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Am Hans Otto Theater wird es 2023/24 wieder zeitgenössischer. Ab 2025 droht Intendantin Bettina Jahnke zufolge die Insolvenz.

© Andreas Klaer

Die Gegenwart schlägt zu: Was das Hans Otto Theater 2023/2024 plant

Vor dem Hintergrund der Potsdamer Haushaltskrise hat das Stadttheater seine kommende Spielzeit präsentiert. Die Hälfte der Premieren sind zeitgenössische Stücke.

Um Bewegung soll es im Haus am Tiefen See in der kommenden Spielzeit gehen, und die Jahrespressekonferenz des Hans Otto Theaters (HOT) machte vor, wie sich das anfühlen kann. Auf zweierlei Weise. Zum einen: Nachdem man im vergangenen Jahr in die Unterbühne geladen hatte, war diesmal die Drehbühne dran, jener magische Mechanismus, der auf der Bühne für Perspektivwechsel sorgt.

Zum zweiten: Am Schluss der Veranstaltung sorgt Intendantin Bettina Jahnke dafür, dass der Blick weggeht vom Einzelnen hin zur alles überschattenden Haushaltskrise. Nach jetzigem Stand ist dies die letzte Spielzeit im hier vorgestellten Ausmaß. Mehr noch: Wenn die Stadt Potsdam als Trägerin keine Lösung finde, werde das Theater angesichts steigender Kosten 2025 zahlungsunfähig. „Ab 2025 stehen wir zur Disposition.“ In letzter Konsequenz heiße das, so Jahnke: Insolvenz.

18
Premieren sind in Potsdam geplant

Vorerst aber: 18 Premieren. „Wir besuchen euch/Ihr besucht uns“ ist diese Spielzeit überschrieben. Angesichts von Krieg und Energiekrise wirkt das erstaunlich unbeeindruckt vom Zeitgeschehen. Aber Spielpläne haben lange Vorläufe, und dieser entstand, als das Haus noch darum rang, das theaterentwöhnte Publikum zurück in die Säle zu bekommen. Das ist inzwischen gelungen: Jahnke verzeichnet eine Auslastung von 70 Prozent und rechnet nach dem Sommertheater auf der Seebühne mit einer Bilanz von 80 Prozent.

Die, die nicht kommen

Die Frage nach denen, die nicht ins Theater kommen, stellt sich trotzdem. So hat das Haus eine Initiative gestartet, um Nichttheatergänger ins Theater zu holen: über Partnerschaften einzelner Ensemblemitglieder mit Menschen aus dem Bekanntenkreis, die sonst nichts mit Theater am Hut haben. Der Automechaniker, die Friseurin, der Zahnarzt. Im Spielzeitheft sind die sparkursbedingten 23 Ensemblemitglieder auf dem Weg durch die Stadt zu sehen.

Und auch im Programm geistert viel Potsdam herum. Das geht schon mit „Mephisto“ los, dem Spielzeitauftakt am 22. September. Die Stückfassung von Regisseur Sascha Hawemann darf mit Spannung erwartet werden: Zuletzt zeigte er mit Ibsen, wie man klassische Stoffe zur Kenntlichkeit verzerrt. Der Roman zeichnet die Karriere des Schauspielers Hendrik Höfgen alias Gustaf Gründgens nach, die Potsdam-Connection: Die Figur Otto Ulrichs. Für die stand Hans Otto Pate, der von den Nazis ermordete Namenspatron des Theaters.

Hinter Teil zwei des Auftaktwochenendes, „Jeeps“, steht eine Autorin, deren Weg eng mit Potsdam verwoben ist. Nora Abdel-Maksoud, Jahrgang 1983, hat in Potsdam gelernt: an der Hochschule für Film- und Fernsehen. Als Schauspielerin war sie am HOT schon zu Gast, mit „Jeeps“ (Regie Max Claessen), einer grotesken Komödie zum pikanten Thema Erbrecht, nun als Autorin.

Und auch hinter „Antigone“ (20. Oktober) steckt ein Potsdamer Autor. John von Düffel hat den antiken Stoff mit „Sieben gegen Theben“ und „Die Phönizierinnen“ verquickt, Bettina Jahnke inszeniert. Spätestens hier dürfte klar sein, dass über einer Spielzeit nicht „Krieg und Frieden“ stehen muss, um das Thema zu behandeln. Die Fragen nach Resilienz und Opferbereitschaft, Gerechtigkeit und Verantwortung: All das ist „Antigone“ eingeschrieben.

Mehr zeitgenössische Stoffe

Zeitgenössische Stoffe kommen anders als zuletzt wieder deutlich mehr zum Zuge. Sechs von zwölf Erwachsenen-Premieren sind Gegenwartsstücke. Das gilt in Teilen sogar für die Winteroper (18. November), die ein vorerst letztes Mal im Schlosstheater stattfinden wird: Georg Friedrich Händels „Acis und Galatea“ trifft auf „Blond Eckbert“ von Judith Weir (Jahrgang 1954). Da ist außerdem „Mütter!“ (12. Januar), ein Projekt von Regisseurin Anna-Elisabeth Frick, die zuletzt eine beeindruckende Sibylle-Berg-Variation in Potsdam gezeigt hatte. Angekündigt ist eine „Expedition auf den Kontinent Muttersein“, basierend auf Erfahrungen des Ensembles und Rollenmustern aus Kunst und Literatur.

Da ist außerdem ein Katastrophen-Stück von Roland Schimmelpfennig („100 Songs“, 19. Januar), aus dem Alina Wolff, zurückgekehrt aus der Elternzeit, auf der Drehbühne ein Lied zum Besten gab. Da ist, von der Pandemie durchs Verschiebekarussell gejagt: Penelope Skinners „Linda“. Mit Peter Thiers und Thomas Köck sind da zudem zwei überaus erfolgreiche Gegenwartsstimmen: Thiers, Jahrgang 1991, gewann 2019 den Kleist-Förderpreis für junge Dramatik, im Großen Haus zeigt er am 12. April die tierische Parabel „Zähne und Krallen“ (Regie Bettina Jahnke).

Von Thomas Köck, ausgewiesener Experte für Sprachakrobatik und Klimafragen, ist am 17. Mai „eure paläste sind leer (all we ever wanted)„ zu sehen, von Moritz Peters und in Verbindung mit dem Bundes-Förderprogramm „Zero“ klimaneutral inszeniert. Schlusspunkt der Saison im Wahljahr 2024: Gogols „Der Revisor“ (8. Juni). Ein Stück über politische Verantwortung.

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