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Dozentin  Franziska Tempel und der VHS-Direktor im Gespräch mit Bildungsminister Steffen Freiberg (SPD)

© Sebastian Rost Fotografie

330.000 Euro fürs Lesen Lernen: Volkshochschule bekommt mehr Mittel für Grundbildung

In Grundbildungskursen und sieben Lerncafés hilft die VHS Potsdam Analphabeten. Besonders schwierig ist es, den Kontakt zu Betroffenen herzustellen.

Lesen bedeutet, „einen Text mit den Augen und dem Verstand zu erfassen“, heißt es im Duden. Tatsächlich bedeutet Lesen aber weitaus mehr: Es ist ein Zugang zur Welt und ermöglicht die Navigation durch den Alltag: Sei es der Beipackzettel fürs Medikament, die Formulare beim Amt oder die WhatsApp-Nachricht des besten Freundes – wer nicht lesen kann, dem bleibt vieles verschlossen.

Über 6,2 Millionen Menschen in Deutschland können nicht richtig Lesen und Schreiben. In Brandenburg sind 12,5 Prozent der Menschen zwischen 18 und 64 Jahren Analphabeten, wie die Stadt Potsdam mitteilt. Das Grundbildungszentrum der Volkshochschule Potsdam (VHS) ermöglicht es Erwachsenen, diese Kompetenzen nachzuholen. Dafür hat die VHS am Freitag einen Förderbescheid in Höhe von rund 334.000 Euro vom Bildungsministerium in Brandenburg erhalten.

6,2
Millionen Menschen in Deutschland können nicht richtig Lesen und Schreiben.

Brandenburgs Bildungsminister Steffen Freiberg (SPD) will die Alphabetisierung von Erwachsenen im Land stärker fördern: „Lesen und schreiben zu können ist ein Grundrecht. Da darf es nicht am Geld scheitern“, sagte Freiberg bei der Übergabe des Förderbescheids am Freitag. In ganz Brandenburg gibt es aktuell zwölf Grundbildungszentren, wo Erwachsene Lesen und Schreiben lernen können. Freibergs Ziel ist es, in absehbarer Zeit 18 solcher Grundbildungszentren im Land zu etablieren.

Das Geld steht für den Zeitraum von April 2023 bis Ende Dezember 2025 zur Verfügung. Das sind über 100.000 Euro mehr als in der letzten Förderperiode. Von 2021 bis 2023 gab es etwa 210.000 Euro. Das Geld für die aktuelle Förderperiode bis Ende 2025 stammt zu 60 Prozent aus EU-Mitteln.

In Potsdam ist VHS-Dozentin Franziska Tempel für das Grundbildungszentrum zuständig. Die größte Herausforderung ist aus ihrer Sicht nicht das Lehren von Lesen und Schreiben – sondern die Betroffenen zu erreichen. „Das Thema ist sehr schambehaftet“, sagt sie.

Gründe für Analphabetismus sind vielschichtig

Neben Grundbildungskursen, in denen Lesen, Schreiben und grundlegende Fähigkeiten wie Rechnen oder den Umgang mit PCs gelernt werden können, betreibt die VHS sieben Lerncafés. Dort herrsche ein lockerer Umgang, statt Unterrichtsatmosphäre, sagt Tempel. Wer Interesse hat, könne ohne Anmeldung vorbeikommen. Auch könne man hier rasch und unkompliziert Hilfe erhalten, wenn man zum Beispiel einen wichtigen Brief nicht versteht. Aktuell besuchen durchschnittlich neun Menschen regelmäßig die Lerncafés.

Tempel arbeitet nicht nur mit Betroffenen, sondern sucht auch das Gespräch mit Schulen, Betrieben und Ämtern: „Wenn jemand nicht lesen und schreiben kann, fällt es dort auf“, sagt sie. Ein „nächster Meilenstein“ sei eine geplante Kooperation mit dem Jobcenter.

„Die Gründe für Analphabetismus sind vielschichtig“, sagt Tempel. Legasthenie könne eine Rolle spielen, aber auch schwierige Familienschicksale. Die meisten Menschen, die die Grundbildung in Anspruch nehmen, seien ihrer Erfahrung nach zwischen 40 und 60 Jahre alt. Laut Studien, sagt sie, seien über 60 Prozent der Analphabeten in Deutschland geboren. „Weil das Thema so schambehaftet ist, entwickeln die Betroffenen Strategien, damit es nicht auffällt“, sagt sie. Manche Betroffene hätten es sogar geschafft, trotz ihrer Einschränkung das Abitur zu bestehen. Mit mangelnder Intelligenz habe Analphabetismus also offenbar nichts zu tun.

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