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Ingrid Püschel (rechts im Bild) mit ihrer Vorschulklasse am Tag der Rückreise. Ein Jahr hatte die Potsdamerin in Sansibar gelebt.

© privat

Sansibar und Potsdam: So weit weg

Im Oktober 1966 flog Ingrid Püschel zum ersten Mal nach Sansibar – und blieb fast ein Jahr. Erst nach der Wende konnte die Potsdamerin zum nächsten Mal in ihre „zweite Heimat“ reisen.

Potsdam - 22 Jahre alt ist Ingrid Püschel, als sie im Oktober 1966 in Schönefeld in den Flieger steigt. Ein Wochenende in Prag, mehr hat die Grundschullehrerin aus Babelsberg von der Welt außerhalb der DDR in jenem Herbst vor 50 Jahren noch nicht gesehen. Nun hat sie Sommerkleidung im Gepäck, aber auch Besteck. Nächster Stopp: Kairo. Von dort geht es nach Nairobi und dann: Sansibar. Ein Jahr soll sie dort leben. „Man wusste ja nicht so richtig, was einen erwartet“, erinnert sich Ingrid Püschel heute. Als ihr Mann das Angebot für das Auslandsjahr bekommt, ist für sie sofort klar, dass sie zusagt: „Ich hab gedacht: toll.“

Von Potsdam nach Sansibar

Gerade einmal zwei Jahre waren vergangen seit der blutigen Revolution auf der Insel vor der Küste Ostafrikas, bei der der Sultan und die arabischstämmige Oberschicht entmachtet wurden. Die neue Volksrepublik, die sich wenig später mit Tanganjika zum heutigen Tansania vereinigte, pflegte von Anfang an gute Beziehungen zur DDR – und bat um Unterstützung beim Aufbau der Verwaltung, berichtet Ingrid Püschel. Ein Konsul sollte entsandt werden, „der sprach aber weder Englisch noch Kiswahili“. Püschels damaliger Mann, studierter Afrikanist, bekam den Dolmetscherjob. Püschel reiste als Begleitung mit.

In Sansibar angekommen, fragt sie bei der Schule, die die DDR dort für Kinder der in Sansibar arbeitenden DDR-Bürger eingerichtet hatte, nach Arbeit – und bekommt eine Teilzeitstelle als Vorschul-Erzieherin. Die Zeit auf der Insel prägt die junge Frau. „Die DDR war plötzlich so weit weg, so klein – und so unwichtig.“ An den Bewohnern der Insel fasziniert sie die positive Lebenseinstellung: „Da wird nicht immerzu geplant – wenn heute Abend Gäste kommen, dann werden die bewirtet, egal, ob das Essen dann morgen fehlt.“ Ingrid Püschel sieht nicht nur den Ozean und den Strand mit Palmen zum ersten Mal, auch die Natur beeindruckt sie: „Das war einfach herrlich.“ Mit ihrer Kamera hält sie alles fest: die gigantischen Bananenstauden auf dem Obstmarkt; die in bunte Tücher gehüllten Frauen, die auf ihren Köpfen Körbe mit Kokosfasern balancieren; den Jungen, der mithilfe eines Seils zwischen den Füßen geschickt die Kokospalme hinaufklettert, um Kokosnüsse zu ernten; die Boote mit den weißen Segeln, die zum Ende des Fastenmonats Ramadan für ein Wettrennen in See stechen; das „Haus der Wunder“, den Regierungssitz von Sansibar, der seinen Namen trägt, weil es das erste elektrifizierte Haus auf der Insel ist. Sie fotografiert auf Festen und bei Paraden, als im Januar der Revolutionstag gefeiert wird, bekommt sie den damaligen Präsidenten Tansanias vor die Kamera.

Die Regierung habe unbedingt Hochhäuser gewollt

Während ihrer Zeit in Sansibar-Stadt lernt Ingrid Püschel nicht nur andere DDR-Bürger im Auslandseinsatz kennen, auch zur lokalen Bevölkerung entwickeln sich Kontakte und schließlich Freundschaften. Nach der ersten Zeit im Hotel zieht das junge Paar aus Potsdam in eine Wohnung in einem der begehrten DDR-Neubauten ein, ein Dreigeschosser, sogar eine Klimaanlage gab es. Die immer wieder gern erzählte Geschichte von den DDR-Plattenbauten, die Sansibar-Stadt verschandeln, ärgert Ingrid Püschel ein bisschen. Die DDR-Architekten hätten zuerst Zweifamilienhäuser entworfen, erzählt sie. Aber die Regierung habe unbedingt Hochhäuser gewollt.

Als sie im August 1967 wieder zum Flughafen fährt, um zurückzureisen, wird sie begleitet von „ihren Kindern“. Es ist ein schwerer Abschied, Sansibar ist für Ingrid Püschel in diesem Jahr eine „zweite Heimat“ geworden: „Aber als DDR-Bürgerin wusste ich, dass ich nicht wieder herkommen kann.“ Es wird fast 30 Jahre dauern, ehe sie 1996 wieder nach Sansibar kommt.

Erst nach dem Mauerfall macht sich Püschel, die mittlerweile in der Stadtverwaltung arbeitete, mit ihrem damaligen Mann wieder auf den Weg auf die Gewürzinsel. Kontakte zu ihren früheren Bekannten hat sie nicht mehr, mit einem Stapel alter Fotos fragt sie sich durch – und findet so schließlich einige ihrer alten Bekannten wieder.

Geplante Partnerschaft zwischen Sansibar und Potsdam

Seitdem fährt die mittlerweile 72-jährige Potsdamerin fast jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit nach Sansibar, ist in Sansibar-Stadt und im Dorf Mkanyageni, wo sie eine Familie unterstützt. Die Entwicklung, die das Land macht, beobachtet sie auch mit Sorge: Frauen trügen immer öfter die Verhüllung in Schwarz, auch Burkas hat Püschel schon gesehen. Für sie ist es ein Zeichen dafür, dass die religiösen Vorschriften des Islam wieder an Bedeutung gewinnen. An den Bestrebungen für eine Städtepartnerschaft zwischen Potsdam und Sansibar ist Ingrid Püschel nicht beteiligt – sie verfolgt die entsprechenden Aktivitäten aber aufmerksam. Es müsse bei einer Partnerschaft vor allem um Hilfe zur Selbsthilfe gehen, meint sie.

Nächste Woche Dienstag steigt Ingrid Püschel wieder in den Flieger. Zum 20. Mal reist sie dann nach Sansibar.

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