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Bombenentschärfung in Potsdam: Mit der Kraft des Wassers

Neue Technik kam am Mittwoch bei der Entschärfung des Blindgängers aus dem Zweiten Weltkrieg am Hauptbahnhof zum Einsatz – weitere Bombenfunde auf dem Gelände sind wahrscheinlich.

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Potsdam - Um 12.55 Uhr war die Bombe entschärft, um 12.59 Uhr ließ Sprengmeister Mike Schwitzke vom Kampfmittelbeseitigungsdienst des Landes Brandenburg den Zünder mit einem in weiten Teilen der Innenstadt hörbaren Knall in die Luft gehen. Schwitzke hat einmal mehr dafür gesorgt, dass Potsdam wieder aufatmen konnte. Die 250-Kilogramm-Bombe US-amerikanischer Herkunft, die unweit des ILB-Neubaus am Hauptbahnhof gefunden worden war, ist für die Landeshauptstadt bereits Bombe Nummer 187 seit dem Jahr 1990, als die Zählung eingeführt wurde.

Die wievielte Bombe es für Entschärfer Schwitzke war, konnte er gar nicht sagen. „So 100 bis 150 ab 150 Kilo“, schätzte der 46-Jährige. Konzentriert ging er gestern ans Werk, aufgeregt sei er nicht, sagte er der Presse vor seinem Einsatz. Und dennoch: „Nach der Entschärfung rufe ich immer zuerst meine Frau an“, erklärte er, als alles vorbei war. Erst dann komme die Einsatzleitung.

Der Fundort der Bombe neben der ILB-Bank war am Abend des 14. April 1945 Ziel des Bombenangriffs auf Potsdam. Damals befand sich dort ein Güterbahnhof. Experten rechnen damit, dass damals innerhalb von 30 Minuten 1750 Tonnen Bomben auf die Stadt niedergingen. Große Teile der Innenstadt wurden zerstört. Bei dem Angriff habe es eine Blindgängerquote von 15 bis 20 Prozent gegeben, sagte Schwitzke. „Deshalb muss man immer wieder mit Blindgängern rechnen“, sagte auch Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), der die Bombe nach der Entschärfung begutachtete. Weil auf dem Gelände neben der ILB-Bank eine Grünfläche mit Spielplätzen entstehen soll, arbeiten hier momentan Spezialkräfte, um nach Munition im Boden zu suchen. Insgesamt zwei Tonnen Munition „anderer Art“, also keine Bomben, habe man bereits weggeräumt, sagte Schwitzke. Jetzt ist etwa die Hälfte des Geländes durchsucht.

Bis zu vier Meter um die Bombe herum musste das Gelände ausgehoben werden, rundum stapelten die Kampfmittelräumer Strohballen. Das größte Problem an diesem Tag war die knochenharte Erdschicht, die über dem Zünder lag, wie Schwitzke erklärte. Diese habe er mit einem Wasserschneider, der erstmals bei einer Entschärfung in Potsdam eingesetzt wurde, entfernt. „Mechanisch die Erdschicht zu entfernen, wäre lebensgefährlich gewesen“, sagte Schwitzke. 600 Bar Druck hatte der Wasserschneider ferngesteuert auf die 18 Zentimeter dicke Erdschicht über dem Zünder ausgeübt und so den Dreck weggefräst. Der Wasserschneider wurde per Fernsteuerung bedient. Schwitzke und das Team des Kampfmittelräumdienstes standen währenddessen hinter dem Gebäude der ILB, an der Einfahrt zur Tiefgarage. Per Videokamera neben der Bombe hatte Schwitzke das Wasserschneidegerät im Blick.

Erst die Art des Zünders entschied an diesem Tag darüber, wie schwer die Entschärfung werden würde. Bei einem rein mechanischen Zünder sei es weniger knifflig als bei einem chemisch-mechanischen Zünder. Wäre die Bombe hochgegangen, hätte sie schwere Schäden an der neuen Fassade der Bank und auch am gegenüberliegenden Hauptbahnhof angerichtet, sagte Schwitzke. Insgesamt war er mit dem Einsatz zufrieden: „14 Uhr hatten wir uns als Ziel gesetzt und wir waren sogar vorher fertig. Es gab keine Komplikationen.“

Am Morgen hatten zunächst fast 10 000 Potsdamer im Sperrkreis von 800 Metern um die Bombe ihre Wohnungen verlassen müssen. Betroffen waren neben dem Hauptbahnhof auch drei Schulen, sechs Kitas, drei Seniorenheime sowie der Brandenburger Landtag. Rund 600 Mitarbeiter, unter anderem von der Stadtverwaltung, der Feuerwehr, der Wasserwacht, vom Deutschen Roten Kreuz und der Polizei waren im Einsatz.

Nicht überall lief die Evakuierung rund: So musste in der Burgstraße eine Wohnung vom Schlüsseldienst aufgebrochen werden, weil die Bewohnerin nicht selbst öffnen wollte. Eine 93-jährige Dame – ebenfalls aus der Burgstraße – berichtete den PNN, dass der von ihr am Abend vorher bei der Stadt angemeldete Transport nicht gekommen sei. Kurz vor 8 Uhr sei sie schließlich allein aus ihrer Wohnung gegangen: „Man ist ja verängstigt!“ Sie habe Glück gehabt und sei schließlich in einem Shuttle-Bus zum Treffpunkt Freizeit, einem der vier Ausweichquartiere, mitgenommen worden.

Der Treffpunkt war mit rund 150 Menschen das am besten besuchte Quartier. Nicht nur der Theatersaal war gut gefüllt, auch im Café sowie in den kleineren Räumen warteten Potsdamer auf das Zeichen zur Entwarnung und vertrieben sich die Zeit mit Kreuzworträtseln, Spielen oder Lesen. Es gab Tee, Kaffee und geschmierte Brote. Allein aus dem Josephinen-Seniorenheim waren 86 Bewohner – darunter auch eine 101-Jährige – zum Treffpunkt transportiert worden, wie der Einrichtungsleiter André Braun den PNN sagte. Für kaum einen war es die erste Evakuierung, die Stimmung war entsprechend gelassen. Dennoch weckte der Tag bei den älteren Betroffenen auch Erinnerungen an eigene Kriegserlebnisse. So berichtete eine 93-jährige ehemalige Krankenschwester von ihrer Flucht 1945 mit der Familie zu Fuß aus Schlesien.

Ins Freiland-Jugendzentrum waren rund 50 Potsdamer gekommen. Teilweise bestens vorbereitet: So hatten vier Nachbarinnen aus dem City-Quartier direkt neben dem Hauptbahnhof ein Rummikub-Spiel mitgebracht. Es sei bereits die dritte Bombenentschärfung, die sie im Freiland verbringen, erzählte eine: „Wir kennen uns hier schon aus.“

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