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Fälle Elias und Mohamed: 6. Verhandlungstag in Potsdam: Die Asservaten aus Kaltenborn

Im Prozess um den Mord an Elias und Mohamed berichten Beamte vor dem Landgericht Potsdam, wie sie die Festnahme von Silvio S. erlebten und was sie in seinem Auto fanden: ein Kabinett des Grauens.

Potsdam - Noch immer schweigt der mutmaßliche Mörder von Elias und Mohamed. Am sechsten Verhandlungstag im Prozess gegen Silvio S. präsentierte die Schwurgerichtskammer am Potsdamer Landgericht Beweismittel, die Beamte kurz nach dessen Festnahme am 30. November vergangenen Jahres in seinem Heimatdorf Kaltenborn gefunden habe. Es ist ein Kabinett des Grauens. Selbst der Vorsitzende Richter Theodor Horstkötter sagte, dass er derlei noch nie in seiner langen Karriere als Strafrichter gesehen habe.

Auf einem kleinen Wagen ist all das auslegt und aufgestellt, was die Beamten damals im Auto von Silvio S. fanden. Die Wäschewanne, gefüllt mit Katzenstreu, in der S. die Leiche von Mohamed abgelegt und tagelang aufbewahrt hat. Dazu Kabelbinder, Strangulationsgürtel, Elektroschocker, Daumenfessel, Mundknebel, Fesselgeschirr, ein Spekulum, Sado-Maso-Masken, Handschellen, teils mit rosa Plüsch, Schlaftabletten, Chloroform und eine Kiste mit einer lebensechten Babypuppe.

Bereits in der vergangenen Woche hatten Beamte berichtet, was sie in der Wohnung des 33-Jährigen gefunden hatten – schon das war wie in einem Horrorfilm: Notizzettel mit Worten wie „Mädchen Junge Messer“, „Kind fesseln“, „Mund zukleben“. Aber auch lebensechte Puppen, Kinderbekleidung, Perücken, Mundspreizer und Fesselwerkzeug, Kondome, ein aufblasbarer schwarzer Fesselstuhl. Aus Zeitungen ausgeschnittene Fotos, darauf Kindergesichter, ein Teddy mit eingebauter Kamera, darauf Bilder von einem Mann mit Latexmaske, der sich mit einer Puppe sexuell beschäftigt.

Über die Festnahme von Silvio S.

Am Montag schilderten mehrere Beamte die Festnahme von S. vor rund sieben Monaten: Nachdem das Landeskriminalamt Berlin die Kollegen in Brandenburg einschaltete, eilten mehrere Streifenwagen nach Kaltenborn bei Jüterbog (Teltow-Fläming). Die Mutter hatte ihren Sohn auf einem Foto in der Zeitung erkannt, das von der Polizei zur Fahndung herausgegeben worden war. „Huch, was machst Du denn in der Zeitung?“, soll die Mutter gesagt haben. Silvio S. soll sich nicht verteidigt haben. „Ich hab’s gemacht. Ich hole noch Beweise“, soll er den Eltern gesagt haben. Silvio S. fuhr daraufhin in seinem Auto fort. Die Mutter rief bei der Polizei an.

Als S. nach seiner Rückkehr den ersten eingetroffenen Polizisten sah, seien seine Augen „tellergroß“ geworden. Beim Einzelgespräch in der Küche habe S. gesagt: „Es wäre vielleicht besser, einen Anwalt zu holen.“ Weitere Polizisten kamen – und fragten, wo Mohamed sei. „Wir hatten die Hoffnung, dass der Junge noch lebt, weil bislang nur von einer Entführung ausgegangen wurde“, berichtete einer der Beamten. Dann habe S. gesagt: „Schaut mal in den Kofferraum.“ Dort fanden die Polizisten den Leichnam des vierjährigen Mohamed – in jener gelben Plastikwaschschüssel mit Katzenstreu, die am Montag im Gerichtssaal stand. Als die Beamten S. durchsuchten, fanden sie auch das Tatwerkzeug, mit dem er Mohamed erdrosselt haben soll. Staatsanwaltschaft Peter Petersen hob es mit Gummihandschuhen empor vom Wagen mit denAsservaten: ein dünner schwarzer Gürtel mit Metallnieten. Auf dem Asservatenzettel stand: „Strangulationswerkzeug“.

Das auffällige Verhalten des Vaters 

Auffällig für die Beamten war das Verhalten des Vaters von S. Er habe erklärt, schon seit Monaten nicht mehr die Wohnung seines Sohnes in der gemeinsam genutzten Doppelhaushälfte betreten zu haben. „Unser Sohn lebt sein Leben, wir unseres“, sagte der Vater. Für den Beamten klang das kaltherzig.

Auch für einen anderen jungen Polizisten war es eine Situation, die er nicht mehr vergessen wird: Wie der Vater in der Wohnung saß und lachend sagte: „So viel Polizei, wozu denn?“ Und: „Jetzt saut ihr mir mit den dreckigen Botten auch noch den Teppich ein.“ Die Beamten bestätigten damit erneut den im Prozess deutlich gewordenen Eindruck: Die Familie S. war völlig zerrüttet, Silvio S. hatte Angst vor seinem Vater, Bekannte schilderten ihn als Tyrannen.

In Elias' Schuhen war noch Sand 

Später, im Streifenwagen, mit dem S. ins Gewahrsam gebracht wurde, habe S. gesagt, dass Mohamed, „der kleine Mensch im Kofferraum“, gequengelt habe, dass es schnell ging, dass der Junge sich nicht habe quälen müssen, dass es bereits kurz nach der Entführung geschehen sei. Und dass er wünschte, es wäre ein Unfall gewesen. Und bei all dem sei S. ruhig geblieben. Anfangs sei er niedergeschlagen, später überheblich gewesen. Letzteres nur weil das neue Navigationsgerät im Streifenwagen nicht den kürzesten Weg anzeigte und S. den Beamten sagte, wo sie besser entlangfahren sollten.

An diesem Prozesstag sagte auch ein Kriminaltechniker aus, der dabei war, als die Leiche von Elias in der Gartenparzelle von S. in Luckenwalde gefunden wurde. Wichtigstes Detail dabei: In den Schuhen des Jungen war noch Sand vom Spielplatz, von dem am 8. Juli 2015 der damals Sechsjährige im Potsdamer Stadtteil Schlaatz verschwunden war.

„Er hat sich den schärfsten Scheiß ausgeliehen, den ich hatte.“

Dass Silvio S. extreme Vorlieben hatte, bestätigte am Montag auch Sven G. Er ist noch Inhaber einer Videothek in Jüterbog. Dort hat sich S. mehrfach Pornofilme ausgeliehen. „Das war auf jeden Fall aus der Sado-Maso-Ecke, das war definitiv sein Ding mit Fesseln und Knebeln“, sagte G. „Er hat sich den schärfsten Scheiß ausgeliehen, den ich hatte.“

Richter Theodor Horstkötter sprach von Videos aus dem „Ultra Hardcore SM-Bereich“. Insgesamt fünf Filme hatte sich S. nach seiner Anmeldung in der Videothek am 18. November 2014 ausgeliehen, das letzte Mal am 18. Oktober 2015, also mehr als zwei Wochen nach der Entführung und Ermordung von Mohamed.

Im Unterschied zu anderen Kunden, die sich Pornos ausliehen, habe sich S. ganz normal verhalten. Kunden mit Interesse an Pornos würden normalerweise peinlich genau darauf achten, kurz nach Öffnung der Videothek am Mittag oder kurz vor Schluss am Abend zu kommen – um möglichst jeden Kontakt zu anderen Kunden zu vermeiden. Nicht so S. „Ihm war es nicht peinlich, Filme aus der Pornoecke auszuleihen, das war selbstverständlich. Er ist normal damit umgegangen. Andere Kunden sind da ein bisschen nervöser“, sagte G. Die letzten beiden Filme, die sich S. ausgeliehen hatte, seien die schlimmsten gewesen, „die man sich legal ausleihen kann“, erklärte der Videothekar.

Die Anwälte der Familie von Mohamed erinnerten den 45-Jährigen an einen Vorfall, der sich Ende Oktober 2014 zugetragen hat, also kurz nachdem sich S. in der Videothek als Nutzer angemeldet hatte. Damals ging ein anonymer Anruf bei dem Jüterboger im Geschäft ein. Am anderen Ende der Leitung fragte jemand, ob der Videothekar Kinderpornos habe. Und ob er nicht selbst gedrehte Kinderpornos haben möchte. Im Nachhinein vermutete G., dass es sich bei dem Anrufer um Silvio S. gehandelt haben könnte. Aber das war nur eine erste Vermutung, er dachte gleich an S., weil dessen Taten „in der Gegend“ die einzigen mit Kindern als Opfern waren.

Silvio S. lieh sich die härtesten Pornos aus - in den Nachrichten liefen Bilder der Überwachungskamera

Nach der Festnahme von Silvio S. hat Sven G. auch ganz persönlich Konsequenzen gezogen. Zunächst hat er den Bereich mit den SM-Pornos geschlossen. Grund ist eine weitere Begebenheit in der Videothek. Als S. am 18. Oktober 2015 noch einmal dort war und sich die bis dahin härtesten Pornos auslieh, liefen im Fernsehen gerade die Abendnachrichten. Das Gerät hing über dem Tresen der Videothek.

Gezeigt wurden unscharfe Bilder aus der Überwachungskamera am Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales, kurz Lageso, wo Silvio S. am 1. Oktober den vierjährigen Mohamed entführt hat. Es waren die ersten Bilder, mit denen die Berliner Polizei an die Öffentlichkeit gegangen war. Klar zu erkennen war der Tatverdächtige mit Mohamed an der Hand aber noch nicht. Dass es der heutige Angeklagte war, zeigte erst der Abgleich mit einem anderen Foto aus einem Lokal am Lageso, das die Polizei später veröffentlichte, auf dem die Mutter von S. ihren Sohn erkannte und das schließlich zur Festnahme des Angeklagten führte.

Videothekar Sven G. erkannte S. damals auf dem Fernseher zunächst nicht. Erst später machte er sich einen Reim darauf, wen er damals eigentlich sah: „Mohamed war mit ihm an der Hand zu sehen“, sagte er nun. S. stand am Tresen der Videothek und schaute auf den Fernseher. In dem Moment sprach G. mit S. allgemein über die Entführung, und dass das doch eine Sauerei sei. S. habe dann gesagt, „so was müsste man um die Ecke bringen“. Obwohl S. sich selbst auf dem Fernsehschirm erkannt haben muss, wirkte er ruhig. „Er war nicht erschrocken, sondern ganz gefasst, als ob nichts war, als ob es ihn nichts anging“, berichtete G. im Zeugenstand. S. bezahlte die Rechnung für die Pornos schließlich um 18.47 Uhr und ging.

Der Videothekar machte sein Geschäft dicht

Für Sven G. hat sich heute das Geschäft mit den Videos übrigens ganz erledigt. Seine Videothek, in einem großen Umkreis die einzig Verbliebene in der ländlichen Region im Südwesten Brandenburgs, ist bald Geschichte. Vor Gericht sagte er: „Damit komme ich nicht klar, dass der da vor mir stand. Ich mache dicht.“

Dem 33 Jahre alten Angeklagten wird vor dem Landgericht Potsdam vorgeworfen, im vergangenen Jahr erst den sechsjährigen Elias aus Potsdam und dann den vierjährigen Berliner Flüchtlingsjungen Mohamed entführt und ermordet zu haben. Mohamed soll er missbraucht haben, bei Elias soll er es versucht haben. Silvio S. hat sich im Prozess zu den Vorwürfen bislang nicht geäußert. Jedoch legte er bei der Polizei nach seiner Festnahme ein Geständnis ab. Um genau jene Aussagen dreht sich der heutige siebte Verhandlungstag in dem Mordprozess. Dazu sollen die Vernehmungsbeamten als Zeugen gehört werden. Ein Urteil wird am 26. Juli erwartet.

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