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Lieber nah an der Realität. HFF-Studentin und Regisseurin Aline Fischer.

© Nico Mews

Filmuni Babelsberg-Studentin auf der Berlinale: Sich im Anderen suchen

Aline Fischer studiert an der Filmuniversität in Potsdam Babelsberg – und ist mit ihrem ersten Langspielfilm „Meteorstraße“ bei der Berlinale vertreten. Darin geht es, worum es derzeit immr geht, ja gehen muss: Flucht, Identität und Vertreibung.

Die Grenzen sind weich. Oder sie könnten es sein. Die zwischen Realem und Fiktivem, Dokumentation und Spielfilm, und die zwischen den Menschen sowieso. Ständig treten sie, tritt alles in Beziehung zueinander, und das ist es auch, was Aline Fischer interessiert. Das Wichtigste beim Dreh zu „Meteorstraße“, ihrem ersten Langspielfilm, war nicht, was die Schauspieler individuell, sondern was sie in den Beziehungen gemacht haben. „Wie kann man existieren, persönlich, wenn man es nicht allein kann?“ hat sie sich gefragt.

Die erste Grenze zwischen den Menschen ist der Körper, er begrenzt, wo der eine aufhört und der andere anfängt. Was Fischer vorschwebt ist ein „Kino der Körper“, eine Suche nach den richtigen Gesten. Denen der Verständigung. Sie hat lange gecastet, gesucht nach den beiden Hauptdarstellern Hussein Eliraqui (18) und Oktay Özdemir (27). Sie mussten eine bestimmte Körperlichkeit haben, es musste „eine Anziehung geben zwischen den beiden, aber auch eine Gefährlichkeit“, sagt Fischer.

Filme machen als Integrationsprojekt

Noch wichtiger war ihr aber, dass aus dem Film- auch ein gesellschaftliches Projekt wird. Ein Ort der Begegnung. „Ich hatte ganz stark das Gefühl, dass man sehr getrennt lebt in Deutschland, dass arabische Menschen wenig teilhaben, das hat mich gestört.“ Sie nennt das „stille Gewalt“, das fange schon mit dem Schulsystem an, das eher trennt denn zur Gemeinsamkeit erzieht. In Frankreich, wo sie geboren ist, sei das inzwischen etwas besser. Ihr Film also sollte sie zusammenbringen, Zuwanderer und Deutsche. Zusammen arbeiten schafft eben Gemeinsamkeiten, sagt Fischer. „Ich habe die Hoffnung, dass sich so Menschen aus verschiedenen Kulturen dann auch verlieben können – trotz all dem Schlimmen, was gerade passiert.“

Die Geschichte, die sie erzählt, ist die von Mohammed, einem 18-jährigen Palästinenser. Vor dem Krieg aus dem Libanon ist er nach Deutschland geflohen, zusammen mit seinem älteren Bruder Lakhdar. Der ist ganz anders als der suchende Mohammed: exzentrisch und draufgängerisch. Die beiden leben ohne ihre Eltern in der heruntergekommenen, ehemaligen Familienwohnung in Berlin-Tegel. Sie lieben sich innig und verabscheuen sich zutiefst, bewundern und beneiden sich. Fast sind es Szenen einer Ehe, die sie da zeigt. Und zugleich ein fast archaisches Thema, eines, das nie alt wird: die Beziehung zwischen Brüdern.

Aus der Westbank nach Berlin

Lakhdar, sagt Fischer, ist der Zünder des Films. Er löst die Identitätskrise von Mohammed aus, gibt ihm aber zugleich Stärke, lehrt ihn, nicht demütig zu sein. Lakhdar ist zerstörerisch und selbstzerstörerisch, er holt aber auch etwas Lebendiges aus Mohammed heraus.

Die erste Idee für „Meteorstraße“ kam Aline Fischer bei ihren Reisen in die Westbank, eigentlich begleitete sie damals nur einen befreundeten Kameramann, guckte zu, half. Dann, wieder zurück in Deutschland, kam der lange Marsch der Flüchtlinge von Bayern nach Berlin, ein Protestzug gegen die Residenzpflicht. Als das Camp am Oranienplatz entstand, „hatte man das Gefühl, es gibt hier eine neue Erasmus-Community, viele der Geflüchteten waren ähnlich drauf wie wir, hatten einen ähnlichen Habitus. Studierende, Künstler.“

Sie fing an, das Leben einer Gruppe von Marokkanern zu dokumentieren und bemerkte: „Ich wollte schon immer einen Film machen über einen jungen Mann, einen 18-Jährigen.“ Im französischen Kino gibt es schon länger Protagonisten, die einen Migrationshintergrund haben, im deutschen Film sind die Hauptdarsteller noch immer meist Weiße, fiel ihr auf. Das ist nicht in Ordnung, findet sie, wenn ein wachsender Teil der hier lebenden eben nicht hier geboren ist. „Ich kenne mich aber vielleicht auch einfach besser aus mit Menschen, die einen irgendwie anderen Hintergrund haben als mit dem bürgerlichen Milieu“, sagt sie.

Plötzlich heimatlos

Es war nicht primär ihre Absicht, mit „Meteorstraße“ einen Film über Flüchtlinge zu drehen – aber es hat sich einfach so entwickelt. Vielleicht spielte auch mit rein, dass sie sich damals selbst plötzlich fremd in Deutschland fühlte. „Das war komisch, nach sieben Jahren hier hatte ich plötzlich dieses Gefühl, ich entfremde mich von beidem – von Frankreich und von Deutschland“, sagt sie. Mit keinem der beiden fühlte sie sich plötzlich mehr verbunden. Geboren ist sie 1981 im Elsaß, nach Deutschland kam sie wegen ihrer Jugendliebe – wenn auch nicht so, wie man sich das immer vorstellt: Dieser Mensch, der ihr so wichtig war, ein Deutscher, starb im Jahr 2000 in Peru. Über seine Ermordung hat sie einen Dokumentarfilm gedreht, der zugleich ein Thriller ist. „Der grüne Stern“ heißt er. „Als mein Freund, ein Deutscher, starb, wollte ich irgendwas nachholen“, sagt sie.

Außerdem war sie schon damals fasziniert von der DEFA-Schule, von Dokumentar-Regisseuren wie Gerd Kroske, Jürgen Böttcher. „Ich bin schon auch wegen der Geschichte hier in Berlin, ich habe eine ganz emotionale Verbindung mit der DDR, mit einem Milieu, das ich gar nicht selbst erfahren habe“, sagt sie.

Und dann kam plötzlich diese Entfremdung. Vielleicht, sagt Fischer, lag es am Alter. Mit Anfang 30 erhöht sich eben auch der Druck. „Man muss langsam wissen, wer man ist, wo man steht, in welchem Land man weiter wachsen soll.“

Als Frau lieber einen Blick auf die Männer werfen

Dass es im Film nur um Männer geht, das war ihr wichtig,, aus einer Art Bauchgefühl heraus. „Ich sehe das ganze Unternehmen auch als etwas Queeres, etwas, das mit der Frage nach der Geschlechterkonstruktion zu tun hat“, sagt sie. Es ist doch, findet sie, viel interessanter, wenn das eine Geschlecht einen Blick wirft auf das andere. Wenn also nicht – wie es vielleicht der klassische Feminismus fordern würde – Frauen Frauen zeigen, weil die ja sonst eh unterrepräsentiert sind. „Ich wollte etwas vom weiblichen Wesen in den Männern entdecken, das war wie eine Art Recherche über die Männlichkeit beim Dreh“, sagt Fischer. Sich selbst sieht sie dabei gar nicht primär als Frau – sondern als Mensch. Schon wieder eine Grenze, die fällt.

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