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Grand Hotel Abgrund Vollpension – Ausstellung von Nicholas Warburg im Kunstraum Potsdam in der Schiffbauergasse.

© Sebastian Rost Fotografie

„Grand Hotel Abgrund, Vollpension“: Adorno, Flutschfinger und die Flucht in den Fun

Der Künstler Nicholas Warburg schaut in seiner Ausstellung im Kunstraum Potsdam auf das Wirtschaftswunder in der alten BRD. Und die Leichen im Keller.

Als es in der Potsdamer Villa Schöningen kürzlich ums Baden ging, kamen wenige Exponate ohne nackte Frauenkörper aus. Die Arbeit von Nicholas Warburg war eine Ausnahme. Er zeigte damals eine Arbeit, die jetzt auch im Kunstraum zu sehen ist: „Die oberen 10.000“. Ein säuberlich gestapelter Packen von einhundert Handtüchern. Bedruckt mit dem Motiv, das einst die 100-DM-Scheine schmückte. Wissen Sie noch? Clara Schumann war da drauf.

Das Komische und die Kritik am Kommerz, das geht bei Nicholas Warburg Hand in Hand. Schon der Name jener Künstler:innengruppe zeigt das, die Warburg 2013 mit begründete: Frankfurter Hauptschule, eine verhohnepipelnde Verbeugung vor der Frankfurter Schule um Theodor W. Adorno und Anspielung auf den Ort, an dem auch Warburg selbst seine Kunst lernte: die Städelschule in Frankfurt.

Medienwirksame Aktionen

Die Gruppe machte mit sehr medienwirksam gedachten Aktionen von sich reden. 2015 soll sich ein Mitglied der Gruppe vor Publikum Heroin gespritzt haben, 2020 täuschte die Gruppe den Diebstahl eines Exemplars von Beuys’ „Capri-Batterien“ aus einer Ausstellung im Theater Oberhausen vor und gab an, das aus Zitrone und Glühbirne bestehende Multiple als Geste der Restitution an ein Museum in Tansania übergeben zu haben.

In der aktuellen Ausstellung im Potsdamer Kunstraum begegnet man Adorno gleich im ersten Raum. Warburg nennt ihn „die Lobby“. Die gesamte Ausstellung hat er als titelgebendes „Grand Hotel Abgrund Vollpension“ konzipiert, ohne Anspruch auf realistische Detailtreue. Dies ist kein immersiver Kunstraum, sondern ein Assoziationsraum, lauter Sprungschanzen für die eigene Vorstellungskraft.

Schon der Titel der Schau ist wieder ein Wink in Richtung Adorno. „Ein beträchtlicher Teil der führenden deutschen Intelligenz“, hatte Georg Lukács 1962 geschrieben, „darunter auch Adorno, hat das 'Grand Hotel Abgrund' bezogen“. Für Lukács, ein „schönes, mit allem Komfort ausgestattetes Hotel am Rande des Abgrundes, des Nichts, der Sinnlosigkeit.“

Warburg verfolgt das Konzept „Grand Hotel“ bis in die Gimmicks hinein: Der Flyer hat die Form eines Türklinken-Schildchens. Wo sonst steht „Bitte nicht stören“, ist hier eine Deutschlandkarte zu sehen, im nostalgischen Blau der alten Tagesschau.

Die Deutschlandkarte im nostalgischen Blau der alten Tagesschau.

© Sebastian Rost Fotografie

Neben der Lobby gibt es ein Hotelzimmer mit gigantischem Fenster zur Nuthe-Schnellstraße, ein Pissbecken, aus dem einem eine Sektflasche entgegenpinkelt und ein Badezimmer, das gefliest ist wie jenes, in dem Uwe Barschel 1987 tot aufgefunden wurde. In der Wanne kein blutbefleckter Leichnam, sondern: eine Modelleisenbahn.

„Fun ist ein Stahlbad“

Zunächst aber trifft Adorno in der Lobby auf Heidegger. An der Wand eine Uhr aus rustikalem Holz, statt der Uhrzeiten zwölfmal das Wörtchen „Sein“, in Frakturschrift. Das Holz begegnet einem wieder in Rahmen eines Ölgemäldes im gleichen Raum. Ein Mann und eine junge Frau vor einem Hotelgebäude, in ihrem Rücken gut lesbar der Name des Hotels: „Stahlbad“. Entstanden nach einem Foto, sagt Warburg. Ihn ließ das an einen Adorno-Satz denken: „Fun ist ein Stahlbad. Die Vergnügungsindustrie verordnet es unablässig. Lachen in ihr wird zum Instrument des Betrugs am Glück.“

Das Glück der Scheinheiligen ist Warburgs Thema. Er macht es in der Ära des Wirtschaftswunders fest. Deren Symbole lässt er hier aufmarschieren: Cola-Glas und Zigarette, Globus-Beistelltisch und ein Mercedes-Stern auf dem nächtlichen Europa-Center auf dem Gemälde über dem riesigen Hotelbett. Bequem liegt hier niemand. Statt Besucherritze in der Mitte ist in der Matratze der Umriss der DDR eingenäht, auf dem Nachttisch ein Buch von Heidegger. In die Buchseiten eingebettet, wie für Inhaftierte die Feile: der Flutschfinger.

Der Flutschfinger in der Heidegger-Lektüre.

© Sebastian Rost Fotografie

Was Warburg interessiert: Phänomene der Konsumkultur verquickt mit Versatzstücken von Intellektualität, Heidegger und Adorno neben Coca-Cola und Flutschfinger. Warburgs Arbeiten sind inspiriert von den Filmen Fassbinders, aber auch von eigenen Erinnerungen.

Eigene Erinnerungen gemixt mit Fassbinder-Filmen

So zeigt er in einer Raumecke unter dem Namen „Kirmesmörder“ ein Foto des Serienmörders Jürgen Bartsch, ein gelernter Fleischer, der in den 1970ern mehrere Jungen grausam ermordete und akribisch zerlegte. Bartsch war in der eigenen Kindheit noch sehr präsent, sagt Warburg. Er zeigt das Foto gerahmt von einem fingerdicken WC-Vorleger: in schwarzrotgoldenen Farben.

Unweit vom WC-Vorleger und der Barschel-Badewanne steht ein Spiegel. In den goldenen Rahmen hat er Goldzähne eingearbeitet. An anderer Stelle präsentiert er Seifenstücke in bunten Schalen im 50er-Jahre-Design. Auf jedem einzelnen steht: „Abgrund“. Jedes einzelne ein verführerisch süß duftender Aufschrei gegen das Vergessen des unter deutscher Fahne geschehenen Massenmords. Dass das heute so nötig ist wie zu Zeiten Theodor W. Adornos, daran zweifelt Warburg keine Sekunde.

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