anderem für Siemens und das Pharmaunternehmen Roche. „Das ist sogar unser Hauptgeschäft“, so Stock. Die Gamescom ist für ihn auch nicht die wichtigste Messe. Bedeutender seien etwa die „Didacta“ in Stuttgart oder die „Laerntec“ in Karlsruhe. So entwickelte der 47-Jährige ein Manager-Trainingsspiel, über das Führungskräfte in Echtzeit zum Thema Mitarbeiterführung geschult werden. Die dargestellten Angestellten agieren wie unter realen Bedingungen. „Wenn sie schlecht gelaunt sind, ist vielleicht mal wieder ein Mitarbeitergespräch angebracht“, so Stock.

Ein weiteres Arbeitsfeld ist die Vermittlung von Wissen und Information im Gesundheitsbereich. So engagiert sich das Unternehmen in dem EU-geförderten Projekt „iManageCancer“, das sich vor allem an krebskranke Kinder und Jugendliche richtet. Daran beteiligt sind acht Firmen aus fünf europäischen Ländern. Ziel sei es, dass chronisch kranke Krebs-Patienten spielerisch ihren Alltag besser managen können – von Hilfen bei der Medikamentenvergabe bis hin zu kleinen Minispielen für das Smartphone, so Stock. Eine Version des Programms richtet sich auch an Erwachsene. „iManageCancer“ ist aktuell noch in der Entwicklungsphase und wird erst in den kommenden Jahren auf den Markt kommen.

Enge Zusammenarbeit mit Institutionen

Grundsätzlich arbeitet Serious Games Solutions eng mit Institutionen und Behörden zusammen. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) habe aber noch nicht persönlich bei ihm angerufen und um Rat gefragt, sagt Stock mit Blick auf die aktuellen Diskussionen um einen möglichen gemeinsamen Einsatz von Polizei und Bundeswehr im Innern nach dem Amoklauf in München Mitte Juli.

Seit 2009 gibt es auch in Babelsberg eine Filiale, im Guido-Seeber-Haus in der Medienstadt. Man habe in der Nähe von Berlin sein wollen und sei schließlich in Potsdam gelandet, sagt Stock. Dennoch gebe es immer wieder Überlegungen, nach Berlin zu ziehen. Es sei schwierig, geeignetes Personal zu überzeugen, in der Landeshauptstadt zu arbeiten. „Es ist für einen 23-Jährigen einfach hipper, in Mitte in einem Loch zu sitzen.“ Der Standort Potsdam stehe aber nicht zur Diskussion.

Doch wie entstehen diese Spiele, die einen so hohen Nutzen für die Allgemeinheit haben können und wer sind die Macher? Stock wuchs im hessischen Herborn auf und bezeichnet sich selbst als Nerd. Die ersten Computerspiele schrieb er bereits im Alter von 15 Jahren. „Auf dem Commodore C64, das waren Spiele wie MadTV oder Stein der Weisen.“ Geld verdienen konnte er damit aber nicht, auch wegen der vielen Schwarz-Kopien. Ansonsten sucht man die typischen Klischees für die Gaming-Szene wie Nickelbrillen, chaotische Schreibtische, literweise Club Mate oder andere Energy-Drinks sowie Fastfood-Tüten in seinem Unternehmen vergeblich. In den Büros sieht es relativ aufgeräumt aus. Die Programmierer sind einfach junge Leute, computeraffin und definitiv sogenannte digital natives, also mit dem Computer aufgewachsen.

Geheimsache Eastereggs

Und – ja – auch Frauen arbeiten hier. In einem der Bürozimmer der Programmierer im Guido-Seeber-Haus sitzt Tatiana Belova vor zwei großen Doppel-Bildschirmen und sucht ausdauernd nach Fehlern – sogenannten Bugs – in der aktuellen Produktion von „Emergency“. „Wir legen auch Eastereggs“, sagt die 35-Jährige und lächelt verschwörerisch. Das sind kleine Hintertürchen, die die Programmierer in das Spiel einbauen. Findet ein Spieler ein solches Osterei, gibt es eine Belohnung. Es sei ein großer Unterschied, ob eine Frau oder ein Mann das Ei einbaue, so Belova – und schweigt. Die Arbeit macht ihr trotz der ernsten Themen sichtlich Spaß. Aber Tipps für die Gamer geben, das geht gar nicht. (mit pb)

Stefan Engelbrecht

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