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Viel nachzuholen. Der Potsdamer Gottfried Bielenstein will eine Töpferwerkstatt in einem Heim für Behinderte in Lettland aufbauen. Ende März will er wieder ins Baltikum fahren.

© M. Thomas

Landeshauptstadt: Mission in Lettland

Der Potsdamer Töpfer Gottfried Bielenstein will in Lettland eine Töpferwerkstatt für Behinderte aufbauen. Das Projekt ist für ihn auch eine Reise in die eigene Familiengeschichte

Er könnte auch aus einer anderen Zeit stammen: Das weiße Leinenhemd mit den weiten Ärmeln, die kräftige Statur und der fast weiße Vollbart lassen Gottfried Bielenstein wie einen Künstler aus früheren Jahrhunderten wirken. Dass er eine lichtdurchflutete Wohnung mit Holzdielen und endlosen Bücherregalmetern in den Römischen Bädern im Park Sanssouci bewohnt, passt nur ins Bild. Gemeinsam mit seiner Frau, deren langjähriger Arbeit bei der Schlösserstiftung er diese Traumadresse verdankt, kommt er auf biblische acht Kinder und zehn Enkelkinder. Und tatsächlich schlägt das Herz des 63-jährigen Potsdamers auch für ein geschichtsträchtiges Kunsthandwerk – das Töpfern. Viele Potsdamer kennen ihn sicher vom Weberfest in Babelsberg, wo er im vergangenen Herbst als Dienstältester nach 20 Jahren verabschiedet wurde. Nach seiner Pensionierung im Januar will sich Gottfried Bielenstein nun in Lettland engagieren und dort eine Töpferwerkstatt für Behinderte aufbauen.

„Es war für mich nicht vorstellbar, nichts zu machen“, sagt der 63-Jährige, der in einem Dorf in der Lausitz zur Welt kam, das längst dem Braunkohle-Tagebau weichen musste. Dass er nun ausgerechnet Lettland ins Auge gegriffen hat, ist auch seiner Familiengeschichte geschuldet: Bielensteins Vater ist im lettischen Mežotne südlich der Hauptstadt Riga geboren – ein Pastor, wie schon der Großvater und der Urgroßvater. Bis ins Jahr 1806 kann Gottfried Bielenstein die Wurzeln seiner Familie in Lettland verfolgen. Sein Urgroßvater erlangte dort sogar einige Berühmtheit: Als Ethnologe und Sprachforscher beschrieb der Pastor in den 1860er-Jahren zuerst die Grammatik der lettischen Sprache. Während der Zeit des Unabhängigkeitskrieges gegen Russland floh die Familie 1919 aus Lettland.

An einen Besuch sei zu DDR-Zeiten nicht zu denken gewesen, erzählt Gottfried Bielenstein: „Insofern habe ich jetzt alles nachzuholen.“ Die vorzeitige Pensionierung nach schwerer Krankheit gab ihm die Zeit dafür. Über eine Anfrage bei der Deutschen Botschaft in Riga kam schließlich der Kontakt zu einem Wohnheim für Behinderte des Lettischen Roten Kreuzes zustande. Im Oktober 2012, damals arbeitete Bielenstein noch in Berlin an einer sozialen Einrichtung, reiste er zum ersten Mal in das Heim in dem kleinen Örtchen Sturisi in der Region Kurland. Rund 90 Menschen mit verschiedenen Behinderungen leben dort.

Die ersten Eindrücke bestärkten den Potsdamer bei seinem Vorhaben, waren aber auch ernüchternd: „Die Leute können in dem Heim zwar wohnen, aber es gibt kaum Angebote zur Beschäftigung – nur einen Fernseher und den Park“, erzählt Bielenstein. Es fehlte an Ausstattung, Materialien, Werkstatträumen, fast allem also, was man für eine funktionierende Töpferwerkstatt braucht. Als Bielenstein die Räume, in die die Werkstatt ziehen soll, das erste Mal begutachtete, beschlichen ihn die Zweifel, ob er das Projekt als Privatmann überhaupt umsetzen kann. Fotos zeigen den völlig desolaten Zustand des Holzhäuschens: Von den Wänden ist der Putz heruntergefallen, in der Decke klafft ein Loch. Mit Kosten in Höhe von 60 000 Euro für den Ausbau rechnete das Lettische Rote Kreuz. Für Bielenstein eine utopische Summe.

Und doch startete er Anfang 2013 eine Spendenaktion in Deutschland, schrieb zunächst Freunde und Bekannte mit Bitte um Unterstützung an. Das Deutsche Rote Kreuz in Celle richtete ein Spendenkonto ein. Und die Spendensammlung lief erstaunlich gut: Rund 19 000 Euro hat der Potsdamer mittlerweile zusammen. „Das ist sehr viel mehr als überhaupt erwartet“, sagt Bielenstein. Hinzu kommen etliche Sachspenden: Ehemalige Töpfer-Kollegen steuerten Material und eine Töpferscheibe bei, junge Mitarbeiter vom Lettischen Roten Kreuz organisierten im Oktober den Transport nach Lettland. Ein lettischer Baubetrieb hat den Ausbau des Daches gesponsert, auch von zwei Rotarierclubs und vom Verein der Deutschen in Lettland kam Unterstützung.

In wenigen Tagen will Bielenstein sich wieder auf den Weg machen Richtung Osten. Die Werkstatt soll im April fertig sein. Sechs Monate lang will der Potsdamer dann in Sturisi bleiben, um sie zum Laufen zu bringen. Keine einfache Aufgabe, ist er sich bewusst: „Ich weiß ja gar nichts über die Leute und muss erst Mal gucken, was sie überhaupt können.“ Denkbar sei zum Beispiel, dass er an der Töpferscheibe töpfere, die Bewohner die Keramik bemalen und glasieren. „Ich würde gern in einer Qualität arbeiten, um zu verkaufen“, sagt Bielenstein, der 21 Jahre lang in einer eigenen Werkstatt in Jabelitz nahe Wismar töpferte, bis das Geschäft nach der Wende einbrach. Die Lehrerin einer nahe gelegenen Schule soll die Werkstatt in Sturisi später übernehmen – sie muss nun auch eingearbeitet werden.

Ob er überhaupt Zeit für Ausflüge in die frühere Heimat seiner Familie finden wird? „Ich habe ja mindestens freie Wochenenden“, sagt Gottfried Bielenstein und lächelt: „Und ich nehme mein Fahrrad mit, das ist ganz wichtig.“

Spenden für das Projekt gehen unter dem Stichwort „Rotes Kreuz Töpferei Lettland“ an das Konto des DRK Celle, Kontonummer: 288977 bei der Sparkasse Celle, BLZ: 25750001.

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