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Gotthold Ephraim Lessing lebte von 1729 bis 1781.

© mauritius images / TopFoto

Literatur auf der Spur: In Potsdam wollte Lessing „die alten Weiber zum Heulen bringen“

In der PNN-Serie gehen wir den Spuren von Autor:innen nach, die zeitweise in Potsdam gelebt haben. Heute: Der junge Lessing, der im Marquisat wohnte und in sechs Wochen ein Stück verfasste, das Theatergeschichte schrieb.

Jeder Schritt des jungen Talents wurde aufmerksam verfolgt: „Herr Lessing ist 7 Wochen in Potsdam gewesen“, schreibt am 2. April 1755 der preußische Offizier Ewald Christian von Kleist an Johann Wilhelm Ludwig Gleim, den Halberstädter Dichter und Literaturmäzen. „Er soll hier verschlossen eine Komödie gemacht haben“, heißt es weiterhin von dem Autor. „Er hätte vielleicht eine bessere gemacht, wenn er sich nicht verschlossen hätte; denn es gibt auch hier Narren zu belachen wie allenthalben. Mich deucht aber, wenn ich ein Poet wäre, ich machte nicht Komödien und Satiren, sondern laute Lobgedichte.“

Was in Potsdam entstand, war tatsächlich keine Komödie nach heutigen Kriterien, sondern das Trauerspiel „Miss Sara Sampson“. Der 26-jährige Lessing, 1929 im sächsischen Kamenz geboren, hatte Medizin, Theologie und Philosophie studiert – und nun Eile, sein Stück fertig zu bringen. Lessing selbst soll in Berlin gern ins Theater gegangen sein, gemeinsam Moses Mendelssohn. Ein Stück aus Frankreich rührte Mendelssohn einmal zu Tränen – den anderen, Lessing, ließ es kalt. „Alte Weiber zum Heulen zu bringen“ – das könne er genauso gut oder besser, so Lessing. Mehr als sechs Wochen brauche er für so etwas nicht.

Die Zuschauer haben drei und eine halbe Stunde zugehört, stille gesessen wie Statuen, und geweint.

Bericht von der Uraufführung von „Miss Sara Sampson“

Die Wette galt. „Miss Sara Sampson“ wurde am 10. Juli 1755 von der Ackermannschen Gesellschaft in Frankfurt an der Oder erstmals gespielt, da sich in Berlin kein Theaterintendant für eine Aufführung fand. Ein zeitgenössischer Bericht schilderte das Ereignis: „Die Zuschauer haben drei und eine halbe Stunde zugehört, stille gesessen wie Statuen, und geweint.“ Zum ersten Mal nannte man ein Stück „Bürgerliches Trauerspiel“. Damit hat „Miss Sara Sampson“ Theatergeschichte geschrieben.

Lessing hatte mehr oder weniger ein Rührstück vorgelegt: Die titelgebende Protagonistin ist hin- und hergerissen zwischen Moral und Anstand. Doch für die wahre Liebe brennt sie mit dem flatterhaften Mellefont durch. In einem Gasthaus steigen die beiden ab. Doch dort wartet Mellefonts Ex-Partnerin, die Marwood, samt Tochter und Rückeroberungsplan – der allerdings lediglich auf Lust und Leidenschaft basiert. Mellefont aber will Sara Sampson heiraten, gegen alle Standeskonventionen.

Dagegen hat wiederum die Marwood etwas. Sie vergiftet Sara im Gasthaus. Sara macht Frieden mit ihrem Vater, der ihr nachgereist ist und plötzlich auch in der Gaststube steht. Er möchte Mellefont nun als Schwiegersohn annehmen. Mellefont weigert sich. Die sterbende Sara verzeiht auch ihm, und auch der Marwood vergibt sie. Mellefont aber kann nicht verzeihen, auch nicht sich selbst – er ersticht sich.

In Potsdam logierte der junge Lessing luxuriös

Freunde vermittelten Lessing für die Zeit des Schreibens am Trauerspiel das Marquisat an der Potsdamer Havelbucht als Arbeits- und Wohnort. Einst gehörte es dem Markgrafen von Brandenburg-Schwedt, dann kaufte es Friedrich II. für seinen engen Freund, den französischen Schriftsteller und Philosophen Jean-Baptiste de Boyer, Marquis d’Argens. Der Marquis war ständiger Gast der berühmten Tafelrunden des Königs im Schloss Sanssouci. Engen Kontakt pflegte er auch zu Voltaire.

Voltaire-Lessing-Ehrung am Marquisat nahe der Moschee  in Potsdam.
Voltaire-Lessing-Ehrung am Marquisat nahe der Moschee in Potsdam.

© Thilo Rückeis

Marquis d’Argens überließ Voltaire zeitweise das Marquisat für seine Potsdamer Aufenthalte. Das idyllische Anwesen bestand aus einem Land- und Gartenhaus, auf zwei Hektar mit großem Obstbaumbestand. Der ständige Wechsel von Bewohnern und Eigentümern seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte das Gebäude in schlechtem Zustand hinterlassen, zumal es auch zu Gewerbezwecken genutzt wurde.

Auf der Webseite der Stadtverwaltung Potsdam liest man: „Seit 1847 war das Grundstück geteilt worden, womit die eigentliche Geschichte des Marquisats endete. Die Grundstücksgrenze verlief mitten durch das Wohnhaus. Eine Hälfte wich im 19. Jahrhundert einem Neubau als Mietshaus.“ Die verbliebenen Gebäudeteile des Marquisats mussten 1978 Neubauten weichen. An der Zeppelinstraße 167 hat 1992 der Potsdamer Künstler Rainer Sperl eine Erinnerungsstätte mit Säulenfragmenten geschaffen, auf dem Lessing und Voltaire als Bronzereliefs zu sehen sind.

Mit der Zensur des preußischen Staats geriet Lessing erst später aneinander

In den sieben Wochen Potsdam-Aufenthalt hatte Lessing die Sommerresidenz Friedrich II., das Schloss Sanssouci, vom Marquisat aus im Blick. Damals war sein Bild des preußischen Königs noch weitgehend ungetrübt. Der junge Mann schrieb ein Loblied auf Friedrich, in dem es unter anderen heißt: „Noch lange wird dies Land (…), / Im Schoß des Friedens ruhn, / Denn sein Beschützer trägt die Lorbeern großer Taten, um größere zu tun.“

Kritik, besonders an der Zensur, formulierte Lessing erst nach 1763, als der Siebenjährige Krieg zu Ende war. Der Schriftsteller verfolgte den Plan, ein Stück über die Liebe des sächsischen Edelfräuleins Minna von Barnhelm und dem kurländischen Major von Tellheim zu schreiben. Die preußische Regierung warf aber dem Offizier ehrabschneidend kriminelle Vergehen in Finanzfragen vor, die sich jedoch nicht als stichhaltig erwiesen. Lessing lässt Tellheim verbittert sagen: „Die Dienste der Großen sind gefährlich und lohnen der Mühe, des Zwanges, der Erniedrigung nicht, die sie kosten.“

Lessing wurde einer der wichtigsten deutschen Aufklärer. Seinen dichterischen Höhepunkt erreichte er 1779 mit seinem Dramatischen Gedicht „Nathan der Weise“.

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