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Die polnische Historikerin Agnieszka Pufelska mahnt eine kritische Auseinandersetzug mit der Garnisonkirche an.

© imago/VIADATA / Holger John

Exklusiv

„Bisher komplett vernachlässigt“: Welche Rolle spielte die Garnisonkirche bei Preußens Eroberungskriegen?

Historikern Agnieszka Pufelska fordert eine stärkere Auseinandersetzung mit den Teilungen Polens. Auch aufgrund des Angriffskriegs gegen die Ukraine.

Vor der nächsten Sitzung des Kuratoriums der Stiftung Garnisonkirche am Wochenende fordert die Historikerin Agnieszka Pufelska eine deutlich kritischere Auseinandersetzung mit der Rolle der Garnisonkirche in Zeiten des preußischen Königsreichs und dessen Eroberungskriegen.

Die Wissenschaftlerin an den Unis Hamburg und Potsdam, die mehrere Aufsätze für die wiederaufbaukritische Initiative Lernort Garnisonkirche verfasst hat, sagte den PNN auf Anfrage, bisher sei noch nicht erkennbar, wie sich in der Ausstellung des wiedererrichteten Turms der Kirche über die Rolle des Gotteshauses im preußischen Militarismus angemessen auseinandergesetzt werden solle. Das Spezialgebiet der 50-jährigen Hochschullehrerin gehört die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen seit der Frühen Neuzeit.

Es gehe unter anderem um die Rolle Preußens bei den Teilungen Polens im 18. Jahrhundert - ein Thema, das laut Pufelska generell in Brandenburgs und Berlins Museen unterbelichtet behandelt oder ausgespart werde. Dabei wirke die Historie Preußens bis in die Gegenwart - so habe Preußen im Zuge mehrerer begonnener Kriege, der Teilungen Polens und weiterer gewalttätiger Auseinandersetzungen im 18. und 19. Jahrhundert letztlich, für Russland den Zugang nach Zentraleuropa geöffnet, machte Pufelska deutlich.

„Wenn man so will, hat das indirekte Folgen - auch mit Blick auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine“, erklärte sie mit Blick auf so entstandene Begehrlichkeiten Russlands. Solche Zusammenhänge müsse man sich bewusst machen. Zu der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufenen Zeitwende gehöre auch ein Ende des bisher eindimensionalen Blicks nach Osteuropa.

Ein Mekka für das preußische Militär.

Historikerin Agnieszka Pufelska

Die unter Friedrich Wilhelm I. errichtete Garnisonkirche sei zu Zeiten Preußens ein Zentrum für antipolnische und antisemitische Politik gewesen, „eine Kirche der Täter und ein Mekka für das preußische Militär“, wie es Pufelska sagt. Doch auf der Internetseite der Stiftung Garnisonkirche gebe es zu diesem Thema kaum oder keine Informationen. Das müsse sich spätestens mit der Ausstellung im Turm ändern. Zu dieser Schau berät sich am Wochenende unter anderem auch das Kuratorium für die Stiftung Garnisonkirche bei einer Sondersitzung des Gremiums - rund ein Jahr vor der offiziell geplanten Eröffnung des Turms der Kirche.

Die wiederaufbaukritische Initiative Lernort Garnisonkirche fordert vom Stiftungskuratorium auch in anderer Hinsicht ein Umdenken. So hat der Wissenschaftliche Beirats des Lernorts eine klare Positionierung der Stiftung im Hinblick auf eine mögliche Kompromisslösung verlangt.

Die Initiative erinnerte daran, dass die Stiftung 2021 einem Vorschlag von Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) mitgetragen habe, der Stadt Potsdam die Fläche des ehemaligen Kirchenschiffs zu überlassen. Schubert schlägt für diesen Ort ein „Haus der Demokratie“ vor - mit Plenarsaal für die Stadtverordneten. Hier müsse das Kuratorium nun für Klarheit sorgen, fordern die Kritiker. Zuletzt hatte sich die Fördergesellschaft für die Garnisonkirche gegen den Kompromiss und für ein originales Kirchenschiff positioniert. Ohne einen klaren Beschluss des Kuratoriums für eine Überlassung des Grundstücks sei die weitere Arbeit an dem Kompromiss mit der Stadt „eine Verschwendung von Arbeitszeit und Geld aller Beteiligten“, so die Lernort-Aktivisten.  

Sondersitzung am Wochenende

Das Kuratorium der Stiftung will wie berichtet am Wochenende noch keine finale Entscheidung über einen möglichen Verzicht auf den Wiederaufbau des historischen Kirchenschiffs fällen, hatte der Vorstand zuletzt erklärt. Das Kuratorium und auch der neue Vorsitzende, Bischof Christian Stäblein, hatten die Idee von Schubert allerdings auch mehrfach positiv bewertet. „Ich halte das ‘Haus der Demokratie’ für eine glänzende Idee“, hatte Stäblein Mitte Januar der Deutschen Presse-Agentur gesagt. „Und die Vorstellung, dass da die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung tagt und damit diesen Ort wirklich zu einem markanten Ort der Demokratie macht, finde ich ausgesprochen stark.“ Weitere Beschlüsse dazu gab es aber noch nicht.

Dagegen hatte die Vorsitzende der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche, Maike Dencker, bislang stets deutlich gemacht, dass sie am Satzungsziel festhält, auch das historische Kirchenschiff wieder zu errichten. In der Satzung der Stiftung ist als deren Zweck festgelegt, „dass der Wiederaufbau des Kultur- und Baudenkmals Garnisonkirche Potsdam und dessen Nutzung als evangelische Kirche gewährleistet wird“.

Bild aus dem Sommer 2022: In knapp 60 Metern Höhe steht Wieland Eschenburg auf der künftigen Aussichtsplattform des Kirchturms. 

© Andreas Klaer

Zu einem möglichen Verzicht auf den Wiederaufbau des historischen Kirchenschiffs werde es auf der Klausur keine Entscheidung geben, betonte zuletzt Wieland Eschenburg aus dem Vorstand der Stiftung. „Schon mehrfach hat das Kuratorium betont, dass für die Stiftung oberste Priorität die Fertigstellung des Turms hat“, sagte er. „Für weitergehende Planungen, auch im Hinblick auf die Bebauung der ehemaligen Grundfläche des Kirchenschiffs, gilt weiterhin der Grundsatz: Erst volle Klarheit über den Inhalt, dann die Form.“

Zu der Klausur am Wochenende seien auch Vertreter der Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung eingeladen, berichtete Eschenburg. „Wir haben die Fraktionsvertreter eingeladen, um uns gemeinsam mit ihnen über den von der Stadt vorgelegten Entwurf einer Machbarkeitsstudie zur weiteren Gestaltung des Areals sowie die damit verbundenen Verfahrensvorschläge auszutauschen.“

Die Aktivisten und der Beirat des Lernorts wiederum erklärten, dass das Kuratorium die inhaltliche Position der Stiftung klären müsse. Das Wiederaufbauprojekt sei aus einem den Ort idealisierenden, geschichtsrevisionistischen Denken initiiert worden, die das Vorhaben trotz einer positiven Entwicklung in den vergangenen Jahren - etwa in Hinsicht auf das Ausstellungskonzept - nach wie vor dominieren würden. So würden nach wie vor historische Tatsachen verschwiegen, heißt es in der Erklärung. Denn leider nehme die geplante Dauerausstellung nur fünf Prozent des Gebäudevolumens des Kirchturms ein und bleibe somit „ein nur wenig wirksamer Kommentar zum baulichen Symbol“. (mit dpa)

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