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Verhandlungserfahren. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sprach am Mittwochabend an der Universität Potsdam über die Verhandlungen zum deutschen Einheitsvertrag. Er führte damals die westdeutsche Delegation.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Kein Lehrbuchbeispiel

Wolfgang Schäuble erinnerte sich an die Verhandlungen zum deutschen Einigungsvertrag 1990

Es war ein Vertrag, für den es kein Vorbild gab – und so schnell auch keinen Nachfolger geben wird. Knapp 1000 Seiten umfasst der Einigungsvertrag, der den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 regelte – Fragen vom Nachtbackverbot über den Schutz ungeborenen Lebens, die Straßenverkehrsordnung, Kirchensteuer und die künftige Hauptstadt der Bundesrepublik standen auf der Agenda, als sich die Delegationen von Ost und West Anfang Juli 1990 an den Verhandlungstisch setzten. Am gestrigen Mittwoch berichtete Wolfgang Schäuble (CDU), heute Bundesfinanzminister und damals als Bundesinnenminister Verhandlungsführer für die Bundesrepublik, an der neu gegründeten Verhandlungsakademie der Universität Potsdam – der Negotiation Academy Potsdam – über das damalige Geschehen. An der Einrichtung sollen sich Wissenschaftler der Frage widmen, worauf es bei Verhandlungen ankommt, wie man sie optimal vorbereitet, organisiert, führt und auswertet.

Die Vorbereitung der deutschen Einheit kann allerdings nicht als Lehrbuchbeispiel herhalten, wie Schäuble einräumte: „Es ging dabei etwas vielfältig zu und die Ereignisse haben sich manchmal überschlagen.“ Wie überrascht man auch auf der Westseite von den Entwicklungen in der DDR war, illustrierte Schäuble mit einer Anekdote, die auch mit Potsdam zu tun hat: Mitte der 1980er Jahre habe sich Prinz Louis Ferdinand, der damalige Chef des Hauses Hohenzollern, an Kohl gewendet – weil ihn ein Brief mit einem seltsamen Anliegen von höchster Stelle aus der DDR erreicht hatte. Anlässlich des 200. Todestages von Preußenkönig Friedrich II. könnten dessen sterbliche Überreste doch von der Burg Hohenzollern in Hechingen wieder nach Sanssouci überführt werden, wie von Friedrich testamentarisch verfügt, schlug man dem Nachfahren, den man auch mit „Kaiserliche Hoheit“ anredete, darin vor. Kohl, sein damaliger Kanzleramtschef Schäuble und Louis Ferdinand hätten sich dann auf eine Formulierung der Art verständigt: Das könne man sich vorstellen, aber erst, wenn Deutschland wiedervereinigt ist. Kohl habe noch gesagt: „Und wenn das soweit ist, begleite ich den Sarg.“ Nicht im Traum sei daran zu denken gewesen, dass das schon wenige Jahre später der Fall sein würde. Kohl kam bekanntlich zur Überführung der Särge im Sommer 1991 nach Potsdam, was seinerzeit für heftige Kritik sorgte.

Zu Weihnachten im Wendejahr 1989 habe er sich zum ersten Mal Gedanken darüber gemacht, wie eine deutsche Wiedervereinigung praktisch vonstatten gehen könnte, berichtete Schäuble gestern vor dem vollbesetzten Hörsaal am Campus Griebnitzsee. Das Vorbild des Saarland-Beitritts habe er schnell wieder verworfen – damals hatte man einen Vertrag mit Frankreich geschlossen: „Aber mit wem sollten wir denn jetzt den Vertrag schließen: Mit der Sowjetunion? Den vier Siegermächten?“, erinnerte sich Schäuble an das Dilemma. Die Lösung: „Wir schließen den Vertrag mit uns selber.“ Das Angebot an die DDR-Regierung, in einem Vertrag die Beitrittsbedingungen zur BRD zu regeln, habe diese angenommen.

Der Beitritt anstelle eines neuen Staats mit neuer Verfassung, wie damals auch im Gespräch, sei die richtige Entscheidung gewesen, sagt Schäuble heute rückblickend: „Wenn wir das damals versucht hätten, würden wir heute noch daran beraten und hätten das Zeitfenster der Möglichkeit wahrscheinlich verpasst.“

Die Zeit drängte auch aus einem anderen Grund, wie sich Schäuble erinnert: Gerade auf Ostseite war man an einer schnellen Vereinigung interessiert, wollte nicht nur die D-Mark, sondern auch den westlichen Lebensstandard. Erst als der Termin zur Währungsunion feststand, hätte der Strom der Flüchtlinge von Ostseite wieder abgenommen.

Anfang Juli 1990 trafen die beiden Delegationen – die Ostseite wurde von Günther Krause geführt, dem Parlamentarischen Staatssekretär beim DDR-Ministerpräsidenten – erstmals zusammen. Verhandelt werden musste über unzählige Detailfragen.

Und das für Schäuble sogar an zwei Verhandlungstischen: Denn er musste auch die SPD im Bundestag für das Papier gewinnen, da eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig war. Und das mitten im Bundestagswahlkampf. Die Verhandlungen mit der SPD seien komplizierter gewesen als die mit der Ostseite, bilanziert er heute. Auch in der eigenen Partei stieß er an Grenzen: Etwa, als es um den Schutz ungeborenen Lebens ging – wo die DDR eine deutlich liberalere Regelung hatte. Man einigte sich – wie auch in der Hauptstadtfrage – auf eine pragmatische Variante: „Das lösen wir jetzt mal zwei Jahre lang nicht.“ Beide Regelungen sollten so lange noch nebeneinander herbestehen.

Verhandelt wurde bis zum Schluss, erzählte Schäuble. Nachts um zwei Uhr am 31. August 1990 hatten sich die Delegationen von Ost und West auf ein Papier geeinigt, nur acht Stunden später wurde der Einigungsvertrag „nach sorgfältiger Prüfung“, wie Schäuble augenzwinkernd anmerkt, vom Kabinett durchgewunken, 12 Uhr im Kronprinzenpalais unterschreiben. Als „aufregendste und beglückendste Zeit meines Lebens“ beschreibt Schäuble die Monate zwischen Wendeherbst und Wiedervereinigung. Ob er aus heutiger Sicht etwas anders gemacht hätte, wird er aus dem Publikum gefragt. Eine Frage, die nicht zu beantworten ist, wie Schäuble sagt. Er hätte nur einen Wunsch für die imaginäre Wiederholung: „Bitte nicht wieder in einem Bundestagswahljahr.“

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