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Der Misanthrop und seine Angebetete. Henning Strübbe als Alceste und Patrizia Carlucci als Célimene in „Der Menschenfeind“.

© Thomas M. Jauk/Thomas M. Jauk

Hintersinn statt Rokoko: Molières „Menschenfeind“ feiert in Potsdam Premiere in neuem Gewand

Molières Klassiker kommt in der Regie von Milena Paulovics ohne Perücken und Rokoko-Kostüme aus. Stattdessen setzt die Inszenierung auf pures Spiel und sprachliches Feingefühl.

Verstaubte Perücken sind tabu, auch Rokoko-Kostüme haben keinen Platz auf der Bühne des Schlosstheaters im Neuen Palais, obwohl sie in seinem Rokoko-Ambiente gut aufgehoben wären. Das Hans Otto Theater kleidet die neue Molière-Inszenierung von „Der Menschenfeind“, die am vergangenen Samstag Premiere hatte, in ein heutiges Gewand.

Auf der Bühne, die von einer halbrunden Wand als Fortsetzung des Zuschauerraums begrenzt wird, geht es um Beziehungsprobleme, die bereits vor mehr als 360 Jahren in „Der Menschenfeind“ verhandelt wurden. Molière spielte bei der Uraufführung vor der Hofgesellschaft König Ludwig XIV. in Paris die Titelrolle. Das Stück hatte damals nur mäßigen Erfolg. Die Potsdamer Inszenierung von Regisseurin Milena Paulovics und Ausstatterin Pascale Arndts hingegen wurde lautstark gefeiert.

Die in Gala-Outfits gekleidete korrupte und verlogene „bessere“ Gesellschaft suhlt sich hier lustvoll in ihrer eigenen Niedrigkeit. Da hat sich seit Molières Zeiten nicht viel geändert. Auch nicht daran, dass ein anständiger Mensch, der dagegen anläuft, große Enttäuschungen erfährt.

Alceste (Henning Strübbe) fordert von seiner Umgebung absolute Ehrlichkeit: keine Schmeicheleien, keine Lügen, ungeschminkte Wahrheit. Auch von seiner Angebeteten Célimene (Patrizia Carlucci), einer jungen und lustigen Witwe, die sich weitere Müßiggänger in ihr Haus geholt hat und mit ihnen flirtet. Célimene findet Alceste zwar interessant, gibt aber dem misanthropisch veranlagten Verehrer einen Korb. Gern wäre er mit ihr in die Einsamkeit verschwunden.

Keine Schenkelklopfer

Regisseurin Milena Paulovics packt diese zeitlose Komödie, die von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens neu übersetzt und in Reime gegossen wurde, in eine weitgehend nachdenkliche Inszenierung, die sich am Premierenabend jedoch erst warm laufen musste. Bedenken, man sei zu einem Abend gepflegter Konversation geladen, verfliegen, als der Dichter Oronte (Jon Kaare Koppe) genussvoll über Freundschaft parliert sowie sein erst kürzlich und in fünf Minuten verfasstes Gedicht „Die Hoffnung“ rezitiert: Hier wurde die Tür zur Komödie geöffnet.

Es sind jedoch keine schenkelklopfenden Späße angesagt. Der einzige Ledersessel auf der Bühne wird glücklicherweise nur selten für Stummfilm-Eskapaden eingesetzt. Die Regisseurin bietet eine wohltuend konzentrierte und schlanke Aufführung. Sie erfindet keine Parallelwelten, lässt den großen Soundapparat und Videoprojektionen weg, setzt auf minimalistische Ausstattung. Pures Schauspiel also, das wunderbare Unterhaltung mit Hintersinn bietet. Dafür stehen Milena Paulovics sieben Darstellerinnen und Darsteller zur Verfügung, die mit Lust spielen und mit sprachlichem Feingefühl die Texte sprechen.

Henning Strübbe als penetranter Misanthrop ist von Anfang in Hochform. Obwohl die „feine“ Gesellschaft um ihn ständig herum scharwenzelt, nervt er sie. Warum, darauf gibt der Abend jedoch keine rechte Antwort. Dem harschen Ätzer Alceste weiß der in Krisengesprächen vermittelnde und harmoniesüchtige Freund Philinte (Arne Lenk) mit Wärme und weitgehender Anteilnahme gegenüberzutreten. Patrizia Carlucci war für ihre erkrankte Kollegin Alina Wolf kurzfristig eingesprungen.

Mit einer erstaunlichen Souveränität und Leichtigkeit verkörpert sie die sich gern in den Mittelpunkt stellende und begehrenswerte Hausherrin Célimene. Für die anderen Gäste ihres Hauses stand mit Nadine Nollau, Kristin Muthwill und Philipp Mauritz ein wandlungsfähiges Ensemble auf der Bühne. So machen Klassiker-Aufführungen Freude.

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