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Anwohner und freiwillige Helfer suchen in Potsdam-Schlaatz in einem Waldgebiet nach Spuren des verschwundenen sechsjährigen Elias.

© Nestor Bachmann/dpa

Suche nach vermisstem Elias in Potsdam: Das Prinzip Hoffnung

Die Suche nach dem sechsjährigen Elias aus dem Potsdamer Stadtteil Schlaatz dauert nun seit Mittwochabend. Bislang fehlt jede Spur. Doch Polizei und Helfer stemmen sich mit aller Kraft gegen den schlimmsten anzunehmenden Schrecken. Dabei machen die Fakten und Erfahrungen mit Vermisstenfällen alles andere als Hoffnung.

Potsdam - Polizei und Anwohner setzen bei dem vermissten sechsjährigen Junge Elias aus dem Potsdamer Stadtteil Schlaatz auf das Prinzip Hoffnung. Auch am Sonntag will die Polizei mit einem Großaufgebot nach dem spurlos verschwundenen Elias suchen. Bei den freiwilligen Helfern ist Anteilnahme weiter hoch, sogar aus Berlin kommen sie, um die Gegend abzusuchen. Sie alle, Polizei und Helfer, stemmen sich mit aller Kraft gegen den schlimmsten anzunehmenden Fall. 

Ein kollektiver Akt der Hoffnung - und des Verdrängens

Nur reden über den größten Schrecken, den Gedanken auch nur aussprechen will - entgegen aller polizeilichen Erfahrung - niemand. Noch hält er an - dieser kollektive Akt von Hoffnung, Solidarität und - ja auch das - dieser kollektive Akt des Verdrängens. Und das hat einen Grund: Niemand hat mit diesem ungeahnten Zusammenhalt von Polizei und Bürgern gerechnet. Und es geht um ein Kind, Symbol des Lebens, der Hoffnung schlechthin. Ermessen kann diesen Verlust nur, wer selbst Kinder hat. 

Auch deshalb denken die eingesetzten Beamten trotz der verzweifelten Lage bislang nicht ans Aufhören. „Der Fall bewegt uns sehr“, sagte Polizeisprecherin Jana Birnbaum. „Den Kollegen, selbst viele Mütter und Väter, geht das sehr nah. hier will keiner aufgeben. Wir tun alles, was in unserer Macht steht. Wir wollen den Jungen finden.“

Die Polizei ist auch wegen eines anderen Umstands überwältigt: Ausgerechnet dort, im Wohngebiet am Schlaatz, das als eines der Problemviertel für die Polizei in Potsdam gilt, unterstützen Hunderte seit Tagen die Beamten. Sie ordnen sich unter, sie reihen sich ein, sie folgen den Anweisungen der Polizei. Am Samstagabend trafen sie sich wieder, auch wenn es am Tage nicht mehr 700 waren wie am Freitag, sondern nur noch rund 200 waren, die in ihren Warnwesten und mit Stöckern die Gegend durchkämmten. Nur - was ist, wenn einer von ihnen, darunter auch Minderjährige, etwas findet? Sind sie darauf vorbereitet, auf das Schlimmste?

Der Polizeichef dankt den freiwilligen Helfern

Das alles ist nicht selbstverständlich. Einsatzleiter Michael Scharf ist deshalb am Abend eigens in das Potsdamer Wohngebiet gefahren. Der Leitende Polizeidirektor, der derzeit die Polizeidirektion West führt,  wollte sich persönlich bei den Helfern bedanken. Sie geben der Polizei eine sinnvolle Unterstützung, nehmen Hinweise auf, alles laufe organisiert und strukturiert ab, es sei ein gutes Zusammenspiel, sagte er am Abend.

Scharf zeigte sich beeindruckt von der Organisation der freiwilligen Helfer, die die Suchaktionen und Verpflegung der Helfer mittlerweile über eine eigene Einsatzleitung koordinert und Tag und Nacht aufrechterhält: "Das ist sehr wichtig", betonte er: "Wir hoffen, dass wir den kleinen Jungen lebend finden, aber dafür müssen wir weitermachen." 

Die ersten 24 Stunden sind die wichtigsten - sie sind längst vorbei

Hoffen, immer wieder Hoffen. Auch Scharf gehört aufgrund seiner Erfahrung in der Brandenburger Polizei zu jenen, die wissen, wie schlimm es eigentlich steht in diesem Fall. Nur sagen will es niemand, auch nicht Scharf. Die ersten 24 Stunden sind die wichtigsten in solchen Vermisstenfällen, jede Stunde sei entscheidend. Das jedenfalls weiß Lars Bruhn, Vorsitzender der „Initiative Vermisste Kinder“, ganz genau. 

Doch diese 24 Stunden sind im Fall von Elias längst vorbei, am Sonntagmorgen werden es weit mehr als 80 Stunden sein. Nach Angaben der Initiative werden in Deutschland im Jahr etwa 100.000 Kinder und Jugendlich als vermisst gemeldet. Sie tauchen in mehr als 99 Prozent aller Fälle wohlbehalten und binnen kurzer Zeit wieder auf, erklärte der Vereinschef Lars Bruhn den PNN am Donnerstag. Die anderen Kinder und Jugendlichen aber - sie bleiben verschwunden. 

Irgendwann sucht die Polizei nicht mehr 

Es ist hart, aber Bruhn kennt sich aus, auch wenn das nicht automatisch und ohne weiteres für den Fall des in Potsdam vermissten Elias gelten muss. Dennoch, die Fakten sprechen gegen Hoffnung. „Im Falle eines Kindes, was über mehrere Tage verschwunden ist, ist die Wahrscheinlichkeit einer Fremdeinwirkung oder eines Unfalls sehr hoch“, sagte Bruhn.  

Und erst kürzlich, zum 25. Mai, dem „Tag der vermissten Kinder“ erklärte Bruhn der Süddeutschen Zeitung: „Bei Fällen, in denen Kinder entführt wurden, beträgt die Überlebenschance wenige Stunden. Es gibt fast keinen Fall aus der Vergangenheit, in dem das Kind den Tag der Entführung überlebt hat.“ Und irgendwann, das weiß der Vorsitzende der Initiative, sucht die Polizei nicht mehr nach den vermissten Kindern. Bruhns Verein ist dann die letzte Hoffnung für die Eltern.

Es geht um Hinweise, die Hoffnung machen könnten

Einsatzleiter Scharf aber vermeidet es, die Hoffnung der vielen Beamten und Helfer zu untergraben. Der RBB sagte er am Abend auf die Frage, wie aussichtsreich die Suche nach Elias eigentlich noch sei: „Das ist jetzt die Phase, in der Geduld, keine Verzweiflung gefragt ist.“ Es gelte jetzt jenen Hinweisen, „die eine Hoffnung noch weiter wahr werden lassen, nachzugehen“. Es gehe darum sicherstellen, "in dem Bereich und dem Bereich ist er nicht".  Es geht also, genau das sagt Scharf damit, nur noch um Hoffnung. Und um Hinweise, die irgendwie und möglicherweise Hoffnung machen könnten. Und darum, alles menschenmögliche getan zu haben. Dabei sind die Fakten - nach aller Erfahrung und nach allem was vorliegt - erschütternd. Und sie machen alles andere als Hoffnung.

„Es ist mysteriös“, sagte etwa Polizeisprecherin Jana Birnbaum Polizeisprecherin am Samstag. Eine heiße Spur zu Elias gebe es trotz 197 Hinweisen weiterhin nicht, es gebe kein Lebenszeichen, aber bislang auch keinerlei Hinweise auf familiäre Probleme oder ein Verbrechen. Es seien keine Blut-, Faser- oder Schleifspuren entdeckt worden, die darauf hindeuten könnten. „Wir gehen davon aus, dass sich der Junge immer noch in einer hilflosen Lage befindet“, sagte Birnbaum. „Aber zum Gesundheitszustand wagen wir auch keine Prognose.“ 

Selbst bei der Polizei zeigt sich, wie verzwickt die Lage ist

Legt man aber die Statistiken und Erkenntnisse der „Initiative vermisste Kinder“, die erfahrene Ermittler teilen, über diese offiziellen Aussagen des Einsatzleiters und seiner Sprecherin am Samstag - dann schwindet die Hoffnung. 

Selbst am Handeln der Polizei lässt sich ablesen, wie verzwickt die Lage ist. Noch in den ersten Nächten war die Pressestelle der Polizeidirektion West auch nachts besetzt. Für den Fall der Fälle, dass Elias gefunden wird, wollte man vorbereitet sein. Mit Beginn des Wochenendes wurde die 24-Stunden-Besetzung der Pressestelle aufgehoben.

Es gibt nicht eine einzige heiße Spur

Seit Mittwochabend ist der sechsjährige Elias verschollen. Seine Mutter meldete ihn um 19.13 Uhr bei der Polizei als vermisst. Ihren Angaben nach hatte der Junge zuvor ab etwa 17 Uhr vor dem Wohnhaus im Inselhof im Wohngebiet Schlaatz auf dem Spielplatz gespielt, letzmalig gesehen habe sie ihn aus dem Fenster der Wohnung gegen 17.30 Uhr. Als er gegen 18.30 Uhr zum Abendessen hineinkommen sollte, sei er verschwunden gewesen. Erst suchten die Mutter und ihr Lebensgefährte allein, dann alarmierten sie die Polizei. Über das soziale Netzwerke Facebook riefen Freunde der Mutter zur Suche auf; seitdem sind täglich rund 150 freiwillige Helfer im Einsatz und suchen den Jungen. 

Die sofort eingeleiteten Suchmaßnahmen blieben bislang ohne Erfolg. Es gibt nicht ein einzige heiße Spur zu Elias. Am Samstag wurden die Ermittlungen sogar verstärkt, die Ermittlergruppe, die die Hinweise und Spuren auswertet, ist aufgestockt worden und arbeitet rund um die Uhr. 150 Beamte waren wieder im Einsatz. 

Die Suchaktion geht in den vierten Tag

Nun gehen die Suchmaßnahmen von Polizei und Freiwilligen in den vierten Tag, die Polizei plant sogar für die nächsten Tage, die groß angelegte Suchaktion nach Elias fortzusetzen. Ans Aufhören denken auch nicht die vielen freiwilligen Helfer.  Wie schon am Donnerstag und Freitag waren wieder hunderte Menschen unterwegs. Die einen ziehen mit Karten und Fotos durch die Wohngegend, die anderen versorgen alle mit Wasser, Brötchen und Kaffee. Die Einsatzleitung und Anlaufstelle für neue Helfer ist im Schlaatzer Bürgerhaus Am Schilfhof 28. Dort koordierten Nachbarn und Anwohner die Suche der freiwilligen Helfer. Auch die Vermisstenanzeigen wurden über Flyer und in den sozialen Netzwerken weiter verbreitet. So hingen am Samstagabend unter anderem am Berliner Alexanderplatz Aushänge mit dem Foto des vermissten Jungen.

Die Resonanz ist überwältigend - hunderte Hinweise

Den 197 Hinweisen, die bis Samstagabend bei der Polizei eingegangen sind, werde akribisch nachgangen, sagte Polizeisprecherin Birnbaum. Am Morgen waren es noch 125. „Das ist eine überwältigende Resonanz“, sagte Birnbaum. „Wir bemühen uns, jedem Hinweis sehr schnell nachzukommen.“

Jeder, der einen Hinweis gegeben habe, werde von Polizisten aufgesucht und  vernommen. Die Resonanz auf die Zeugenaufrufe sei „überwältigend“. Auch am Samstag befragten Beamte Anwohner im Stadtteil Schlaatz. Zahlreiche Menschen, die berufstätig seien, könnten erst am Wochenende angesprochen werden, sagte Birnbaum. Jeder Stein, jeder Strauch, jeder Zentimeter der Nuthe seien im Bereich des Stadtteils Schlaatz abgesucht worden. Auch Baustellen und alte Lüftungsrohre wurden untersucht. Auch nachdem die Nuthe von Spezialkräften, Tauchen und Booten zwei Mal durchkämmt wurde, selbst die Mündung zur Havel untersucht wurde, könnte es dort weitere Suchmaßnahmen geben - "wenn es erforderlich scheint", sagte Scharf.  

Die Suchaktion wurde auf andere Stadtteile ausgedehnt

Die Polizei dehnte die Maßnahmen auf andere Stadtteilen aus, Beamte suchten auch in Babelsberg und in Waldstadt nach Elias.  In der Nacht zum Samstag habe die Polizei noch einmal „den Schlaatz umgekrempelt“, sagte Sprecherin Birnbaum. Es sei in Tramtrassen und Grünanlagen gesucht worden, ohne Erfolg. Speziell ausgebildete „Mantrailer“-Hunde hätten aber auch am Samstag keine Spur aufnehmen können. Diese Spürhunde können Spuren kiloometerweit verfolgen, selbst wenn der Träger des Geruchs in einem Auto sitzt.  „Elias bleibt wie vom Erdboden verschluckt“, sagte Birnbaum.

Bereits am Freitag sei die örtliche Suche auf Gebiete in den Stadtteilen Waldstadt und Babelsberg ausgeweitet worden. Die Ermittler werteten parallel weiterhin auch am Samstag die Videoaufnahmen aus Potsdamer Bussen, Straßenbahnen und einem Supermarkt aus sowie die sozialen Netzwerke im Internet auf der Suche nach Hinweisen zum Verbleib von Elias. Auch seien viele Hinweise über die Internetwache der Polizei eingegangen.  

Selbst aus Berlin laufen Hinweise ein

Bei der Polizei sind auch Hinweise aus Berlin eingegangen, wo Menschen den Jungen auf Bahnhöfen oder in Berlin-Marzahn gesehen haben wollten. Jedem dieser Hinweise werde nachgegangen, die Bundespolizei unterstütze dabei und spreche beispielsweise mit Geschäftsinhabern und Imbissbesitzern an den Bahnhöfen. Auch die Zusammenarbeit mit der Berliner Polizei laufe. Daneben seien nach Hinweisen in Potsdam Autos überprüft worden, in denen Kinder saßen, „aber es waren alles Kinder, die dorthin gehörten“.

Die Beamten prüfen zudem alle Hinweise auf Elias in den  sozialen Medien, vor allem bei Facebook. „Den einen oder anderen Hinweis konnten wir so schon gewinnen“, sagte Birnbaum. Allerdings sind die Erfahrungen der Polizei in den letzten Tagen durchmischt. Immer wieder aufpoppende Gerüchte würden die Internetkanäle durcheinanderwirbeln und für Unruhe sorgen. Es werde sehr viel spekuliert. Das sei bei der Suche nach Elias zum Teil sehr kontraproduktiv, erklärte die Sprecherin. 

Der Helfer haben eine eigene Einsatzleitung

Die positiven Erfahrungen mit Facebook und Co. würden jedoch überwiegen. „Wir können uns als Freiwillige so sehr gut organisieren und Informationen austauschen“, sagte Anja Berger, die in den vergangenen Tagen die Suchaktionen der Freiwillige mitkoordiniert hat. Einwohner des Plattenbauviertels haben sogar eine eigene Einsatzleitung. „In einer Facebook-Gruppe hieß es, dass wir unbedingt einen Versorgungsstützpunkt brauchen. Also habe ich das in die Hand genommen“, erklärte Anwohnerin Gaby Franz. „Jetzt ist es der zentrale Anlaufpunkt für alle Suchaktionen der Freiwilligen.»“ Mehr als 600 Freiwillige hätten sich in den vergangenen Tagen angeschlossen, sagte Franz. 

Wer hat Elias am Mittwoch ab 15 Uhr gesehen?

Die Polizei ruft weiterhin Zeugen auf sich zu melden, die Elias am Mittwoch ab 15 Uhr gesehen haben sowie ab 15 Uhr selbst auf dem Spielplatz am Inselhof am Schlaatz waren. Auch sollen Eltern ihre Kinder dazu befragen, ob sie Elias gesehen und womöglich mit ihm gesprochen haben.

Polizei hat Hinweistelefon geschaltet

Der sechsjährige Elias ist etwa 1,10 bis 1,20 Meter groß, schmächtig, er hat kurze blonde Haare und blaue Augen. Bei seinem Verschwinden soll er eine hellblaue Jeans, ein weißes T-Shirt mit langen Ärmeln und hellblauem „Adidas“-Schriftzug sowie dunkelblaue Turnschuhe mit weißer Sohle getragen haben. Für Hinweise im Fall Elias hat die Polizei eine spezielle Rufnummer geschaltet. Sie ist unter  Tel.: (0331)  5508- 1108 erreichbar. 

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