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„#mysharedspace“ beim Festival Unidram in Potsdam.

© Larissa-Jenne

Schritt durch den Schrank: Das Stück #mysharedspace öffnet ungeahnte Türen

Unidram widmet sich noch bis zum 11. November verschiedensten Formen von Theater. Darunter auch eine, die dem Festival-Selbstbild als Versuchslabor der Künste alle Ehre macht.

Gestern habe ich ein vierfüßiges Wesen in meiner Hand kuscheln lassen und ihm meine Geheimnisse verraten. Ein Mann mit drei Köpfen hat mir Komplimente gemacht mich nach meinem „Sex Animal“ gefragt. Ein weißer Krake wollte mit mir schmusen. Am Ende bin ich durch einen Schrank ins Freie gegangen.

Alles nur Theater, natürlich. Die Rede ist vom Festival Unidram, wo gerade das Stück „#mysharedspace“ gezeigt wird. Wobei: Was heißt „nur Theater“? Und: Was heißt hier überhaupt „Stück“? Es ist eine Produktion des Kollektivs mysharedspace in der Regie von Christina Schelhas, angekündigt als „immersive Ausstellung“. Zu besuchen jeweils nur von einer Person. In diesem Fall: mir.

Produktive Nähe zum Radar-Festival

Dieses Theater ist weitestmöglich entfernt von dem, was stadttheaternormativ unter dem Begriff verstanden wird. Es macht so einem Festival, das seit inzwischen 29 Jahren auf der Suche nach neuen Formen ist, alle Ehre. Vor allem zeigt es, wie produktiv die Nähe zum vergleichsweise jungen Radar-Festival ist, das seit 2021 der Nachwuchs-Begleiter des betagten Festivals Unidram ist.

„#mysharedspace“ war zuerst bei Radar zu sehen, wofür Radrar-Kuratorin Elena Otto es aufgetan hatte. Elena Otto, Jahrgang 1989, ist seit diesem Jahr auch als viertes, verjüngendes Mitglied im Kurator:innenteam von Unidram dabei. Die anderen drei, Jens-Uwe Sprengel, Franka Schwuchow und Thomas Pösl, wuppen das Festival seit der Gründung.

Was im Unidram-Kontext neu ist an „#mysharedspace“: Es ist, so abgegriffen das auch erstmal klingen mag, ein Erfahrungsraum. Hier kann man sich weder im Dunkel eines Zuschauersaals verstecken, noch zwischen anderen im Publikum anonym bleiben. Hier steht das Ich im Vordergrund, daher kommt auch dieser Text nicht daran vorbei.

„Du riechst gut!“

Das Stück spielt mit der Fiktion, dass man in die leere Wohnung eines Menschen tritt, den man nicht kennt. Allein. Womöglich in Erwartung eines Dates? Ausgangspunkt für das Kollektiv waren über mehrere Jahre hinweg gesammelte Begegnungen auf Onlinedating-Plattformen sowie beim Couchsurfing, ist im Programm zu lesen. Kein Zufall, dass schon beim Betreten eine Stimme haucht: „Du riechst gut!“ Drinnen steht im Kühlschrank ein Glas Sekt bereit, neben einer beachtlichen Kollektion von Dildos.

Die Wohnung ist minutiös nachgebaut. Wer Performances von Gruppen wie Signa kennt, weiß, mit welcher Hingabe immersive Theaterräume nachgebaut werden können. Was auf den ersten Blick naturalistisch wirkt, ist bei #mysharedspace auf den zweiten Blick bewusst gebrochen. Im Waschbecken schwimmen Fische (deren Konversation über das menschliche Paarungsverhalten man über Kopfhörer lauschen kann). Und in den Schränken lauern sehr Puppen, die nicht nur selbst sehr gesprächig sind, sondern den Zauber schaffen, dass man es auch wird.

Alles in #mysharedspace Gesagte bleibt auch dort, war vorab versichert worden. Das ist gut so. Die Inszenierung feiert die Nähe, das Intime. Mit den Puppenwesen, die die Wohnung bevölkern, aber vor allem mit sich selbst. Ein Raum, der zum Nachdenken, Erinnern, auch zum Voyeur-Sein einlädt. Der vor Ekel (Torte auf dem Toilettenrand) ebenso wenig zurückscheut wie vor Nähe (was, wenn ich mich doch mit dem weißgewandeten Kraken ins Bett gelegt hätte?). Bei allem bleibt er jedoch vor allem: zart. Er beschreibt hier und da Grenzüberschreitungen, begeht aber keine. Man tritt selbstvergessen von einem Raum in den anderen und will diese skurrile, geschützte Welt am Ende kaum verlassen.

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