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Kritik an Potsdams Wirtschaftspolitik: "Die Wirtschaft hat keine Lobby"

Die Wirtschaftspolitik der Stadt Potsdam wurde in den vergangenen Tagen von vielen Seiten kritisiert. Auch Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs will künftig mehr Gewicht auf die Wirtschaft legen, wie er im PNN-Interview erklärt.

Von Matthias Matern

Herr Jakobs, zuletzt gab es deutliche Kritik an der Wirtschaftspolitik der Stadt. Der Wirtschaftsrat etwa bemängelt, dass das Thema Wirtschaft in der Verwaltung und der Politik nur eine untergeordnete Rolle spielt, vorhandene Potenziale deshalb nicht gut genug ausgeschöpft werden. Was sagen Sie dazu?

So pauschal ist das nicht zutreffend. In der Verwaltung selbst spielt das eine relativ große Rolle. Aber richtig ist, dass das Thema im Politikbetrieb der Stadt eher unterbelichtet ist. Wenn es um Zielkonflikte geht, hat die Wirtschaft keine Lobby. Was im Übrigen dazu geführt hat, dass wir den Wirtschaftsrat eingerichtet haben. Mir scheint das der richtige Weg zu sein. Wir brauchen die Wirtschaft und müssen dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen so sind, dass wir auch weiter expandieren können.

Die Grünen in der Stadtverordnetenversammlung machen diese Kritik auch an Ihrer Person fest. Das Thema Wirtschaft falle schließlich in ihren Geschäftsbereich, meint die Verordnete Janny Armbruster. Diese Aufgabe aber würden Sie nur unzureichend erfüllen. Wie bewerten Sie diesen Vorwurf?

Frau Armbruster als ausgesprochene Wirtschafts-Expertin Potsdams zu betrachten ist mir neu. Im Übrigen gehört sie der Partei Die Grünen an, die, was diese Themen betrifft, sich bisher wenig qualifiziert zu Wort gemeldet hat. Das hat mich schon ein bisschen verwundert. Frau Armbruster bezieht sich ja in ihrer Kritik primär auf den Standort Golm und hier ist in der Tat vieles zu machen. Wir wissen um die Defizite und haben erste Handlungsschritte eingeleitet. Ein wichtiger Schritt ist zum Beispiel, dass wir ohne Fördermittel ein Go:In II bauen.

Der Vorsitzende des Wirtschaftsrates, Götz Friederich, hält sogar die Gründung eines eigenen Geschäftsbereichs mit einem entsprechenden Wirtschaftsbeigeordneten für notwendig. Was halten Sie davon?

Ich glaube, Wirtschaft muss als Querschnittsaufgabe begriffen werden und deshalb ist das beim Oberbürgermeister auch sehr gut angesiedelt. Sie können das Thema Soziales nicht ohne Beschäftigung diskutieren. Sie können das Thema Stadtentwicklung nicht diskutieren, ohne dass dabei auch Gewerbeflächen eine Rolle spielen. Sie können auch keine Finanzpolitik betreiben, ohne den Zusammenhang mit Steuereinnahmen zu sehen. Ich glaube, wenn man dafür ein eigenes Ressort schaffen würde, hätte man das wieder wunderbar zugeordnet und eine Verantwortlichkeit klargestellt, ohne zu begreifen, dass alle die wirtschaftliche Kompetenz benötigen.

IHK-Präsidentin Beate Fernengel fordert zudem einen Masterplan Wirtschaft, um den Kurs für die kommenden Jahre abzustecken. Hat sich die Stadt bislang keine Ziele gesteckt?

Wir haben ein Stadtentwicklungskonzept Gewerbe. Wir haben eine ganze Reihe von Konzepten. Aber wichtig ist auch, dass das Thema im öffentlichen Bewusstsein eine relativ geringe Rolle spielt. Und ich glaube, dass wir da etwas zulegen müssen. Das ist aber auch eine Aufforderung an die Wirtschaft, sich zu Wort zu melden. Wenn man den Leitbildprozess betrachtet, sieht man, dass das offensichtlich bislang nicht entsprechend genutzt wird.

Das heißt, wer im Leitbild eine Rolle spielen will, muss auch selbst dazu beitragen.

Der muss sich zu Wort melden, richtig.

Konkret wird bemängelt, dass in Potsdam zu wenige Gewerbeflächen vorgehalten werden, erfolgreiche Start-ups deshalb oft gezwungen werden, sich außerhalb der Stadt einen neuen Standort zu suchen. Von 40 Hektar, die 2014 bei der Stadt angefragt wurden, konnten gerade einmal 4,5 Hektar bereitgestellt werden. Braucht Potsdam ein besseres Gewerbeflächenmanagement?

Deshalb haben wir ja am vergangenen Donnerstag den Workshop Gewerbeflächenentwicklung organisiert. Das ist ein ganz natürlicher Zielkonflikt in einer wachsenden Stadt. Wir brauchen Verkehrsflächen, wir brauchen Flächen für den Wohnungsbau. Da ist es ein Nachteil, dass es für Investoren wirtschaftlich zu wenig lukrativ ist, Gewerbeflächen zu entwickeln. Es entsteht dann das Dilemma, dass man im Zweifel keine entsprechenden Flächen anbieten kann. Hier geht es ja nicht nur um Flächen, sondern auch um Gebäude. Wir brauchen zudem für die jeweilige Zielgruppe konkrete Angebote. In Golm etwa ist der Bedarf ein anderer als in Babelsberg. In Babelsberg allerdings gibt es auf dem neuen Campus am Filmpark mittlerweile einen Privatinvestor, der dort etwas bauen wird.

Was wird dort entstehen?

Dort wird ein Komplex entstehen mit 5000 Quadratmetern, in dem diejenigen, die aus dem Guido-Seeber-Haus perspektivisch ausziehen müssen, untergebracht werden können. Was das Thema Lifescience angeht, bin ich mit Steffen Grebner, Geschäftsführer des „Ernst von Bergmann“-Klinikums im Gespräch, damit wir auf dem Gelände des Klinikums entsprechende räumliche Potenziale schaffen. Die ersten Finanzierungsgespräche mit der Investitionsbank des Landes finden bereits statt. Für Golm müssen wir uns neben dem Go:In II jedoch etwas anderes einfallen lassen, damit der Bebauungsplan, der beschlossen ist, umgesetzt werden kann. Wir müssen stärker selbst in die Entwicklung einsteigen. Das entsprechende Know-how ist mit der Pro Potsdam durchaus vorhanden. Vielleicht sollte man eine neue Gesellschaft gründen, die dann in der Lage ist, diese Aufgabe zu realisieren.

Was macht es so schwer, passende Büros vorzuhalten?

Das Problem ist, dass viele Unternehmen bei ihren Investitionsentscheidungen voraussetzen, dass es leer stehende Gewerberäume gibt. Und die haben wir nicht. Das ist unser Kernproblem. Es werden vor allem kleinteilige Gewerbeflächen nachgefragt. Wir müssen also dafür Sorge tragen, dass da, wo das unternehmerische Risiko der Entwickler offenbar zu groß ist, die öffentliche Hand in Vorleistung geht. Dazu brauchen wir entsprechende Finanzierungsmodelle. Und wir haben aber nicht das Polster, um so etwas aus den kommunalen Finanzen heraus finanzieren zu können. Wir müssen uns andere Alternativen zum Beispiel mithilfe der städtischen Gesellschaften einfallen lassen.

Das Polster ist also kleiner, als man möglicherweise landläufig annimmt?

Man unterschätzt die Tatsache, was wir bei der Finanzierung der Infrastruktur stemmen müssen. Das sind allein im Schulinvestitionsprogramm mit Kindertagesstätten nahezu 240 Millionen Euro in den nächsten fünf Jahren. In der Verkehrsinfrastruktur sind es rund 100 Millionen Euro.

Unzufrieden sind IHK und der Wirtschaftsrat auch mit der Verkehrspolitik. Statt über Verengungen von Ausfallstraßen nachzudenken, müssten zusammen mit den Umlandgemeinden vielmehr Bundesfernstraßen besser verknüpft werden, um den Berufs- und Wirtschaftsverkehr zu erleichtern statt zu behindern. Wie berechtigt ist die Kritik aus Ihrer Sicht?

Wenn sie ausschließlich auf den motorisierten Individualverkehr setzen, dann mag das logisch sein. Aber auf der anderen Seite haben wir ein Stadtentwicklungskonzept Verkehr und da steht ganz klar drin, dass wir auf die öffentlichen Verkehrsmittel und auf den Radverkehr setzen. Was ja nicht bedeutet, dass wir für den Autoverkehr gar nichts tun. Wir werden in den nächsten fünf Jahren 50 Millionen Euro investieren. Das ist nicht gerade wenig. Aber es muss ja niemand von Berlin nach Potsdam mit dem Auto fahren. Das geht schneller und unkomplizierter mit der Bahn.

Das Interview führte Matthias Matern

ZUR PERSON: Jann Jakobs (62) ist seit 2002 Oberbürgermeister von Potsdam. Der SPD-Politiker ist damit auch für den Fachbereich Kommunikation, Wirtschaft und Beteiligung in der Verwaltung zuständig.

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