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Landeshauptstadt: „Es ist besorgniserregend, was da passiert“

Was Potsdamer mit ukrainischen und russischen Wurzeln angesichts des andauernden Ukraine-Konflikts bewegt

Die meisten Potsdamer verfolgen die Ukraine-Krise nur in den Nachrichten. Sie kennen die Bilder vom Maidan-Platz in Kiew oder den prorussischen Kämpfern in der Ostukraine aus dem Fernsehen oder aus der Zeitung. Einige berührt das Geschehen aber näher, weil sie Verwandte oder Freunde vor Ort haben, dort arbeiten oder einmal da gelebt haben. 715 Potsdamer haben laut der aktuellen Statistik der Stadt einen ukrainischen Pass, elf Ukrainer sind in diesem Jahr bisher nach Potsdam gezogen.

Mychailo Wolowyk ist dagegen schon länger hier. Der 27-Jährige lebt bereits seit neun Jahren in Deutschland und schreibt gerade seine Masterarbeit am Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik (HPI). Auch wenn seine Familie in Deutschland lebt, hat er Freunde und Verwandte in der Ukraine. „Natürlich ist es ziemlich besorgniserregend, was da seit einigen Monaten passiert“, sagt der Computerspezialist. Um ein möglichst realistisches Bild von der Lage zu bekommen, liest er ukrainische, deutsche und russische Medien. „Es gibt viele Falschinformationen, von allen Seiten“, sagt er. Und hat dabei schon erlebt, wie die Diskussion über den Konflikt Freundschaften zerstört, Familien auseinandergebracht hat. „Die Meinungen sind ziemlich stark polarisiert.“ Mit dem Pass habe das nichts zu tun: „Ich habe auch russische Freunde, die denken, dass Russland eine falsche Politik macht.“

Und was halten die russischen Potsdamer von den Ereignissen? Ein Besuch im russischen Laden Am Kanal gibt wenig Aufschluss: Die Verkäuferin hebt die Schultern, zeigt auf die Regale – keine Zeit für ein Gespräch über die Ukraine, sie muss Ware einräumen, sagt sie. Auch beim deutsch-russischen Kindergarten „Stadt der Meister“ in Babelsberg reagiert man kurz angebunden auf den Anruf von der Zeitung: „Das Thema passt uns nicht“, sagt die Kita-Leiterin.

In der russischen Teestube im Herzen der Kolonie Alexandrowka scheinen russische und ukrainische Servicekräfte indes gut miteinander klarzukommen. Sie wohne schon seit fast 20 Jahren in Deutschland, habe keine Verbindungen mehr nach Russland, erzählt eine Kellnerin: „Was in Russland und der Ukraine passiert, dafür interessiere ich mich nicht.“ Vielleicht wisse ihre junge ukrainische Kollegin mehr, meint sie freundlich und winkt ihre Kollegin heran.

Ein paar Monate ist Julia schon in Deutschland, die Kiewerin studiert in Berlin Betriebswirtschaft und verdient sich in der Teestube etwas Geld dazu. „Meine Mutter kommt aus Russland, mein Vater aus der Westurkraine“, erzählt die 20-Jährige. Als es auf dem Maidan zu Aufständen und Schießereien kam, habe sie sich große Sorgen um die Eltern gemacht. Auch um ihren Freund aus der Ostukraine hat sie Angst: „Einmal kam er nicht mit dem Zug nach Hause, weil die Schienen von Bomben zerstört waren“, berichtet sie. Momentan braucht sie sich um ihn nicht zu sorgen – er ist für ein paar Tage zu Besuch in Deutschland. Per Skype ist sie mit Freunden und Familie zuhause in Kontakt, im März war sie zuletzt in Kiew: „Da war alles ruhig.“

Ruhig stellt sich die Lage auch für Monika Korte da. Die Diplomgeophysikerin koordiniert am GeoForschungZentrum der Helmholtz-Gesellschaft (GFZ) auf dem Potsdamer Telegrafenberg unter anderem die Zusammenarbeit mit einem Geomagnetischen Observatorium bei Odessa am Schwarzen Meer. Seit 2013 gehört das Observatorium zum GFZ-Kooperationsnetz, werden Daten zum Erdmagnetfeld von dort an die Computer in Potsdam gesendet. „Damals waren Kollegen zur Installation von neuen Messgeräten dort“, berichtet die Wissenschaftlerin. Seitdem läuft alles wie am Schnürchen. „Die Daten kommen problemlos und mit sehr guter Qualität rein.“ Insgesamt 120 solcher Observatorien gibt es weltweit, das GFZ ist an 15 von ihnen mit beteiligt. Dass die politische Lage oder Konflikte auch die Wissenschaft betreffen können, komme aber durchaus vor, sagt Monika Korte. Russland beispielsweise klassifiziere Erdmagnetfelddaten mittlerweile als militärisch interessant: „Die russischen Oberervatorien geben die Daten deswegen nur mit einer zeitlichen Verzögerung von 48 Stunden heraus.“ Beim GFZ betreffe das das Observatorium Paratunka in Petropavlovsk.

Für Jurij Makarenko ist klar: „Das Volk der Ukraine will diesen Krieg nicht.“ Seinen richtigen Namen will der gebürtige Ukrainer, der 1989 aus Kiew nach Deutschland flüchtete und heute mit Frau und Kind in Potsdam lebt, nicht in der Zeitung lesen – aus Angst um seine Familie, wie er sagt. Sein Profil in einem sozialen Netzwerk im Internet sei manipuliert worden, er fühle sich zusehens an die Sowjetunion der Vorwendezeit erinnert. „Die Propaganda in Russland ist enorm stark“, sagt der Unternehmer – seine Kontakte mit russischen Freunden aus der Studienzeit seien im Zuge der Ukraine-Krise abgebrochen. Mit der Mutter in Kiew und Verwandten unweit von Donezk telefoniert er regelmäßig.

Die Argumentation von Putin, die russischstämmigen Ukrainer müssten geschützt werden, hält er für absurd: „Ich bin selbst Ukrainer und spreche Russisch – ich habe deswegen in der Ukraine nie einen einzigen bösen Blick gesehen.“ Seine Verwandten seien im Zuge der Krise immer patriotischer geworden: „Meiner Mutter war eigentlich immer alles egal – Hauptsache, am 6. gibt’s Rente“, erzählt der 49-Jährige. Jetzt habe sie für ukrainische Soldaten Kuchen gebacken, auch seine Tante habe verwundete Soldaten im Krankenhaus besucht. Der heutige Potsdamer rechnet nicht damit, dass sich der Konflikt noch lange hinzieht. Wegen der internationalen Wirtschaftssaktionen werde der Druck der russischen Wirtschaft auf Putin zum Rückzug größer, meint er: „Er kann mit einem Anruf alles einstellen.“

Der Informatik-Student Mychailo Wolowyk ist da nicht so optimistisch. „Es wird ziemlich schwierig sein, mit Russland eine diplomatische Lösung zu finden – die sind so stark davon überzeugt, dass die Ukrainer die Feinde sind.“ Erst mit einer demokratischen Regierung in Russland könnten sich die Verhältnisse ändern: „Das wird noch eine Weile dauern, leider.“

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