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Landeshauptstadt: Straße der Besten

Heute vor 15 Jahren wurde im Studio Babelsberg der Grundstein für die Außenkulisse „Berliner Straße“ gelegt. Sie wurde zur wichtigsten Adresse Hollywoods in Europa – aber Ende des Jahres soll sie weichen

Wenn Frankreich nicht Fußballweltmeister geworden wäre, würde sie heute vielleicht nicht stehen, die „Berliner Straße“. Lothar Holler lächelt. Der Szenenbildner und Professor an der Babelsberger Filmhochschule hat die berühmte Außenkulisse vor 15 Jahren mit dem Filmarchitekten Joris Hamann entworfen. Und er war mit beim Besuch in der Chefetage der französischen Wasserwerke, zu denen die Babelsberger Studios 1998 noch gehörten. „Wir sind mit einem aus Schuhkartons gebauten Pappmodell nach Frankreich gefahren“, erzählt er. Es war Fußballweltmeisterschaft, die Franzosen kickten sich bis ins Finale gegen Brasilien – und gewannen. Das Land war im Freudentaumel, als die Truppe aus Babelsberg tags darauf mit dem Pappmodell vorsprach und einen Film über den Mauerfall ausmalte – Leander Haußmanns „Sonnenallee“: Den euphorisierten Konzernchefs war die Idee 3,5 Millionen D-Mark wert. „Wir hatten ein psychologisches Moment auf unserer Seite“, sagt Lothar Holler heute.

Am 20. August 1998 wurde mit großem Tamtam der Grundstein für die „Berliner Straße“ gelegt. „Haußmann und Buck errichten die Mauer wieder“, berichteten die PNN damals nach dem launigen Pressetermin mit DDR-Fähnchen, Häppchen und der obligatorischen Grundstein-Schatulle. „Bis Weihnachten wird übrigens auch diese Mauer eingerissen sein, falls nicht neue Filmprojekte sich darum ranken“, hieß es damals.

Es sollte anders kommen. Wie viele Filme für Kino und Fernsehen, wie viele Musikvideos und Magazin-Fotostrecken in der „Berliner Straße“ mittlerweile aufgenommen wurden, weiß niemand so genau – aber die Zahl geht in die Hunderte. Dass die Babelsberger Studios heute die wichtigste Adresse Hollywoods in Europa sind, hat auch mit dieser Kulissenstraße zu tun, die scheinbar mühelos jede beliebige Metropole verkörpert: Vom besetzten Warschau in Roman Polanskis Oscar-gekröntem Drama „Der Pianist“ bis zu San Franciscos Chinatown für „In 80 Tagen um die Welt“ mit Jackie Chan. Quentin Tarantino versetzte die Szenerie für „Inglourious Basterds“ nach Paris, Kevin Spacey machte für „Beyond the Sea“ Manhattan daraus.

Aber Endes dieses Jahres ist wirklich Schluss. Studio Babelsberg muss das Areal räumen, Filmparkchef Friedhelm Schatz plant dort einen neuen Campus mit Wohnungen, Büros und Geschäften. Das sieht der Bebauungsplan für das Gelände seit Jahren vor. Über eine Ausweichadresse für eine neue Kulissenstraße verhandelt das Studio noch mit mehreren Standorten, wie Sprecher Eike Wolf den PNN am Montag sagte.

Ein Neubau ist sicher auch eine Geldfrage. Lothar Holler erinnert sich noch gut, wie die Produzenten von „Sonnenallee“ damals reagierten, als man ihnen die teure Kulissenstraße vorschlug: „Die haben uns für verrückt erklärt.“ Wieso nicht direkt in Berlin drehen, in der Sonnenallee? Holler konnte das schnell vorrechnen: Etwa 600 Fenster sind zu sehen, dahinter wohnen rund 300 Menschen, denen man während des Drehs wochenlang Vorschriften zum Parken oder dem Licht im Wohnzimmer machen müsste. Vom Zettelkrieg für eine Drehgenehmigung ganz zu schweigen. In einer Kulisse sind die Filmemacher dagegen frei.

Die Idee für eine Kulissenstraße hatte deshalb schon Defa-Chefarchitekt Alfred Hirschmeier zur Wendezeit entwickelt, erzählt Holler. Skizzen hatte auch Holler selbst seit Jahren in der Schublade. „Jetzt gab’s diesen Film und das Geld der Franzosen.“

Mit dem Bau betraten die Babelsberger Studiohandwerker Neuland – und holten sich als Helfer unter anderem einen Schlosser, der vom Zirkusgeschäft kam und Achterbahnen gebaut hatte: „Der wusste sofort, was wir wollten.“ Am Ende entstand eine 15 Meter hohe und drei Meter in der Erde verankerte Stahlkonstruktion, an die 33 Hausfassaden – jede ist aus drei mal drei Meter großen Beton-Schalenplatten zusammengesetzt – angebracht wurden. Der Straßenzug war optimal ausgewinkelt für die Kameras, die Kulisse wasserfest und bis in die vierte Etage begehbar. „Das war ein Abenteuer, das zu bauen“, sagt Holler. Das städtische Bauamt genehmigte das Ganze als „fliegende Bauten“ – dabei rechnete Holler schon damals mit zehn Jahren Standzeit.

Wenn die „Berliner Straße“ nun bald weichen muss, ärgert ihn das nicht: „Dass man eine Kulisse entworfen hat, die 15 Jahre steht, wer kann das schon von sich sagen?“, fragt der 65-Jährige. Längst nicht jeden Film hat er gesehen, der hier entstand, auch wenn er in der Mittagspause immer mal vorbeispaziert, um zu sehen, was die Kollegen mit der Straße machen. Im Kino freut er sich, wenn einem Kameramann mal eine neue Perspektive auf die Straße einfällt – zum Beispiel ein Blick von innen durchs Schaufenster nach außen in Agnieska Hollands Oscar-nominiertem Film „In Darkness“.

Am liebsten ist ihm aber bis heute die „Sonnenallee“: „Das ist ein ganz wichtiger Film, weil er mit meinem Leben zu tun hat“, sagt Lothar Holler: „Ich habe auch in so einer Nische gelebt, Rolling Stones gehört, Parka getragen.“ Für ihn ist „Sonnenallee“ aber auch der Leuchtturm-Film, der Babelsberg wieder auf Erfolgskurs gebracht hat – ein verdientes Wunder. Ein bisschen so wie der Weltmeistertitel damals für die Franzosen.

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