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Fotos vom Wandertheater Ton & Kirschen "Der Sturm" PR, PromoCredit: Marion Kollenrott

© Marion Kollenrott

Shakespeare in Potsdam: Ton & Kirschen zeigt den „Sturm“

Ewige Wiederkehr des Gleichen: Das Wandertheater lässt Prospero erst am Lebensende seine Konditionierungen und Traumatisierungen loslassen.

Von Astrid Priebs-Tröger

Ganz zu Anfang ist nur Wasser zu sehen. Sieben Spieler:innen erzeugten am Donnerstagabend (21.9.) im T-Werk mit einem großen hellen Tuch zuerst sanfte Wellen und schließlich auch einen veritablen Sturm, bei dem ein Schiff mit zwei Segeln in den haushohen Fluten verschwand. Dieses Bild könnte am Anfang beider Geschichten stehen, die in Shakespeares „Sturm“ miteinander verbunden sind und erzählt werden.

Die eine ist die der Vertreibung des mailändischen Herzogs Prospero und seine Landung auf einer einsamen Insel. Und die andere ist die seiner Rache an denjenigen, die ihn und seine Tochter Miranda vor zwölf Jahren um Rang, Namen und weltliche Macht brachten.

Jetzt, nach dem Sturm, den Prospero mithilfe seines Luftgeistes Ariel entfachte, ist nur er zu sehen: Rob Wyn Jones ist ein großer, stattlicher Mann mit inzwischen weißen Haaren, einem königlich-roten Umhang und einem reichverzierten Stock als Zeichen seiner Macht. Doch wofür braucht er die noch? Außer ihm leben nur seine einfühlsame Tochter, die von Daisy Watkiss als lebensgroße Marionette geführt und von Margarete Biereye mit sanfter Stimme und ebensolcher Seele versehen wird, und die Geister Ariel und Caliban auf dem paradiesischen Eiland.

Herrschafts- und Knechtungsverhältnisse

Und Prospero könnte sich entspannen und seinen Lieblingstätigkeiten, dem Lesen und der Magie, nachgehen. Doch schnell wird klar, dass er auch hier fernab jeder menschlichen Zivilisation deren Herrschafts- und Knechtungsverhältnisse reproduziert hat. Selbst seiner Tochter gegenüber muss er immer wieder demonstrieren, dass auch zwischen ihnen eine klare Hierarchie besteht.

Und: an diesem Tag, an dem der „Sturm“ durch Ariel entfacht wird, um Prosperos frühere Widersacher auf seiner Insel stranden zu lassen, zeigt sich, dass Prospero sein Trauma nie verwunden und vor allem seine früheren Konditionierungen beibehalten hat.

Kraftvoll: Julie Biereye als Luftgeist Ariel.
Kraftvoll: Julie Biereye als Luftgeist Ariel.

© Marion Kollenrott

Das schnürt einem in dieser intensiven Inszenierung beinahe die Luft ab. Und nur Ariel, den Julie Biereye ungemein kraftvoll im grün-seidenen Kleid und mit wunderbarem Gesang verkörpert, schafft es, ihm ebenbürtig zu sein. Dafür hat ihr David Johnston einige sehr poetische Lieder komponiert, die Prospero vor allem eine lyrische Reibungsfläche bieten.

Die Gemeinschaftsinszenierung, die auf der Fassung der letzten Theaterproduktion von Peter Brooks „Tempest Project“ basiert, wird, für Ton und Kirschen eher ungewöhnlich, episch breit erzählt. Da ist die Liebe zu Shakespeares Texten, seiner Sprache, der die Wandertheatertruppe seit mehr als drei Jahrzehnten verbunden ist, eindringlich zu spüren. 

Auch wenn nicht immer alle der internationalen Spieler:innen gleich gut zu verstehen sind. Doch ihr beseeltes und vielschichtiges Spiel sowie die handgemachte musikalische Live-Untermalung lassen einen in dieses letzte Shakespeare-Stück geradezu magisch eintauchen. Wunderbar und konsequent ist auch die Idee, die beiden Königskinder Miranda und Ferdinand, der der Sohn des Königs von Neapel ist, als Marionetten zu verkörpern. Letzterem verleiht David Garlick die Stimme und gebaut beziehungsweise gespielt wurden sie von Daisy Watkiss und Nelson Leon.

Hierarchien zu überwinden

Und letztlich sind sie es, die Puppen, die an den Fäden anderer hängen, die es schaffen, echtes Mitgefühl und auch Liebe (füreinander) zu entwickeln. Hierarchien zu überwinden, so scheint es auch in dieser Inszenierung auf, ist manchmal auch durch die Wirkung von Alkohol oder von Humor möglich. Was der clowneske Trincolo (David Johnston), der betrunkene Stephano (David Garlick) und der triebhafte Caliban (Dominique Prié) in ihren derb-komischen Auftritten beweisen.

Trotz allem bleibt der „Sturm“ ein Rätsel. In dem sich die Suche nach Rache nahezu unmerklich mit der nach Frieden und schließlich nach Freiheit verbindet. Doch man kann sich auch (immer wieder) fragen, warum dieses Loslassen angeblich erst am Lebensende und nicht schon vorher möglich sein sollte.

Danke T-Werk und danke Shakespeare, sagte David Johnston nach dem Premierenapplaus, der gemeinsam mit Margarete Biereye seit einem halben Jahrhundert auf der Bühne steht. Nun, bei Ton und Kirschen zum dritten Mal mit einem Shakespeare-Text, dessen Gedanken kongenial in unsere krisenhaften Gesellschaften passen. Und der zeigt, wie gerade diese Zeiten auch die Chance bieten, „Altes“, „Hartes“ endlich abzustreifen und genau wie Wasser ins Fließen zu kommen.

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