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Hannes Schumacher, Jakob Schmidt (vorn) und Henning Strübbe in „Nibelungenleader.

© Stefan Gloede / Stefan Gloede

Krasser Scheiß im Hans Otto Theater: Vulgärsprache und ratlose Gesichter

Straff und erfrischend: „Nibelungenleader“ verballhornt die Nibelungensage als Jugendstück – etwas weniger Theatralik hätte dem Stück aber gutgetan.

Von Oliver Köhler

Der tote Drache liegt unterm Wildschweinfell. Jedenfalls ist er gleich am Anfang platt, und Siegfried (Jakob Schmidt) steht wie ein Reh im Scheinwerferlicht davor: Was? Ich? Huch! Nun ja, so schnell wird man König.

Die Nibelungensage, die zum literarischen Kanon der teutonischen Gründungsgeschichte gehört, ist nicht nur Stoff des Schulunterrichts, sondern bettelt förmlich nach einer satirischen Interpretation. Der Dramatiker Kristo Šagor, zu Recht überhäuft mit Ehrungen der Moderne, nahm sich des sperrigen Stoffes gern an: Am vergangenen Mittwoch feierte dessen minimalistische Interpretation mit dem fetzigen Namen „Nibelungenleader“ nach krankheitsbedingter Verschiebung nun endlich Premiere in der Reithalle.

„Ein Mann mit einem blutigen Schwert ist erst mal nur ein Mann mit einem blutigen Schwert“ – ja, kann man mitgehen. Nur ist es nicht der wagnersche Siegfried, der sich ängstlich an sein Schwert krallt, sondern der unfreiwillige Held einer allzu schrägen Inszenierung, die das Ensemble kurzerhand selbst übernahm – mit Unterstützung von Regisseur Michael Böhnisch. Herausgekommen ist eine Groteske, die der teutonischsten aller Sagas absichtlich in die Suppe spuckt, ohne deren Hintergrund aber nicht funktioniert.

Kurzfassung: Siegfried steigt zum widerwillig-unbesiegbaren Drachentöter auf und ehelicht Kriemhild (Lara Heller). Deren Bruder Gunther (Hannes Schumacher) und dessen Lehnsmann Hagen (Henning Strübbe) überzeugen daraufhin Siegfried, Gunther mit der isländischen Königin Brynhild (urkomisch: Mascha Schneider) im Kampf zu besiegen und dadurch zu seiner Frau zu machen. Damit der Betrug nicht auffliegt – und weil Königinnen nun mal streitsüchtig sind – kommt es Jahre später zur Eskalation, in der Hagen Siegfried tötet, woraufhin Kriemhild wiederum Rache schwört.

Straff und erfrischend durchgespielt

Nun ist Potsdam aber nicht Bayreuth, wo den Nibelungen in pompösen Opernzyklen gehuldigt wird. Theatralisch war es dennoch, auch wenn das der satirischen Interpretation geschuldet war – etwas weniger hätte dennoch gutgetan. Immerhin: Das Stück wird so straff und erfrischend durchgespielt, dass es einfach eine Freude ist. Und es schielt natürlich auf die Zielgruppe 13+, Vulgärsprache inklusive.

Wenn aber so viel Energie aufgebracht wird, diesem verstaubten Nibelungenbrocken einen frischen Anstrich zu verpassen, geht die hehre Metaphorik des Stückes freilich etwas flöten: Was ist Verrat? Treue? Schuld? Und ist die Züchtigung der Amazone Brynhild nicht in Wahrheit eine Vergewaltigung? Irgendwann blickt man in ratlose Gesichter der jugendlichen Gäste: Am Ende war es eben doch nur krasser Scheiß.

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