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Das Handwerk steckt in der Krise.

© imago images/Rupert Oberhäuser / Rupert OberhÅ user via www.imago-images.de

Schnelle Hilfen gefordert : Die Krise erreicht das Handwerk

Die Stimmung im Potsdamer Handwerk ist so schlecht wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr. Die Kammer fürchtet ein „leises Sterben“ vieler Betriebe.

Das Handwerk in Potsdam und Westbrandenburg blickt sorgenvoll in die Zukunft. „Die Stimmung ist so schlecht wie seit zehn Jahren nicht“, fasste der Präsident der Potsdamer Handwerkskammer (HWK), Robert Wüst, die Ergebnisse der traditionellen Herbst-Konjunkturumfrage im westbrandenburgischen Handwerk zusammen.

Niemals seit der deutschen Wiedervereinigung mussten unsere Handwerkerinnen und Handwerker mit einer solchen multiplen Problemsituation umgehen, wie wir sie aktuell erleben“, konstatierte Wüst.

Kammerpräsident Robert Wüst (r.) und Hauptgeschäftsführer Ralph Bührig.

© Foto: Ottmar Winter

Präsident der Handwerkskammer fordert schnelle Entlastungen

Die angekündigten Entlastungen von Land und Bund bei den Energiepreisen würden von den Betrieben sehnlich erwartet, kämen im März allerdings zu spät. „Nur wenn die Entlastungen schnell kommen, können die Betriebe das Ruder noch herumreißen“; so der HWK-Präsident. Bleibt es beim bisherigen Zeitplan, dass die Unterstützungen erst im März 2023 einsetzen, „werden wir ein leises Sterben vieler Handwerksbetriebe im Kammerbezirk erleben“, formuliert es Wüst mit drastischen Worten.

Nur wenn die Entlastungen schnell kommen, können die Betriebe das Ruder noch herumreißen.

Robert Wüst, Präsident der Potsdamer Handwerkskammer

Die Zahlen der Herbst-Konjunkturumfrage sind deutlich und schlecht. Während im Herbst 2021 lediglich zehn Prozent der Betriebe pessimistisch in die Zukunft blickten, hat sich dieser Anteil auf 19 Prozent fast verdoppelt. Die Einschätzung der Geschäftslage ist über alle Branchen der Potsdamer Handwerkskammer hinweg eingebrochen. Ihre aktuelle Geschäftslage bewerten nur noch 81,5 Prozent der Betriebe mit gut oder befriedigend. Das ist der schlechteste Wert in einer Herbstbefragung seit 2010, hieß es.

Noch ein Jahr zuvor lag dieser Wert mehr als zehn Punkte höher. 4000 Handwerksbetriebe im Kammerbezirk wurden angeschrieben, rund 13 Prozent antworteten auf die Umfrage. Auch in den zwei weiteren Kammerbezirken im Land Brandenburg ist die Lagebeurteilung eingebrochen. So erreichen die Gut- und Befriedigend-Bewertungen in Ostbrandenburg immerhin noch 88 Prozent, in Südbrandenburg nur noch 75,5 Prozent.

19
Prozent der Betriebe schauen pessimistisch in die Zukunft

Nur noch gut zwei Drittel der befragten Betriebe in ganz Brandenburg erwarten für 2023 eine gleichbleibende oder bessere Geschäftslage. Fast ein Drittel geht von einer klaren Verschlechterung aus. Auffallend: Im südbrandenburgischen Kammerbezirk Cottbus sind mit 42 Prozent der befragten Betriebe fast doppelt so viele Firmen pessimistisch für das Jahr 2023 als in Potsdam und Westbrandenburg.

Potsdamer Orthopädietechnik rechnet mit Schließung eines Standorts

Die mit Abstand schlechteste Beurteilung der Geschäftslage mit nur 50 Prozent kommt dabei aus Betrieben des Gesundheitshandwerks in der Region. Die Kniesche Orthopädietechnik mit vier Standorten kündigte auf PNN-Nachfrage an, im kommenden Jahr aufgrund von gestiegenen Energiekosten und zurückgehenden Verkaufsumsätzen voraussichtlich ein Geschäft schließen zu müssen.

„Ich möchte nicht pessimistisch sein, aber dieses Jahr lief nicht gut“, sagte Inhaber und Geschäftsführer Henry Kniesche. Die Kostenträger, die im Gesundheitshandwerk oft mindestens anteilig Kosten übernehmen, seien sehr unflexibel und reagierten nicht auf gestiegene Energie-, Material- und Mitarbeiterkosten. Zudem würden Verbraucher nicht mehr so oft wie zuvor höherwertige Produkte kaufen. Das führe zu einer Schieflage in der Branche, so Kniesche.

Die Potsdamer Firma Orthopädietechnik Kniesche steht vor einer Standortschließung.

© Foto: Ottmar Winter

Mit der angedachten Standortschließung wollte Henry Kniesche auch einen möglichen Personalabbau nicht ausschließen. Derzeit beschäftigt er 38 Mitarbeiter. Laut Konjunkturumfrage erwartet jeder fünfte Betrieb in Westbrandenburg bereits für das letzte Quartal in diesem Jahr einen Personalrückgang.

Neben der Kaufzurückhaltung, den steigenden Preisen bei Rohstoffen, Material und Energie ist ein weiteres Problem für die Handwerksbetriebe die Suche nach und Ausbildung von Fachkräften. Alle Gewerke seien vom verschärften Fachkräftemangel betroffen, so Wüst: 15 Prozent der befragten Betriebe verloren zum Vorjahr Mitarbeitende und lediglich 12 Prozent gelang es, ihre Belegschaft zu erweitern. 

Der Potsdamer Kammerpräsident Wüst sowie sein Hauptgeschäftsführer Ralph Bührig forderten neben einer schnelleren Entlastung bei den Energiepreisen für Handwerksbetriebe auch Härtefallfonds für ganze Branchen und nannten dabei Bäcker und Fleischer als energieintensive Geschäftsbereiche. Dabei kritisierte er auch die Unterschiede zwischen großer Industrie, die bereits Entlastungspakete geschnürt bekommen und Handwerksbetrieben, die auf Entlastungen warten sollen. „Ich kann nicht verstehen, warum hier mit zweierlei Maß gemessen wird“, so der Potsdamer HWK-Präsident.

Das Handwerk brauche Verlässlichkeit - auch bei der Energieversorgung, betonte auch Hauptgeschäftsführer Bührig. Sollte zudem die Gaspreisbremse nicht bereits ab Januar greifen, müssten die monatlichen Abschläge auch im Januar und Februar übernommen werden, so der Kammer-Präsident. Überdies fehle noch immer eine langfristige Alternative für russisches Gas und Öl. „All das ist Gift für die Konjunkturaussichten“, so der Potsdamer Kammerpräsident Wüst, der auch Präsident des Handwerkskammertages im Land Brandenburg ist.

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