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Landeshauptstadt: Bauland mit Geschichte

Funde von der Steinzeit bis zum Mittelalter entdeckten Archäologen bereits in Krampnitz – aber richtig ausgewertet wurde das Material nie. Experten erwarten noch große Überraschungen HEUTE TEIL 4: Bodendenkmäler auf dem Krampnitz-Areal

Eigentlich sollten nur Spargelfelder angelegt werden. Bei den Umgrabungsarbeiten zur Vorbereitung des Ackers stießen die Krampnitzer Bauern am Kellerberg dann aber auf Scherben, Knochen, altes Werkzeug. Die Funde waren so umfangreich, dass sie das Stadtmuseum informierten. Ziemlich genau 100 Jahre ist das her. Was dann geschah, ist in der Potsdamer Tageszeitung vom 27. September 1913 zu lesen: „Dem Potsdamer städtischen Museum ist es in der letzten Woche gelungen, auf den Kellerbergen dicht bei Krampnitz eine größere Siedlung aus germanischer Zeit aufzufinden. Zahlreiche Gefäße waren hier beim Umgraben des Ackers zutage getreten und veranlassten die prähistorische Abteilung des Museums zu einer umfänglichen Grabung, die dann auch von schönstem Erfolge gekrönt war.“ Autor der Zeilen war Friedrich Bestehorn, Historiker und Gründungsdirektor des Stadtmuseums. Er berichtet von gefundenen Tongefäßen, die mit Rädchentechnik verziert sind, einer Flöte aus Hirschhorn, einem Hausgrundriss und den Überbleibseln eines Herds. Die Siedlung aus den ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderten erstreckte sich demnach auf einer Fläche von fünf Morgen – 12 500 Quadratmeter, das entspricht fast zwei Fußballfeldern.

Es sollte nicht die letzte Überraschung in Krampnitz bleiben. Wann immer dort jemand den Spaten in den Boden steckte, stieß er auf Überreste der früheren Besiedlung. Ende 1927 wurde Richard Hoffmann, der Leiter der vorgeschichtlichen Abteilung des Stadtmuseums, eingeschaltet, nachdem bei Ackerarbeiten am Aasberg menschliche Skelette gefunden worden waren. Ein Friedhof mit insgesamt 114 slawischen Gräbern aus dem frühen Mittelalter verbarg sich dort unter der Erde, wie ein Jahrzehnt später klar wurde. Am Kellerberg wurde eine Eisenschmelze, eine Webwerkstatt und ein Backofen aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten gefunden.

Die Fundmeldungen, Fotos und Briefwechsel zum Standort Krampnitz füllen heute im Archiv des Landesamtes für Denkmalpflege in Wünsdorf 14 Aktenordner. Und das ist nur der Teil, der nicht im Zweiten Weltkrieg verloren ging. Elf Bodendenkmale verzeichnet die aktuelle Landesdenkmalliste für das Areal. Die Funde reichen von der Steinzeit bis zum Mittelalter.

Dabei wurde das Gelände nie systematisch untersucht. Archäologen kamen nur dann zum Zuge, wenn ohnehin gebaut wurde – um zu retten, was zu retten war. Neben vereinzelten Zufallsfunden von Amateuren – ein Privatmann aus Berlin meldete im März 1920 zum Beispiel den Fund eines Mammut-Backenzahns in Krampnitz – handelte es sich um Notgrabungen unter Zeitdruck.

Das galt insbesondere für den Wehrmacht-Kasernenbau ab 1937. Auch hier waren Friedrich Bestehorn und Richard Hoffmann vom Stadtmuseum die treibenden Kräfte. Für die Ausgrabungen hatten sie zwischenzeitlich 20 Männer des sogenannten Reichsarbeitsdienstes – eine sechsmonatige Arbeitspflicht für alle jungen Männer zur Zeit des NS-Regimes – zur Verfügung, wie aus einem Brief von Bestehorn an seinen im Urlaub weilenden Kollegen hervorgeht. Schwarz-Weiß-Fotos aus dieser Zeit zeigen die Ausgrabungsmannschaft vor der Kasernen-Baustelle.

Gegraben wurde zunächst am Kellerberg, der für den Kasernenbau abgetragen werden sollte. Schon im Juni und Juli 1937 gelangen den Archäologen wichtige Funde: Eine Eisenschmelze, eine Webwerkstatt und ein Backofen sind in den Kellerberg in den Boden regelrecht „eingegraben“, wie es im Fundbericht heißt. Besonders der Schmelzofen stieß auf großes Interesse bei Fachleuten: „Die Herren vom Staatsmuseum haben den Schmelzofen mehr oder weniger grün vor Neid betrachtet“, berichtete Bestehorn im August 1937 in einem Brief an Hoffmann: „Er kann, wenn er den Transport übersteht, in seiner Einmaligkeit das Zugstück unserer vorgeschichtlichen Abteilung werden“, schlägt er vor. Und schiebt nach: „Im übrigen werden wir unsere Arbeit dort in Krampnitz noch auf viele Monate ausdehnen müssen.“ Bis in den Herbst 1938 hinein sind die Archäologen in Krampnitz noch aktiv.

Auch die Presse interessierte sich für die Ausgrabungen vor den Toren der Stadt und geriet angesichts der Erkenntnisse über die vermeintlichen germanischen Vorfahren in ziemliche Begeisterung. Potsdamer und Berliner Zeitungen besuchten die von Bestehorn anberaumten Presserundgänge. So berichtet der Potsdamer Beobachter am 25. August 1937 auf der Titelseite von der „Freilegung einer germanischen Eisenhütte am Krampnitzsee“, die Potsdamer Tageszeitung titelt am selben Tag: „Aufsehenerregende Bodenfunde am Krampnitzsee: Ein germanischer Industrie- und Marktflecken ausgegraben“. Der Berliner Lokalanzeiger schreibt am 21. September 1938 „Germanische Tongrube entdeckt – Neue Funde im Semnonendorf von Potsdam-Krampnitz“. Bestehorn selbst veröffentlicht die Grabungsergebnisse auch in dem 1938 im Auftrag des Nationalsozialistischen Lehrerbundes herausgegebenen Buch „Potsdam – Ein Heimatbuch“. Darin versteigt er sich sogar zu der Vermutung, dass in der Gegend um Krampnitz der vom Geschichtsschreiber Tacitus erwähnte „heilige Hain“ der Semnonen gelegen haben könnte.

Germanen, Sueben, Semnonen – aus heutiger Sicht sind solche Zuordnungen zu bestimmten Völkergruppen mehr als zweifelhaft. Denn schriftliche Quellen, die Aufschluss darüber geben könnten, wer genau um die Zeitenwende in Krampnitz lebte, gibt es nicht, erklärt Fatima Wollgast. Die Archäologin arbeitet im archäologischen Landesmuseum im St. Paulikloster in Brandenburg/Havel. Dort sind die Krampnitzfunde, die nicht verloren gingen oder später an Berliner Museen übergeben wurden, heute zu sehen. Eine Hacke aus der mittleren Steinzeit – 9500 bis 4000 vor Christus – und ein Feuersteinbeil zählen zu den älteren Objekten. Besonders prächtig sind die Funde aus der Bronzezeit – 2000 bis 800 vor Christus: Neben Speerspitzen und Fehlgüssen von Bronzesicheln ist eine große Fibel, ein Pfriem zur Lederbearbeitung und eine kunstvolle Spiralröllchenkette mit Glasperlen erhalten. Letzteres ist besonders ungewöhnlich. Denn ob Glas zu dieser Zeit überhaupt in unseren Breitengraden hergestellt wurde, ist unter Forschern noch nicht geklärt, sagt Fatima Wollgast: „Die Kette kann durchaus ein Prestigegegenstand gewesen sein.“

Und was ist mit den übrigen Krampnitzfunden? Durch den – auch aus der Krampnitz-Kaserne mitgeplanten – Zweiten Weltkrieg verschleppte sich die archäologische Arbeit immer weiter. Im Juni 1940 beklagte der Regierungspräsident von Potsdam in einem Brief an den Vertrauensmann für kulturgeschichtliche Bodenaltertümer der Provinz Brandenburg den immer noch fehlenden Bericht zu den Krampnitz-Ausgrabungen – und bekommt als Antwort, dass eine „Abfertigung nach dem Krieg ausgemacht ist“.

Es sollte anders kommen. Richard Hoffmann schreibt in einer auf 1946 datierten Notiz: „Die Aufzeichnungen von Dr. Bestehorn und das übrige Material treiben sich wild im Saal des Palast Barberini herum, wo das gesamte Material z. Zt. untergebracht ist.“ Das Fundmaterial selbst sei zwar zum größten Teil gerettet worden, aber der Katalog nicht mehr aufzufinden. Bestehorn war nach einer kurzen Zeit als erster Nachkriegs-Oberbürgermeister Potsdams im Januar 1946 gestorben. Hoffmann weist in den folgenden Jahren immer wieder auf die fehlende Auswertung der Ausgrabungen hin. Im Februar 1959 schreibt er zumindest einen Abschlussbericht über die am Aasberg von 1928 bis 1938 gefundenen 114 Slawengräber aus dem Mittelalter. In einer Notiz zu Krampnitz vom 22. Juni 1968 heißt es erneut: „Eine Beurteilung des Fundmaterials hat bis auf eine spätere kurze Durchsicht einzelner Kisten nicht stattgefunden.“

Das könnte sich im Zuge der jetzt geplanten Neubebauung von Krampnitz noch einmal ändern. Die auf dem Gelände eingetragenen Bodendenkmale sind durch das Denkmalschutzgesetz geschützt, erklärt Joachim Wacker vom Landesdenkmalamt: „Wenn sie verändert werden, muss vorher ausgegraben werden.“ Für die Bebauung müsse zunächst – bezahlt vom Bauherr – eine Voruntersuchung gemacht werden: „Da wird es bestimmt große Überraschungen geben“, sagt Wacker. Denn für den Kasernenbau sei damals nur eine vergleichsweise kleine Fläche überhaupt archäologisch bearbeitet worden. In Gefahr seien die Entwicklungspläne dadurch aber nicht: „Das Gelände ist schon einmal überformt worden, da würden wir uns nicht dagegenstellen – wenn vorher alles geborgen und dokumentiert wird“, sagt Wacker.

Am kommenden Freitag lesen Sie, wie die Affäre um den Verkauf des Krampnitzer Kasernengeländes die Landespolitik beschäftigte.

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