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„Textilstadt Potsdam“ ist der letzte gemeinschaftlich gefertigte Wandbehang des Textilzirkels.

© Andreas Klaer

Im Umbruch: Potsdamer Textil zwischen den Systemen

Gemeinsam in Textilzirkeln Kunst schaffen. Zwei Wandbehänge in der „Soft Power“-Ausstellung im Minsk erzählen Potsdamer Geschichte.

Mit großem Aufwand geplant, wurde das Vorbereitungskomitee für die 1000-Jahrfeier in Potsdam 1993 bereits 1987 zusammengestellt. Wie für alle großen Festlichkeiten während der DDR-Zeit beauftragten sie auch zu diesem Anlass den Zirkel für künstlerische Textilgestaltung Potsdam, einen Wandbehang anzufertigen.

Der „Potsdamer Jagdteppich“ entstand 1988 unter der Leitung von Ingeborg Bohne-Fiegert. Aktuell ist er in der heute (15.3.) eröffnenden, von Daniel Milnes kuratierten Gruppenausstellung „Soft Power“ im Potsdamer Kunsthaus Das Minsk zu sehen. Dass der Behang bei der Feier letztlich nicht ausgestellt worden ist, ist der Umbruchszeit der politischen Wende 1989 geschuldet – der Punkt, an dem die Arbeit thematisch an die Ausstellung andockt.

In verschiedenen Kapiteln zeigt sie Textilien und ihre Produktionsbedingungen, Textilien, die Machtverhältnisse infrage stellen und die zum Gedenken an Gewesenes entstanden sind. Sie spannt einen großen Bogen um die Welt, um wieder in Potsdam anzukommen, wo der „Jagdteppich“ auf die Geschichte des Zirkels verweist.

1954 von Bohne-Fiegert gegründet, war er Teil des staatlich geförderten künstlerischen Volksschaffens in der DDR. Ziel der Gruppen: ihre Mitglieder in der Freizeit an Kunst und Kultur heranzuführen und ihr Kollektivbewusstsein zu steigern. Wie Sarah Wassermann in der später erscheinenden Begleitpublikation zur Ausstellung beschreibt, sollten DDR-Bürger entgegen der westlichen Konsumkultur nicht nur passiv konsumieren, sondern selbst produzieren.

Voller sozialistischer Verweise: der „Potsdamer Jagdteppich“ von 1988.
Voller sozialistischer Verweise: der „Potsdamer Jagdteppich“ von 1988.

© Andreas Klaer

Der Potsdamer Zirkel war laut ihrer späteren Leiterin Jutta Lademann ein stark präsenter „Starzirkel“ der DDR, der anderen Gruppen als Vorbild diente. Auftragsarbeiten, Modenschauen und Auszeichnungen finanzierten Studienreisen ins sozialistische Ausland. Kommunikationsgrundlage zwischen den unterschiedlichen Nationalitäten: die gemeinsame Kunst.

Akribische Umsetzung

Die Vorbereitungen für den „Jagdeppich“ waren so akribisch wie seine Umsetzung: Eine Kustodin führte in das Thema königliche Jagd ein, die Mitglieder fertigten umfassende Architekturstudien wie vom abgebildeten Potsdamer Jägertor an. Die Präzision der unzähligen Stiche ist beeindruckend; von Nahem entdeckt man bis hin zur Hundeleine des abgebildeten Dackels immer neue Details.

Aus einer ebenfalls ausgestellten Kostenkalkulation lässt sich ablesen, wie viele Gedanken in die Darstellung geflossen sind: einheimisches Schwarzwild, eine Frau als gleichberechtigte Jagdpartnerin und eine Suhler Jagdwaffe verweisen auf die sozialistische Jagd; die modernen Bauten auf sozialistische Architektur.

Die hohe Geldforderung von 20.000 Mark in der Kalkulation liest Wassermann als steigendes Selbstbewusstsein der Laienschaffenden, die sich mit zunehmender Professionalisierung und der finanziellen Honorierung ihrer Arbeiten langsam von den ursprünglichen Erwartungen an den Zirkel emanzipierten – und nun selbst Forderungen stellten.

Trotz der neuen Freiheit nach der Wende ist der Wandbehang „Textilstadt“ beinahe nostalgisch.
Trotz der neuen Freiheit nach der Wende ist der Wandbehang „Textilstadt“ beinahe nostalgisch.

© Andreas Klaer

Mit dem politischen Umbruch geht der „Jagdteppich“ zwischenzeitlich verloren; die staatliche Förderung der Zirkel fällt weg. 1990 plant ein nun staatlich unabhängiger Ableger der Gruppe, die Interessengruppe Textilgestaltung Land Brandenburg im neuen politischen System einen neuen Behang: die 1993 entstandene Arbeit „Textilstadt Potsdam“, die „Soft Power“ ebenfalls zeigt.

Textilien als Teil von gesellschaftlichen Systemen, Textilkunst, die Geschichten transportiert. Auf inhaltlicher Ebene zeigt sich der Systemwechsel erstaunlich wenig. Fast nostalgisch bildet der Wandbehang die Textilkette von der Faser bis zum Webstuhl im preußischen Potsdam ab, verbunden durch die Wasserwege der Havel. Auch dieser Behang erzählt akribisch kleine Geschichten: Ein am Webstuhl befestigtes Knäuel scheint aus Flachs zu bestehen und die im oberen Teil des Hochwebstuhls noch losen textilen Stränge sind im unteren bereits verarbeitet.

Die Arbeit sei die letzte gemeinschaftliche Arbeit der Gruppe, so Kurator Daniel Milnes. Danach folgte nur noch eine Patchworkarbeit der Mitglieder. „Wahrscheinlich drückt sich im Motiv eine gewisse Sehnsucht aus.“ Dennoch fehlt die sozialistische Symbolik. Und auch, wenn sich der politische Wechsel nicht inhaltlich zeigt: Das Fortbestehen der Gruppe auch nachdem sich die äußere gesellschaftliche Struktur aufgelöst hat, zeigt, was Textilkunst auch mit sich bringt: Verbundenheit.

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