zum Hauptinhalt
Ausstellung im Fluxusmuseum Potsdam. Die Neue Musik ist eine der zentralen Erscheinungen zur Vorbereitung des weltweiten FLUXUS-Netzwerkes.

© Andreas Klaer

Gewaltsame Collagen: Neue Musik im Potsdamer Fluxus-Museum

Die Fluxus-Bewegung hat ihre Ursprünge in der Neuen Musik. Das Potsdamer Museum stellt aktuell Arbeiten seiner Sammlung aus, die das zeigen.

Zwei Streichquartette, vier Holzfäller, Zambombas, zwanzig Fernseher, fünf Sopranstimmen, dreißig Staubsauger, Posaunen, Oboen, ein Autounfall, 400 Zuschauer und zehn Partituren sind die Bestandteile von Wolf Vostells „Le Cri“, die 1990 in Paris uraufgeführt wurde. Eine Videoaufnahme des Fluxus-Konzerts ist aktuell Teil der Ausstellung „Kammerspiele – Neue Musik und Objekt“ im Atrium des Potsdamer Fluxus-Museums. Zu sehen sind künstlerische Positionen der Fluxus+-Sammlung mit Ursprüngen in der Neuen Musik der 1950er und 1960er Jahren.

Zurück zu Vostells Musik-Skulptur: Da wird Glas mit einem Vorschlaghammer bearbeitet, Holzstämme zersägt, Fernseher senden Störgeräusche, ein Saxofon ertönt, Metall kratzend bearbeitet. Geräusche werden gewaltsam zusammengesetzt und stören einander – der Sound ist anstrengend und das soll er auch sein.

Radikale Neuausrichtung

Der 1919 von dem Kunstkritiker und späteren Opernintendant Paul Bekker geprägte Begriff der „Neuen Musik“ bezieht sich auf sehr unterschiedliche Phänomene europäischer Musik, vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ihnen gemein ist eine radikale Neuausrichtung von Musik, die vor dem Hintergrund der zwei Weltkriege nicht länger als Rückzugsort verstanden wird, um sich vor dem Schrecklichen in der Welt zu flüchten.

Vielmehr verweigert die Neue Musik sich klassischen Tonleitern, Harmonien und Kompositionsprinzipien zur Orientierung. Fehler sind erlaubt, Nebensächliches wird zur Kunst erhoben und Musik zum Ereignis. Ihre Betonung von Flüchtigkeit und Performanz ist es auch, die sie zu einem zentralen Einfluss für die in den 1960er Jahren entstehende Fluxus-Bewegung macht. Vorläufer der Fluxus-Bewegung

Laut zu hören ist in der Ausstellung neben der Vostell-Arbeit eine weitere Hommage an den Künstler sowie ein Video von Joe Jones’ „Violinkasten“ von 1991. Darin spielen drei Musikspielwerke klassische Schlaflieder wie „Schlaf, Kindlein schlaf“ durcheinander und irritieren mit ihrer Dissonanz das Hörerlebnis eigentlich vertrauter Musik – ein typischer Effekt von Fluxus-Kunst.

Auch Live-Performances sind geplant

Durch die Verteilung der drei klingenden Arbeiten auf drei Ecken des Ausstellungsraums verschiebt sich permanent Lautstärke, Fokus und Verschränkung der unterschiedlichen Geräusche, während man sich durch den Raum bewegt: Der Besucher wird selbst zum Akteur. Rund 60 weitere Stücke aus der Sammlung, für die Langspielplatten und CDs digitalisiert wurden, kann man sich über Klangduschen anhören. Live-Performances ergänzen die Ausstellung im Januar und Februar während des Festivals „Made in Potsdam 2024“ mit Auftritten von Alex Nowitz und 60Hz featuring David Moss.

Joe Jones’ selbstspielende Gitarre ist eine seiner „Musikmaschinen“ und mit einem Motor betrieben.
Joe Jones’ selbstspielende Gitarre ist eine seiner „Musikmaschinen“ und mit einem Motor betrieben.

© Andreas Klaer

Und dann gibt es noch Arbeiten wie Joe Jones’ selbstspielende Gitarre von 1974, eine seiner „Musikmaschinen“. Jones stattete sie mit einem Motor aus, der wiederum eine über dem Korpus schwebende Angel antrieb, gegen die Saiten zu schlagen. Hier bleibt die Gitarre stumm, doch unweigerlich füllt man die Leerstelle im Kopf selbst und stellt sich vor, welche Klänge ertönen würden, würde der Motor laufen. Die zerbrochene Geige in „Never Forever“ von Slave Pianos hingegen erzeugt einen Film im Kopf. Sie wurde während einer Performance im Art Forum Berlin 2007 zerstört, eine für Fluxus typische Abrechnung mit klassischer Musik.

Nam June Paik macht die Musik selbst zum Akteur. In „Dharma Wheel Turns“ (1990) formt er eine Figur aus Speichermedien und setzt damit so gar nicht mehr auf Flüchtigkeit: Schallplatten dienen als Körper, Arme und Kopf, eine CD wird zum Gesicht, eine Kassette ersetzt die Augen und Magnetbänder die Haare.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false